SPÖ-Chef Andreas Babler.
Hat es schon seit seiner Kür zum SPÖ-Parteichef mit den eigenen Genossen nicht leicht: Andreas Babler.
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Es ist noch nicht lange her, da wollte Josef Muchitsch vor allem eines: dass endlich Ruhe ist in der SPÖ. Das war im vergangenen November, Andreas Babler wurde auf einem Parteitag in Graz gerade zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit zum roten Capo gewählt – diesmal ohne Excel-Fiasko. Muchitsch, der mächtige Gewerkschafter mit steirischen Wurzeln, nahm Bablers neuerliche Kür zum Anlass, das Ende der ständigen Rebellionen innerhalb der Sozialdemokratie auszurufen. Streitereien, sagte Muchitsch sinngemäß, sollten – wenn überhaupt – nur noch parteiintern ausgefochten werden. Daran hielt sich die SPÖ – zumindest kurz. Jetzt ist es ausgerechnet Muchitsch, der seinem Parteichef in den Rücken fällt. Geht gerade das rote Gemetzel wieder los?

Konkret richtete Muchitsch Babler über die "Kleine Zeitung" aus, dass er seinen Kurs ändern und in die Mitte rücken müsse – um wählbarer zu werden. Außerdem dürfe Babler nicht länger als "Schreckgespenst" der Wirtschaft auftreten. Intern werde in der SPÖ deshalb gerade an einem Konzept gearbeitet. Das war der versöhnlichere Teil des Interviews. Der Gewerkschaftschef ging noch weiter, griff die größten Versprechen an, für die Babler steht: Vermögenssteuern, die 32-Stunden-Woche.

Vermögenssteuern, erklärte Muchitsch, seien mit anderen Parteien schlichtweg nicht umsetzbar. Sie dürften daher nicht zur "unüberwindbaren Hürde" für Koalitionsverhandlungen erklärt werden. Auch bei der Arbeitszeitverkürzung habe die SPÖ nach Muchitschs Meinung den "Bogen überspannt". Die 32-Stunden-Woche hält der Steirer derzeit für nicht mehr als eine bloße "Vision", keinesfalls für eine Sache "von heute auf morgen".

Zugespitzt oder Frontalangriff?

Mit seinen offensiven Äußerungen hat Muchitsch seine eigenen Genossinnen und Genossen überrumpelt. Niemand aus der SPÖ traut sich einzuschätzen, ob Muchitschs Aussagen bloß zugespitzt wurden oder ob sie tatsächlich als Angriff auf Babler gedacht waren. Über allem steht die Frage, mit welchem Alleinstellungsmerkmal die Sozialdemokratie in die nächste Wahl gehen möchte: Wo soll die SPÖ Kanten abstumpfen, um koalitionsfähiger zu wirken? Etwa für eine Neuauflage der "großen Koalition" mit der ÖVP. Wo müssen die Sozialdemokraten hingegen eine klare Linie verfolgen? Aktuell gibt es in der SPÖ auf beide Fragen keine eindeutige Antwort.

Eine mögliche Erklärung für das Ausrücken des Gewerkschafters kursiert in seiner Partei hingegen schon: Muchitsch soll aktuell nicht die beste Gesprächsbasis mit dem Gewerkschaftsbund-Präsidenten Wolfgang Katzian pflegen. Hintergrund sei ein roter Machtkampf, der gerade ausbreche. Denn während Babler noch damit beschäftigt ist, eine Linie für den Wahlkampf zu finden, soll hinter den Kulissen schon über die Verteilung von Ministerposten debattiert werden. Eines der wichtigsten Ressorts ist aus Sicht der SPÖ und vor allem der Gewerkschaft das Sozialministerium. Und für das, so erzählen Sozialdemokraten, soll die Führungsspitze Barbara Teiber, ebenfalls Gewerkschafterin, vorsehen – nicht Muchitsch. Der Gewerkschafter ließ einen Anruf des STANDARD unbeantwortet.

Was bleibt, ist jedenfalls ein Schaden für die SPÖ – und Babler, direkt vor dessen Aschermittwochsrede. Muchitschs Ausritt ist aber kein Einzelfall. Auch die Koalitionsfrage wurde vergangene Woche von diversen roten Granden über Bablers Kopf hinweg diskutiert – natürlich öffentlich. Als Verfechter der großen Koalition tat sich ein bemerkenswertes Duo hervor: Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser und dessen Pendant aus Wien, Michael Ludwig. Beide gelten in der SPÖ für gewöhnlich als Stabilisatoren, wenn es in der Partei wieder einmal brennt. Mit ihrem offensiv vorgetragenen Koalitionswunsch Richtung ÖVP düpierten sie Babler mehr: Der SPÖ-Chef sagt schließlich, dass mit "dieser ÖVP" kein Staat zu machen sei. Da müsse sich erst einmal in der Volkspartei etwas ändern.

Doskozil will FPÖ nicht ausschließen

Dann stieg auch noch Burgenlands Landeschef Hans Peter Doskozil in die Debatte ein. Doskozil wiederum möchte eine Zusammenarbeit mit der FPÖ im Bund nicht dezidiert ausschließen. Selbiges äußerten die Roten in Niederösterreich. In dieser Frage ist Babler hingegen so klar wie sonst selten: Eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen schließt er kategorisch aus. In Niederösterreich und im Burgenland wird das ganz offensichtlich anders gesehen.

Bereits Anfang Februar hatte Doskozil dem SPÖ-Vorsitzenden offen widersprochen. Eigentlich wollte sich der Landeshauptmann nach der Vorsitzwahl vergangenes Jahr aus der Bundespolitik zurückziehen, doch kommendes Jahr wird auch im Burgenland wieder gewählt. Da gilt es, sich zu positionieren – und das heißt in dem Fall auch: gegen Bablers Linkskurs. Doskozil forderte nun eine Asylobergrenze für ganz Österreich: 10.000 Anträge solle es maximal im Jahr 2024 geben. Abgesprochen war die Forderung mit der Bundespartei nicht. Für die ist eine Obergrenze kein guter Lösungsansatz. An Gegenmeinungen aus dem östlichen Bundesland, die in der Zeit der Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner regelmäßig zu hören waren, wird sich wohl auch Babler gewöhnen müssen.

Babler ist parteiintern in einer ungünstigen Situation. Zum Parteichef wurde er auf dem Parteitag im Duell mit Doskozil vor allem durch die Stimmen von Gewerkschaftern und aus Wien. Ludwig hatte seinen Parteifeind Doskozil um jeden Preis verhindern wollen und deshalb für Babler mobilisiert. Kurz nach der Wahl Bablers erklärte Wiens Bürgermeister aber bald, er werde sich aus den Bundesgremien zurückziehen. Angeblich, um sich ganz auf seine Stadt zu konzentrieren, doch selbst parteiintern wurde ihm der Schritt von vielen als Spitze gegen Babler ausgelegt. Nun bröckelt offenbar auch der Rückhalt aus der Gewerkschaft bereits an sichtbaren Stellen.

Kickl-Verhinderer und Reformkanzler

Auch thematisch kann sich die SPÖ unter Babler gegen die rechte Konkurrenz bisher schwer durchsetzen. Die roten Strategen wollen Babler als Kickl-Verhinderer und potenziellen Reformkanzler positionieren. Ähnliche Pläne verfolgt jedoch auch Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer. Das hat er gerade mit seiner Rede in Wels klargestellt, als er seinen "Österreich-Plan" mit Anti-Kickl-Attitüde präsentierte: Auch Nehammer ruft das Kanzlerduell aus – allerdings zwischen ihm und dem FPÖ-Chef. Am ehesten schaffte es Babler mit der 32-Stunden-Woche, ein Thema zu setzen, das über einen längeren Zeitraum diskutiert wurde. Auch über Vermögenssteuern wird dieser Tage zwar mehr gesprochen als zuvor – aber der große rote Durchbruch? Der Sprung ins Kanzlerduell gegen Kickl? Selbst in der SPÖ sind viele skeptisch, ob das noch gelingt.

In Umfragen pendeln die Sozialdemokraten seit Bablers Parteiübernahme konsequent zwischen 25 und 22 Prozent. Die breitenwirksamen Auftritte des SPÖ-Chefs sind rar. Das letzte Video der SPÖ, das in sozialen Netzwerken viral ging, war keines von Babler, sondern ein fast 30-sekündiger Clip einer Rede von Philip Kucher. Der rote Chef im Parlamentsklub ließ sich im Nationalrat pointiert über Kickl aus. Aber auch das ist schon wieder zwei Wochen her. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, Max Stepan, 14.2.2024)