Dass das Thema neu wäre, kann man nur schwerlich behaupten. Schon im Wahlkampf 2020 haben Fragen rund um sein Alter Joe Biden, damals 77, begleitet. Und während seiner Amtszeit wurden diese Fragen stetig dringlicher. Schon im vergangenen Sommer ergaben Umfragen reihenweise, dass das Alter des Amtsinhabers, der im Falle seiner Wiederwahl mit 86 Lenzen in Pension gehen würde, für viele Amerikanerinnen und Amerikaner diesmal den Ausschlag geben könnte. Und eine Erhebung der "New York Times" im November zeigte sogar, dass ein "demokratischer Kandidat" (der Name wurde den Befragten nicht genannt) in wichtigen Swing States um 13 Prozentpunkte besser gegen Donald Trump abschneiden würde als Biden. Grund auch hier in vielen Fällen: das Alter.

Das Alter von US-Präsident Joe Biden steht im Mittelpunkt politischer Debatten in den USA. Er selbst ist darüber wenig begeistert, ans Aufgeben denkt er aber nicht.
AP/Andrew Harnik

Erst nun aber, nach dem Bericht des von den Republikanern eingesetzten Sonderermittlers Robert Hur in der Frage falsch gelagerter offizieller Dokumente, wird das Thema auch öffentlich breit diskutiert. Dieser beschrieb Biden, den er lang interviewte, als "wohlmeinenden älteren Mann mit schlechtem Gedächtnis", der sich an wichtige Details aus seinem eigenen Leben nur ungenau erinnern könne – und traf damit genau jenen Punkt, der vielen Menschen im Land ohnehin Sorge macht. Biden selbst tat sich im Anschluss mit einer eilig einberufenen Pressekonferenz, auf der er seine geistige Fitness demonstrieren wollte, nicht unbedingt einen Gefallen.

Video: Neue Debatte über Bidens Alter - "Mein Gedächntis ist gut"
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Das Thema ist auf dem Tisch

Zwar beschreiben fast alle, die eng mit Biden zusammenarbeiten, den Präsidenten als konzentriert und bis ins Detail in die Fragen der Weltpolitik involviert. Und auch die Ergebnisse seiner Arbeit mögen Biden weitgehend recht geben. Aber ob die Kritik nun fair oder unfair sein mag, ob Biden allein oder auch Trump vergesslich ist: Das Thema ist nun für den Wahlkampf gesetzt und wird so ausführlich breitgewalzt wie kaum ein anderes in diesem Jahr. Selbst Comedy-Altmeister Jon Stewart nahm die Angelegenheit zum Anlass für eine wenig optimistische Comeback-Sendung bei den Satirenachrichten "Daily Show".

Jon Stewart Tackles The Biden-Trump Rematch That Nobody Wants | The Daily Show
The Daily Show

Die im republikanischen Nominierungsduell gegen Trump weit zurückliegende Kandidatin Nikki Haley verbreitete angesichts der Nachrichten zuletzt mehrfach die Idee, Biden werde im Herbst gar nicht der demokratische Kandidat um die Präsidentschaft sein. Manche Demokraten mögen sich Ähnliches wünschen. Aber: Ist das noch realistisch? Sieht man sich die Möglichkeiten für einen späten Kandidatentausch an, kommt man zum Schluss: Unmöglich ist nichts. Allerdings würden fast alle möglichen Varianten eine Einsicht Bidens erforderlich machen –genau das also, was derzeit kaum vorhanden zu sein scheint.

Frage: Die Bedenken gegenüber Biden sind schon lange bekannt. Wieso ist er eigentlich bisher derartig unbedrängt durch die Vorwahlen gekommen?

Antwort: Weil fast alle ernstzunehmenden Kandidaten auf die folgende Wahl 2028 spekulieren. Eigentlich hatte Biden ja im Jahr 2020 den deutlichen Eindruck erweckt, er werde nur eine Amtszeit anstreben. Das tat er damals unter anderem durch die Formulierung, er wolle "eine Brücke" in die Zukunft der Partei sein. Daher sorgte es auch für einige Überraschung, als Biden im Frühjahr 2023 deutlich machte, dass er doch noch einmal antreten werde. Für viele jener möglichen Kandidatinnen und Kandidaten, die Biden beerben wollen, war das ein Signal: Der Präsident will es noch einmal wissen, als amtierender Präsident hat er innerparteilich die besten Karten. Geld und Mühen sollten also für die Kampagne 2028 gespart werden. Mögliche Anwärterinnen und Anwärter – wie etwa die Gouverneure Kaliforniens und Pennsylvanias, Gavin Newsom und Josh Shapiro, und Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer – richteten sich darauf ein. Biden blieben als Konkurrenz nur der Arzt und Verschwörungstheoretiker Robert F. Kennedy Jr., der weitgehend unbekannte Abgeordnete Dean Phillips und die Sachbuchautorin Marianne Williamson übrig. Kennedy hat sich mittlerweile entschieden, statt für die Demokraten als Unabhängiger anzutreten. Williamson und Phillips blieben in der Vorwahl chancenlos, Erstere hat ihre Kampagne mittlerweile suspendiert.

Frage: Könnte noch jemand in die Vorwahlen einsteigen?

Antwort: Theoretisch ja, praktisch nein. Mehrere Abstimmungen sind ja schon gelaufen, und in vielen Bundesstaaten sind die Fristen für eine Einschreibung schon vorbei. Ein Einstieg jetzt wäre also nur teilweise möglich und jedenfalls völlig sinnlos.

Frage: Biden wird also mit großer Mehrheit die meisten Delegierten gewinnen. Kann der Parteitag trotzdem jemand anderen nominieren?

Antwort: Die Delegierten sind in großer Mehrheit an die Ergebnisse in ihren Bundesstaaten gebunden – das sehen die Parteiregeln so vor. Diese können zwar geändert werden; allerdings müsste es das zuständige Parteikomitee so beschließen. Und davon ist nicht auszugehen, denn als Gewinner der letzten Nominierung und aktueller Präsident kontrolliert Biden die wichtigen Parteigremien bzw. hat diese mit seinen Anhängern besetzt, wie der TV-Sender NBC News zusammenfasst. Biden einfach so abzuwählen wird, da er mit größter Wahrscheinlichkeit die Vorwahlen gewinnt, de facto also unmöglich sein.

Frage: Biden steht also als Kandidat der Demokraten fest?

Antwort: Das ist so auch wieder nicht gesagt – immerhin müssen die Parteiregeln ja auch etwa für Schicksalsschläge, Krankheiten oder den Tod von Kandidatinnen und Kandidaten gewappnet sein. Darüber hinaus könnte Biden jederzeit auch von sich aus verzichten. Auch dann muss ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gefunden werden.

Frage: Wäre das dann automatisch eine andere Kandidatin oder ein Kandidat aus der Vorwahl? Oder würde Kamala Harris als Vizepräsidentin nachrücken?

Antwort: Was Harris betrifft: nein. Die Rolle der Vizepräsidentin hat formell nichts mit der Präsidentschaftskandidatin zu tun. Als Bidens Kandidatin für die Vizepräsidentschaft 2024 steht Harris zwar informell fest, weil Biden an ihr festhalten möchte. Formell fix ist aber auch das noch nicht, sie muss beim Parteitag im August nominiert werden. Auch danach würde Harris Biden übrigens nicht automatisch folgen – sollte Biden nach seiner Nominierung am Parteitag ausfallen, wäre ebenfalls eine Sonderkonferenz der Partei nötig, um die Nominierung für die Präsidentschaft neu zu vergeben, so NBC.

Was die anderen Kandidatinnen und Kandidaten betrifft, ist die Sache komplizierter. Fällt Biden während des Vorwahlkampfs aus, läuft dieser ohne ihn weiter. Dann können Williamson und Phillips Delegiertenstimmen sammeln und sich mit Mehrheit im Parteitag für die Präsidentschaft nominieren lassen. Fällt Biden aber erst aus, nachdem er eine Mehrheit der Delegierten auf seiner Seite versammelt hat, entscheiden diese am Parteitag und sind nicht mehr an die Vorwahlergebnisse gebunden. Dieses Szenario wäre die einfachste Variante, um Biden noch zu ersetzten.

Freilich lässt der Präsident bisher dazu keinen Willen erkennen. Offen ist, ob sich in der Kürze der Zeit dann noch ein glaubhafter Gegenkandidat für Trump aufbauen und im Land bekanntmachen lässt. Und auch, wer das sein sollte. Eine andere Frage hat die "New York Times" kürzlich geklärt: Auf den Stimmzetteln im November muss ein Name stehen. "Der Demokrat" als Wahlmöglichkeit und eine spätere Klärung durch die Partei – das würde nicht ausreichen. (Manuel Escher, 14.2.2024)