Frau in den 50ern mit Schnittlinien für einen plastischen Eingriff
Die plastische Chirurgie eröffnet Möglichkeiten und den Gedanken "Was wäre, wenn". Das ist wohl auch der Grund, warum das Thema so fasziniert.
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Plastische Chirurgie kann für heiße Diskussionen sorgen. Manche schätzen die Möglichkeit, ein optisches Merkmal anzupassen, andere lehnen jeglichen potenziellen Eingriff strikt ab. Zwischen emotionalisierenden Bildern aus dem Reality-TV und Social-Media-Beautytrends wird aber oft vergessen, dass es in dem chirurgischen Fach nicht nur um visuelle Optimierung geht. Plastische und rekonstruktive Chirurginnen und Chirurgen operieren auch großflächige Hauttumore, rekonstruieren die Brust nach Krebs oder machen Hauttransplantationen bei Verbrennungsopfern.

Dieses Spannungsfeld zwischen Schönheit und Lebensrettung beschäftigt die Ärztinnen und Ärzte, man ist sich der Ambivalenz sehr wohl bewusst, sagt Rupert Koller. Er ist seit Herbst 2023 Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie und seit 1996 Facharzt. Im STANDARD-Interview erklärt er, warum auch rein ästhetische Operationen eine Berechtigung haben, warum das Fach bei immer älter werdender Bevölkerung hochrelevant ist und wie man Patientinnen und Patienten herausfiltert, die eigentlich eher psychologische Betreuung bräuchten statt einer neuen Optik.

STANDARD: Die Menschen werden immer älter. Und wollen dabei oft jung aussehen. Was bedeutet das für die plastische und rekonstruktive Chirurgie?

Koller: Das kann man gar nicht so einfach beantworten. Das Fach ist ja extrem breit. Auf der einen Seite gibt es den Ordinarius an einer Universitätsklinik, der schauen muss, dass er Forschungsgelder bekommt, um wissenschaftliche Projekte vorantreiben zu können. Auf der anderen Seite ist der rein ästhetische Chirurg, der nur in diesem Bereich arbeitet, selbstständiger Unternehmer ist, seine Angestellten bezahlen muss und in erster Linie Privatpatientinnen und -patienten betreut. Der hat genau die gleiche Ausbildung gemacht, hat sich aber für diesen Weg entschieden. Das sind sehr unterschiedliche Interessen, und da werden auch sehr unterschiedliche Dinge angeboten.

Ich selbst sitze ein bisschen in der Mitte. Ich leite zwei Spitalsabteilungen, auf denen wir im Grunde Basisversorgung machen, also alles, was die Menschen brauchen. Und ich betreibe auch eine private Ordination, in der ich ästhetische Chirurgie anbiete.

STANDARD: Und was brauchen die Menschen?

Koller: Im Spital bedeutet es, dass in Zukunft sicher noch mehr ältere Patientinnen und Patienten zu uns kommen werden. Als ich angefangen habe, hat man etwa einer 75-jährigen nach Krebs nicht zwingend eine Brust-Rekonstruktion gemacht, heute ist das selbstverständlich. Ein wichtiges Thema sind auch große Hauttumore, die immer häufiger werden. Mehr Lebensjahre bedeutet ja auch mehr Sonneneinstrahlung. Wir operieren jetzt schon viele 80-, 90-Jährige mit solchen Tumoren. Diese Eingriffe machen die Plastiker, weil da oft so viel Haut weggenommen werden muss, dass große Löcher entstehen, die gilt es, wieder gut zu verschließen. Wir operieren im Krankenhaus auch zunehmend Menschen, die mehrere gesundheitliche Probleme oder chronische Krankheiten wie etwa Rheuma haben und entsprechende Medikamente einnehmen. Das kann sich zum Beispiel auf die Wundheilung auswirken, da ist man oft sehr gefordert.

STANDARD: Und was tut sich bei den rein ästhetisch arbeitenden Kolleginnen und Kollegen?

Koller: Zu denen kommen natürlich auch immer mehr ältere Patientinnen und Patienten, die eine Verbesserung des Aussehens wollen. Wir sehen einfach insgesamt, dass der Bedarf an chirurgischen Maßnahmen zunimmt.

STANDARD: Bedarf ist ja relativ, wenn es um ästhetische Eingriffe geht. Das ist eher ein individueller Wunsch.

Koller: Wenn es eine Nachfrage gibt, dann gibt es einen Bedarf. Es gibt auch einen Bedarf an blauen Sakkos, obwohl man doch einen Pullover anziehen könnte. Das ist auch nichts Neues, ästhetische Chirurgie ist keine Erfindung des 20. oder 21. Jahrhunderts. Man weiß, dass schon Menschen in der Antike Maßnahmen gesetzt haben, um attraktiver auszusehen. Das ist keine durch Hochglanzmagazine angestoßene Entwicklung. Aber tatsächlich hat sich die Klientel etwas verändert. Mittlerweile hat ein viel weiterer Kreis Zugang zu solchen Eingriffen. Das ist keine Sache der "Reichen".

STANDARD: Gibt es dazu Zahlen?

Koller: Mit Zahlen sind wir in Österreich leider nicht sehr gut. Aber es gibt erstaunlich viele Menschen, die 6.000 oder 7.000 Euro sparen und sich zum Beispiel den Wunsch einer Brustvergrößerung erfüllen.

STANDARD: Tatsächlich wird das Geschäft mit ästhetischen Behandlungen immer größer. Und da gibt es auch immer wieder Skandale ...

Koller: Das stimmt, und hier muss man sehr genau unterscheiden. Mein Kerngeschäft als Chirurg sind ästhetisch-operative Eingriffe, aber natürlich zählen dazu auch ästhetische Behandlungen, etwa mit Botox und Fillern. Das dürfen Medizinerinnen und Mediziner mit entsprechender Ausbildung machen, das ist das ganz klar geregelt. Aber es kommt leider immer wieder vor, dass solche Behandlungen auch in Kosmetiksalons angeboten werden, von nicht entsprechend ausgebildeten Personen, einfach weil es ein gutes Geschäft sein kann. Das ist ein Straftatbestand.

Der Aufschrei kommt dann, wenn etwas nicht gut geht. Da muss man auch als Patient oder Patientin sehr genau hinschauen, ob die Person, die so eine Behandlung durchführt, entsprechend ausgebildet ist. Für die plastische Chirurgie etwa gibt es einen ganz klaren Ausbildungskatalog, da sind natürlich auch Unterspritzungen und minimalinvasive Eingriffe drin. Und das können alle, auch jene, die nur in einem öffentlichen Spital tätig sind. Man macht ja auch Unterspritzungen nach Brustkrebs oder nach Gesichtsverletzungen. Diese umfassende Ausbildung und Qualitätssicherung ist uns wirklich wichtig.

STANDARD: Immer wieder hört man, ästhetische Eingriffe seien auch deshalb wichtig, weil es sich auf die Psyche auswirken kann, wenn man sich nicht wohlfühlt in seinem Körper. Ist das eine gerechtfertigte Legitimierung?

Koller: Ja und nein, da sollte man sehr genau hinschauen. Ein älterer Kollege hat dazu eine Art Ampelsystem entwickelt, um Patientinnen und Patienten einzuschätzen. Da wird einmal gefragt, wie sehr das Problem stört. Ein bisschen? Oder so sehr, dass man sofort weinen könnte, wenn man daran denkt? Dann fragt man, wie oft es stört. Jedes Mal, wenn man daran denkt oder in den Spiegel schaut? Oder nur ab und zu? Und die Ausschließlichkeit ist ein wichtiges Prinzip. Also ist es nur die Nase? Oder nur die Brust? Und nicht mehrere Dinge. Wenn eine einzige Sache sehr häufig und sehr stark stört, dann kann ein Eingriff für diese Person wirklich das Lebensgefühl positiv verändern.

Rupert Koller (59) ist seit 1996 Facharzt für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie. Er leitet die plastischen Stationen in den Wiener Kliniken in Landstraße und Ottakring, seit dem Jahr 2000 betreibt er auch eine private Ordination. Seit Herbst 2023 ist er Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie.
(c) Saint-Clair

Ich habe selbst Patientinnen operiert, die nach zwei Schwangerschaften eine stark hängende Brust hatten, dann ist womöglich noch der Mann verschwunden, die ganze Lebensfreude war weg. Und zwei Wochen nach der Brust-OP ist da wirklich ein anderer Mensch bei der Praxistür hereingekommen, sie haben sich selbst wieder mehr geschätzt. Also eine Sache, die einen wirklich stört, kann sehr große Auswirkung auf das Selbstwertgefühl haben.

STANDARD: Aber es gibt ja auch viele andere ...

Koller: Ja, natürlich, da muss man sehr hellhörig sein. Wenn man schon so lange dabei ist wie ich, entwickelt man aber ein gutes Sensorium. Wenn jemand nach der Nase auf einmal die Brust machen lassen will und womöglich noch etwas anderes, muss man vorsichtig sein. Diesen Menschen kann man wahrscheinlich eher nicht helfen. Es wäre wohl nicht angebracht zu sagen, gehen Sie zum Psychiater. Aber man lehnt dann am besten den Eingriff ab und sagt, dass man nicht der Richtige ist für dieses Thema. Man kauft sich sonst potenziell viele Probleme ein, weil die Person eigentlich eine psychologische Betreuung bräuchte.

STANDARD: Aber wie weiß man, wer passende Patientinnen oder Patienten sind?

Koller: In der ästhetischen Chirurgie muss man wirklich sehr genau fragen und zuhören. Wenn jemand reinkommt und auf meine Frage, wie ich helfen kann, sagt, "Das sehen Sie ja eh", dann antwortete ich: "Nein. Ich weiß nicht, was sie stört." Manchmal habe ich eine Vermutung, aber es kommt oft genug vor, dass die Person dann ganz etwas anderes anspricht. Man darf da nie jemandem die eigene Meinung aufdrängen.

STANDARD: Wie weiß man, wie man einen ästhetischen Eingriff am besten umsetzt? Orientiert man sich da an Schönheitsidealen oder am goldenen Schnitt für die Proportionen?

Koller: Es gibt natürlich bestimmte Kriterien oder Durchschnittswerte, wie zum Beispiel die "ideale Nase" aussieht. Aber das heißt nicht, dass das Ergebnis dann unbedingt natürlich aussieht. Die Nase muss ja auch ins Gesicht passen. Man muss also die Vorstellungen genau ergründen und dann besprechen, wie man zu diesem Ergebnis kommt. Stört zum Beispiel jemanden die Nasenspitze, kann es sein, dass man auch an der Breite etwas wegnehmen muss, damit es danach nicht gemacht aussieht. Das Zauberwort ist individuelle Anpassung. Viele kommen auch mit Bildern in die Ordination, wie sie sich die Optik vorstellen, die lasse ich mir auch gerne zeigen. Aber dann muss man besprechen, ob das so sinnvoll ist und wie sich das überhaupt umsetzen lässt.

STANDARD: Was gehört alles zum plastischen Fach? Man hört vorwiegend von der ästhetischen Chirurgie, aber Plastiker machen ja viel mehr?

Koller: Das Fach ist extrem breit, das zeigt mein eigener Arbeitsalltag. Vergangene Woche etwa habe ich einen Patienten mit einem großen, potenziell bösartigen Weichteiltumor operiert, bei dem man die Wunde wieder gut verschließen musste. Am nächsten Tag habe ich einen Patienten operiert, der nach einer Tumorentfernung ein Loch in der Nase hatte, da konnte man richtig hineinschauen. Das haben wir mit Gewebe von der Stirn verschlossen. Tags darauf habe ich einer Privatpatientin die Brust rekonstruiert, mit einem Lappen vom Bauch. Das ist ein Eingriff unter dem Mikroskop, der dauert fünf oder sechs Stunden. Das ist High-End-Chirurgie, man ist wirklich gefordert. Ähnlich wie wenn ein Formel-1-Fahrer ein Rennen fährt, nur dauert es dreimal so lang. Dann hab ich bei einem alten Herrn mit gut behandelter Leukämie große Hauttumore entfernt, eine Nebenwirkung der Medikamente. Und dann habe ich noch Brustkrebspatientinnen operiert.

Insgesamt hat unser Fach vier Säulen, die Handchirurgie, die rekonstruktive Chirurgie, Verbrennungschirurgie und eben die Ästhetik. Vor allem die Verbrennungschirurgie ist sehr spannend, aber auch extrem aufwendig, da sprechen wir von Polytraumen, Betroffene brauchen oft ein Leben lang immer wieder Eingriffe.

STANDARD: Und trotzdem spricht man in erster Linie von der ästhetischen Chirurgie.

Koller: Das stimmt, da ist eine Diskrepanz drin. Das liegt auch daran, dass die Kolleginnen und Kollegen, die da spezialisiert sind, PR und Werbung dafür machen, das ist Teil ihres Geschäftsmodells, und das Interesse in der Gesellschaft ist auch da. Das ist auch nichts Unehrenhaftes, es gibt einen Ehrenkodex für dieses Fach, der den Rahmen feststeckt, daran muss man sich halten. Aber wir wollen natürlich in unserer kompletten fachlichen Breite wahrgenommen werden, nicht nur mit der Schönheitschirurgie. Wenn uns dann beispielsweise die Dermatologinnen oder Kieferchirurgen die Schönheitschirurgie streitig machen wollen, dann sind wir sehr bedacht darauf, uns klar abzugrenzen, diese Ambivalenz muss ich offen zugeben.

Vielen ist dabei nicht klar, dass ganz vieles aus dem ästhetischen Bereich aus der rekonstruktiven Chirurgie kommt. Der brasilianische "Vater der Schönheitschirurgie", Ivo Pitanguy, etwa hat ursprünglich Verbrennungschirurgie gemacht. In Israel wiederum gibt es viele plastische Chirurgen, die Kriegsopfer versorgt haben. Die wirklich guten Ästhetiker haben alle vorher extrem komplizierte und fordernde rekonstruktive Eingriffe gemacht. Auch in Österreich, Kolleginnen und Kollegen, die man etwa aus dem Fernsehen kennt, haben alle hervorragend rekonstruktiv gearbeitet.

STANDARD: Warum gehen die in die Privatordinationen? Weil es entspannter ist?

Koller: Vordergründig mag das so scheinen. Man kann sich etwa die Arbeitszeiten eher selbst einteilen und verdient auch ein bisschen mehr. Aber das ist immer hart verdientes Geld. Die Kolleginnen und Kollegen arbeiten zum Teil sieben Tage die Woche. Das wird oft nicht gesehen. Und es ist auch ein Risiko. Geht einmal etwas daneben, dann ist das schnell in den Medien, es gibt Klagen, und das kann auch für die Reputation des Faches extremen Schaden anrichten.

STANDARD: Bei minimalinvasiven Eingriffen wie Unterspritzungen gibt es ja Trends, die sich immer wieder verändern. Wie entstehen diese Trends?

Koller: Ich glaube, wir müssen hier sehr vorsichtig sein. Da steckt natürlich Marketing dahinter, dass solche Trends so groß werden, etwa durch Social Media. Aber auch die Chirurginnen und Chirurgen spielen eine Rolle.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Koller: Nun ja, ein ästhetischer Chirurg muss auch irgendwo ein Geschäftsmann sein. Wo der Trend in der eigenen Ordination hingeht, hat auch viel damit zu tun, was das eigene Spezialgebiet ist. Arbeitet man vorwiegend minimalinvasiv, bietet man auch das mehr an. Ist ein Plastiker spezialisiert auf das große Facelifting oder auf Fettabsaugung, dann kommen die Menschen zu ihm, die danach suchen, einfach weil er es gut kann. Man schafft sich mit dem eigenen Angebot und der Art, wie man sich präsentiert, auch in den Medien, die eigene Klientel. Und wenn einer von sich behauptet, dass er alles gut kann, also das gesamte Spektrum, dann würde ich das eher mit Vorsicht genießen. Das geht einfach nicht, weil das Fach viel zu groß ist.

STANDARD: Warum fasziniert das Thema Schönheitschirurgie so? Im Guten wie im Schlechten ...

Koller: Unser Fach eröffnet Möglichkeiten. Ich glaube, viele denken über die Möglichkeit nach, etwas zu verändern, auch wenn sie es nie umsetzen. Ob man sich das Kniegelenk ersetzten lässt, obwohl es nicht kaputt ist, darüber denkt wohl niemand nach. Ich bin auch dankbar dafür und stolz darauf, dieses Fach zu praktizieren, eben weil es diese Möglichkeiten eröffnet. (Pia Kruckenhauser, 18.2.2024)