Der Status quo spiegelt den Wunsch nach einer starken internationalen Rolle der Europäischen Union in den Augen der österreichischen Wählerinnen und Wähler nicht wider: Nur 41 Prozent meinen, dass die derzeitige EU ein Gegengewicht zu Großmächten wie USA oder Russland darstellt.
AP/Virginia Mayo

Für viele Österreicherinnen und Österreicher war es vor 30 Jahren das entscheidende Argument, in der Volksabstimmung dem Beitritt zur Europäischen Union zuzustimmen: "Die EU ist ein erfolgreiches Friedensprojekt." Der damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) hatte die Formel nach dem Abschluss der Beitrittsverhandlungen immer wieder verwendet. Heute könnte er damit aber nicht mehr überzeugen: Nur 41 Prozent der Wahlberechtigten stimmen der Aussage derzeit zu, ebenso viele stimmen mit ihr nicht überein, der Rest ist unentschieden. Das geht aus der aktuellen Umfrage des Linzer Market-Instituts für den STANDARD hervor.

Wobei ein genauerer Blick auf die Daten zeigt, dass die Formel in den Wählerschaften von Grünen, Neos und SPÖ immer noch mit deutlicher Mehrheit verfängt, unter Freiheitlichen aber eine klare Ablehnung erfährt. "Wer FPÖ wählt, lässt an der EU mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum ein gutes Haar", erklärt Market-Politikforscher David Pfarrhofer. "Eine Mehrheit der FPÖ-Präferenten anerkennt beispielsweise auch nicht, dass die EU mit ihrem Erasmus-Programm Studenten eine gute internationale Ausbildung ermöglicht oder dass die offenen Binnengrenzen das Wirtschaftswachstum begünstigt haben."

Schwerpunkt Wirtschaft

Apropos Wirtschaft: Die wirtschaftlichen Aspekte der EU erweisen sich in der aktuellen Umfrage als stabil mehrheitsfähig. 55 Prozent meinen auch in der derzeit schwierigen Wirtschaftslage, dass die offenen Grenzen das Wirtschaftswachstum begünstigt haben – vor der EU-Wahl 2014 sagten das (bei einer ähnlich schwierigen Wirtschaftslage) 51 Prozent, in der Hochkonjunkturphase vor der EU-Wahl 2019 sogar 66 Prozent. Umgekehrt sagen nur 37 Prozent, dass Österreichs Wirtschaft ohne die EU erfolgreicher wäre.

Ähnlich stabil ist die Meinung zum Euro: Nur 27 Prozent halten die Einführung des Euro für einen Fehler, ebenso viele sagen, ein Fortbestehen der Schilling-Währung wäre für Österreich besser gewesen. Aber 56 Prozent meinen, dass alle Länder Europas den Euro verwenden sollten – wiederum sind es die FPÖ-Anhänger, die die Gemeinschaftswährung mit großer Mehrheit ablehnen. Sie schließen sich auch nicht der von 53 Prozent aller Wahlberechtigten vertretenen Meinung an, nur eine gemeinsame Wirtschaftspolitik schaffe europaweit Arbeitsplätze.

In einigen Punkten aber stimmen die Wählerschaften aller Parteien weitgehend überein: "Am häufigsten wird in unserer Umfrage darauf hingewiesen, dass man über die Arbeit der Abgeordneten zum Europäischen Parlament in Österreich zu wenig weiß. Das sagen 71 Prozent der Befragten, da ist es ziemlich egal, welcher Partei sie anhängen. Das kann man als Vorwurf an die jeweiligen Parteien interpretieren und auch als Vorwurf an die Medien, denn wenn man ehrlich ist, ist das Europäische Parlament ja vor allem dann ein Thema, wenn wieder eine Europawahl ansteht", sagt Pfarrhofer.

FPÖ liegt vorn

Market hat erhoben, welche Parteien mit ihren Spitzenkandidaten derzeit – also noch bevor ein Wahlkampf stattgefunden hat – gewählt würden. Zuletzt hatte ja die ÖVP mit Othmar Karas 34,6 Prozent erreicht, derzeit liegt sie mit Reinhold Lopatka in der Hochrechnung um zehn Prozentpunkte hinter diesem Ergebnis. Damit ist sie etwa gleichauf mit der SPÖ, für die zuletzt Andreas Schieder 23,9 Prozent geholt hat und die laut Market nun mit 23 Prozent rechnen könnte.

Beide werden in der Hochrechnung von der FPÖ überholt: Harald Vilimsky könnte für seine Partei derzeit 27 Prozent gewinnen, etwa zehn Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren, als er (ebenso wie Schieder) bereits Spitzenkandidat war. Die Neos könnten mit der Kandidatur von Helmut Brandstätter von zuletzt 8,44 auf etwa zwölf Prozent zulegen, die Grünen mit Lena Schilling etwa im selben Ausmaß von 14,1 auf etwa elf Prozent zurückfallen. Leichte Zugewinne könnte es für die KPÖ mit Günther Hopfgartner geben, ihr traut Pfarrhofer zwei Prozent zu.

Das alles könnte sich durch einen Wahlkampf noch verschieben. Und die Themenliste für so einen Wahlkampf wäre lang – DER STANDARD hat einige der Europa-Themen abfragen lassen:

Pfarrhofer verweist auf ein weiteres Umfrageergebnis, das den Unmut mit der EU zeigt, aber diesen auch in Relation setzt: "Wir haben gefragt, ob sich die Dinge in der EU generell in die richtige oder in die falsche Richtung entwickeln. Da glauben zwei Drittel, dass es falsch läuft – und das auch nicht erst seit gestern, sondern schon seit zehn Jahren unverändert. Auch 2014 hat gerade einmal jeder Fünfte gesagt, dass sich die Dinge richtig entwickelten, das ist heute nicht mehr und nicht weniger. Aber ist das ein Grund, aus der EU auszutreten? Natürlich nicht. Nur 23 Prozent wollen einen EU-Austritt. Aber auch da sind es die FPÖ-Wähler, die anders ticken, denn von denen will jeder Zweite raus aus der EU." (Conrad Seidl, 19.2.2024)