Unter Josef Stalin wurden einst tausende politische Gegner oder auch nur unliebsame Parteifreunde nach kurzen Schauprozessen hingerichtet. Der heutige Kreml-Chef eliminiert seine Feinde selektiv und auf heimtückischen Wegen. Wladimir Putin lässt sie, wie den Oppositionspolitiker Boris Nemzow, auf der Straße von Unbekannten erschießen oder von seinen Agenten vergiften.

Auch bei Alexej Nawalny wird die russische Regierung jede Schuld von sich weisen. Der arme Mann war eben nicht gesund. Aber diesmal wird ihr das nicht gelingen. Der Giftanschlag auf Russlands führenden Oppositionellen im Sommer 2020 geschah auf Befehl des Kreml, das hat das Recherchenetzwerk Bellingcat klar belegt. Als der Mordversuch scheiterte und Nawalny in einem für viele überraschenden Akt des Heldenmuts nach Russland zurückkehrte, ließ das Regime ihn 2021 verhaften, auf Grundlage absurder Vorwürfe verurteilen und dann über immer schlimmere Haftbedingungen und mangelnde medizinische Versorgung langsam sterben. Jede andere Erklärung für den Tod des 47-Jährigen ist unglaubwürdig. Es war ein langsamer und grausamer Mord, den Putin an seinem schärfsten Kritiker begangen hat.

Alexej Nawalny im Jahr 2018
Alexej Nawalny im Jahr 2018 bei einer Anti-Putin-Demonstration in Moskau. 2020 wurde der Oppositionelle Opfer eines Giftanschlags, als er 2021 wieder nach Russland zurückkehrte, wurde er sofort verhaftet.
AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV

Putins Alleinherrschaft dauert inzwischen genauso lang wie die von Stalin. Dass es ihm nach 25 Jahren an der Macht nicht reichte, Nawalny auf Jahrzehnte wegzusperren, zeigt, dass er sich vor ihm gefürchtet hat. Denn Nawalny hat mit seiner Bewegung die beiden Schwachstellen des Regimes ausgenutzt: die massive Korruption, die auch unpolitische Bürgerinnen und Bürger angesichts des täglichen Existenzkampfes empören kann; und die fehlende Kontrolle über die sozialen Medien. Seine Videos, etwa das von Putins Palast am Schwarzen Meer, trafen den Diktator offenbar ins Mark.

Seit der Annexion der Halbinsel Krim und dem ersten Angriffskrieg gegen die Ukraine vor zehn Jahren hat Putin diese brodelnde Unzufriedenheit mit extremem Nationalismus erstickt. Dass dies nicht mehr so gut funktioniert, zeigt sich bereits an der scharfen Zensur und zunehmenden Repression seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022. Den massiven Zulauf, den der wenig charismatische Präsidentschaftskandidat Boris Nadeschdin erhielt, nachdem er den Krieg verurteilt hatte, zeigt, wie brüchig Putins Popularität geworden ist.

Das wird seinen Sieg bei der Präsidentschaftswahl im März nicht schmälern. Und mit allen Machtinstrumenten in seiner Hand könnte er bis an sein Lebensende regieren. Diktatoren fallen nur dann, das zeigt sich weltweit, wenn sie selbst gravierende Fehler begehen.

Aber der Mord an Nawalny ist ein klares Signal dafür, dass Russland mehr oder weniger wieder zu dem geworden ist, was es vor Michail Gorbatschows Perestroika war – eine blutige Diktatur, die den Menschen kaum Freiraum gibt. Der Staatskapitalismus funktioniert zwar besser als die einstige Planwirtschaft, aber jungen gebildeten Menschen bietet das Land kaum Hoffnung. Sie werden, wenn sie können, auswandern, und daran werden auch militärische Erfolge in der Ukraine nichts ändern.

Mit Nawalny ist in Russland auch die letzte kleine Hoffnung auf eine bessere Zukunft gestorben. Eine vergleichbare Galionsfigur hat die schwache Opposition nicht. Putin herrscht absolut, über ein zunehmend dunkles Reich. (Eric Frey, 16.2.2024)