Die Rolle der Künstlerin Maria Lassnig ist Birgit Minichmayr auf den Leib geschrieben.
Die Rolle der Künstlerin Maria Lassnig ist Birgit Minichmayr auf den Leib geschnitten.
coop99 Filmproduktion

Kultur ist, wenn man etwas nur manchmal macht, sagt ein Kind zu einem anderen. Ein anderes versucht, den Begriff zu erklären, indem es aufs Tanzen verweist. "Kultur ist Tanzen, aber nur mit deiner Familie, deiner Religion."

Es sind Zweit- oder Drittklässler mit Migrationshintergrund, die über "Kultur" nachdenken. Mit ihrer Lehrerin Ilkay Idiskut lernen sie verdammt viel. Sie lernen etwa, dass man Mädchen nicht vorzuschreiben hat, was sie anziehen dürfen. Auch, dass man Konflikte nicht mit Schlägen löst und dass man aus einer Gemeinschaft niemanden ausschließen darf.

Die Heldin von
Die Heldin von "Favoriten": Lehrerin Ilkay Idiskut.
Ruth Beckermann Filmproduktion

Ruth Beckermanns Langzeitdokumentation "Favoriten" begleitet eine Klasse in der größten Volksschule im gleichnamigen Wiener Bezirk. Es geht um das Kindsein und die Freude am Lernen, die, unabhängig von Herkunft oder Kultur, vorhanden ist und gefördert werden muss.

Der Film, der heuer auch die Diagonale eröffnen wird, ist eine kraftvolle Hommage an den Lehrberuf und eine implizite Forderung nach einer Reform des vom Personalmangel ausgehungerten Bildungssystems. Für Beckermann und Film-Heldin Ilkay Idiskut gab es in Berlin verdienten Applaus.

Minichmayr-Festspiele

Birgit Minichmayr als Maria Lassnig.
Schrullig: Birgit Minichmayr als Maria Lassnig.
coop99 Filmproduktion

Applaus gab es auch nach Anja Salomonowitz‘ grandiosem Maria-Lassnig-Biopic "Mit einem Tiger schlafen" am Samstagabend. Falls sich aber jemand darüber gewundert haben sollte, warum die Hauptdarstellerin Birgit Minichmayr nicht in Berlin anwesend war – die zeitgleich angesetzte "Heldenplatz"-Premiere am Wiener Burgtheater war schuld.

In Berlin hätte man die Schauspielerin auch gerne gefeiert, denn sie spielt zwei wunderbare Hauptrollen in Filmen, die hier am Wochenende uraufgeführt wurden: einmal eine hölzerne Landpolizistin in Josef Haders "Andrea lässt sich scheiden", einmal Maria Lassnig in "Mit einem Tiger schlafen".

Minichmayr als Maria Lassnig ist die Erfüllung eines Wunsches, von dem man nicht wusste, dass man ihn hatte. Es ist ein Künstlerporträt für jene, die das Genre Biopic satthaben. Gekonnt durchkreuzt die Regisseurin Erzählkonventionen und schüttelt Klischees lässig ab. Salomonowitz' Maria Lassnig ist forsch, unangepasst, dauergekränkt und unheimlich begabt. Minichmayr verkörpert sie vollkommen uneitel in all ihren Lebensaltern, von der Jugendlichen bis hin zur 90-Jährigen. Das kreiert ungewöhnliche, aber willkommene Dissonanzen.

Oft füllen Lassnigs Bilder die Leinwand, und man wird Zeuge ihres Schaffensprozesses, der, weil sie jede Empfindung verkörpern musste, bevor sie malen konnte, zäh und langwierig war. Valie Export kriegt ihr Fett weg, ebenso wie Arnulf Rainer und einige Kunstsammler. Ameisen transportieren Bilder und hin und wieder adressieren Darsteller und Bekannte von Lassnig, etwa Elfie Semotan, direkt die Kamera, um ihre Perspektive auf die Künstlerin mitzuteilen. Ein Künstlerinnenporträt voll von Kreativität und Widerborstigkeit.

Kein Kabarettfilm

Widerborstig ist Minichmayr auch als Titelfigur in "Andrea lässt sich scheiden", der am Sonntagabend im Panorama Weltpremiere feierte und schon diese Woche in den heimischen Kinos anläuft. Wer sich einen Kabarettfilm inklusive Schenkelklopfer erwartet, wird enttäuscht werden.

Filmladen Filmverleih

Haders Blick auf Niederösterreich ist beinahe soziologischer Natur. Männer, die die Trennungen von ihren Frauen im Alkohol ertränken, treffen auf Frauen, die ihre Unabhängigkeit fordern. Alle fahren sie Auto, auch wenn sie es nicht sollten. Wenn Andrea dann, weil ihr Auto aufgrund eines dubiosen Schadens in der Werkstatt ist, mit dem Rad durchs Dorf fährt oder zu Fuß geht, wirkt das wie ein Akt des Widerstands gegen die motorisierte, patriarchale Gesellschaft; und ihre Gefühlskälte wie die Reaktion auf die emotionale Bedürftigkeit der Männer um sie herum.

Was – um auf den Anfang zurückzukommen – ist nun Kultur? Bleibt man unter sich oder wagt man Neues? Die drei österreichischen Berlinale-Beiträge haben sich auf vollkommen unterschiedliche Art und Weise alle auf ein Tigertänzchen mit österreichischer Kultur eingelassen. (Valerie Dirk aus Berlin, 19.2.2023)