Heldenplatz Minichmayr, Pätzold
In der Neuinszenierung von "Heldenplatz" am Burgtheater wird nun gemeinsam gebügelt: Birgit Minichmayr und Franz Pätzold (v. re.).
Matthias Horn

Hat man Thomas Bernhards Heldenplatz bei Neuinszenierungen der letzten Jahre vor allem seiner komödiantischen Schlagkraft wegen beklatscht, so kommt das Stück 2024 – nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 und in einem Wahljahr, in dem hemmungsloser Rechtspopulismus Showtreiber ist – mit neuer Gravität daher. Sätze wie "unter der Oberfläche ist ja der Nationalsozialismus schon längst wieder an der Macht" schmettert Professor Robert (Birgit Minichmayr) in Frank Castorfs Fünfstünder bei der Premiere am Samstag am Burgtheater nüchtern ins Publikum.

Burgtheater Wien

Sachlich nüchtern, aber in Form einer Farce. Denn den berühmten Österreich-Monolog des Professor Robert am Begräbnistag seines sich in den Selbstmord gestürzt habenden Bruders vollführt die Schauspielerin im Gewand einer Mumie. Von Kopf bis Fuß bandagiert, kommt dieser Professor zu seinen Nichten in der Volksgarten-Szene gehüpft und lässt dann, der Bandagen-Spannkraft wegen horizontal am Sessel liegend, seine Suada los. Ein Höhepunkt der Inszenierung, die immer dann am besten funktioniert, wenn Bernhard an der Reihe ist.

Denn wie immer serviert Castorf ein Textgemisch, das weit über den Ausgangs- und Titeltext hinausgeht. Der Berliner Regisseur, nach seinen Handke- und Jelinek-Inszenierungen ebenda ein ausgewiesener Österreich-Versteher, konfrontiert Bernhards Drama um eine 1938 aus Österreich vertriebene und später zurückgekehrte jüdische großbürgerliche Familie mit Texten von Thomas Wolfe und John F. Kennedy. Die Idee ist nachvollziehbar, eine echte Verknüpfung wird daraus nicht.

Risikobereitschaft

Dabei geht es furios los an einer New Yorker U-Bahnstation (Bühne: Aleksandar Dénic), wo Marcel Heuperman, Branko Samarovski und Minichmayr wie Scharniere zwischen Wolfes Nur die Toten kennen Brooklyn, Bernhards Heldenplatz und Castorfs Regie-Brevier sämtliche Realitätsebenen des Abends in eins setzen. So bittet Castorf (Heuperman mit beachtlichem Stimmvolumen) das Publikum um "Risikobereitschaft auf beiden Seiten".

Kriegt er. Das Publikum wird die Premiere um 23 Uhr 45 feurig beklatschen, wenige hartnäckige Buhs und müde Gesichter inklusive. Die Verschränkung der Texte wird aber Stückwerk bleiben, vieles davon langatmig. Wobei die Heldenplatz-Dialoge und -Monologe am meisten wirken, wurden sie doch für die Bühne geschrieben. Dieser Spannung des "Ausgesprochen-werden-Wollens" halten im Vergleich dazu die langen Erzählpassagen Wolfes nicht stand.

Die Perspektive zweier Amerikaner auf den dräuenden Faschismus der 1930er-Jahre in die Inszenierung zu integrieren - als "gedankliche Rösslsprünge", wie es Castorf bezeichnet - ist nachvollziehbar. Wolfe hat Deutschland zwischen 1926 und 1936 sechs Mal bereist; der junge Student John F. Kennedy durchkreuzte Europa 1937, während sein Vater als Botschafter in London einer Appeasement-Politik gegenüber Hitler anhing. Beider niemals eindeutige Beobachtungen bleiben an diesem Abend oft Fremdkörper einer Parallelwelt, rätselhafte herausgerissene Textgebilde, die sich unendlich dehnen.

Pin-Up-Plakate

Brooklyn und Wien sind auf der Drehbühne integral gebaut aus riesigen Pin-Up-Werbegerüsten und einem erst nach der Pause zu entziffernden Fraktur-Schriftzug, der einmal Thomas Bernhard adressierte: "Ihnen sollt ma umbringen!". Die Eisenbahnfahrt durch Deutschland aus Wolfes Dunkel im Walde, fremd wie die Zeit platziert Castorf im U-Bahnschacht im Bühnenuntergrund der Brooklyner Station Borough Hall.

Manchmal kann sich der fast durchgehende Musikscore zu einem konkreten Lied durchringen: Es fährt ein Zug nach Nirgendwo. Auch zum Opernring Blues des österreichischen Rappers Bibiza. Die Rollen (weiters Marie-Luise Stockinger) und wie üblich glamourvollen Roben (Kostüme: Adriana Braga Peretzki) werden oft gewechselt. In einer von Leichen-Puppen vollgestopften Herrschaftsküche gibt Inge Maux die Frau Zittel; Minichmayr, u.a. als Frau Professor, singt beim Suppelöffeln das jüdische Widerstandslied S‘brent. Franz Pätzold ist der Sohn Lukas, Erzähler bei Wolfe und auch Kennedy, der sich in seinen Tagebuchnotizen kurz unsicher ist, ob er den deutschen Diktator nicht doch mag.

Klare Botschaft

Ein portalgroßes Foto vom Reichsparteitag in Nürnberg 1936 gibt für das alles den Hintergrund ab. Castorfs Botschaft war kaum je so klar und trotz deftiger Wuchteln, zu denen ein ausgebauter Bernhardscher Nebenstrang über "Minna von Barnhelm" in der Josefstadt gehört, nie so ernst. Bleibt dieser Heldenplatz "plus" in seiner Mechanik auch dysfunktional und oft durchhängend, so wirken am Ende das Unvermittelte, das aufgesprengte Drama und die damit frei werdende Masse deutlich nach. (Margarete Affenzeller, 18.2.2024)