SPÖ-Chef Andreas Babler beim SPÖ-Parteitag im vergangenen November.
SPÖ-Chef Babler hat seit seinem Sieg bei der Vorsitzwahl im vergangenen Jahr mit der politischen Stimmungslage zu kämpfen. Aber auch mit der eigenen Partei.
Heribert Corn

In der SPÖ wird derzeit ein skurriles Schriftstück herumgereicht, weitergeschickt, sogar in Sitzungen diskutiert. Betitelt ist es mit den Worten "Geheim Plan". Darunter findet sich eine Liste, die eine Aufstellung einer Regierungsmannschaft für eine ÖVP-SPÖ-Neos-Koalition darstellen soll. Gleich vorweg: Es handelt sich um kein authentisches Papier, das aus der SPÖ-Führungsriege kommt – es soll bloß der Anschein erweckt werden. Dass es "echt" ist, davon geht auch in der SPÖ niemand aus. Und doch sorgt es für Unruhe. Denn: Wer hat es verfasst? Und warum?

Für SPÖ-Chef Andreas Babler ist die Liste wenig schmeichelhaft. Es beginnt damit, dass in dem Plan Karl Nehammer den Kanzler stellt – und Babler nur den Vizekanzler mit einer Zuständigkeit für Kultur. Finanzminister ist in der Aufstellung Peter Hanke, derzeit Finanzstadtrat für die SPÖ in Wien. Ein Stich ist die Zusammenstellung auch in Richtung Josef Muchitsch, der kürzlich mit Kritik an Bablers Kurs aufgefallen war. Der FSG-Chef steht im Gegensatz zu anderen weniger mächtigen Gewerkschaftern erst gar nicht oben.

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APA

Niemand in der SPÖ kann oder möchte sagen, wer das "Fake-Dokument" geschrieben hat. Es kursiert inzwischen in Landesparteien sowie im roten Parlamentsklub. Doch viele Befragte sind überzeugt, dass es aus der SPÖ kommt – und nicht von politischen Gegnern in Umlauf gebracht wurde. "Ich gehe aufgrund der Zusammenstellung davon aus, dass das 'friendly fire' eines Genossen ist", sagt ein hoher roter Funktionär. Soll heißen: Jemand aus der Partei wolle SPÖ-Chef Andreas Babler diskreditieren. Andere haben vielmehr die ÖVP im Verdacht. Ist das schon erstes Dirty Campaigning im Wahlkampf?

Querschüsse und Gekeppel

Wer sich unter Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten umhört, bekommt jedenfalls eines vermittelt: Es läuft einfach nicht in der SPÖ. Manche Genossen sagen: Die Stimmung ist wieder ähnlich wie damals unter Pamela Rendi-Wagner als Parteichefin – breite Unzufriedenheit, öffentliche Spitzen gegen die Parteiführung, Querschüsse, das ewig gleiche Gekeppel.

In der Wiener Landespartei sollen sogar schon Pläne für den Fall geschmiedet werden, dass Babler aus irgendeinem Grund "nicht mehr zur Verfügung steht". Konkret werde darüber diskutiert, was die Partei machen kann, wenn sich Babler nicht auf eine Koalition mit der ÖVP einlassen wolle, heißt es. Babler hat mehrfach erklärt, mit "dieser ÖVP" könne er nicht zusammenarbeiten. Wiens Bürgermeister und SPÖ-Chef Michael Ludwig gilt hingegen als Verfechter der alten "großen Koalition". Auch deshalb kursieren medial Gerüchte.

Die Gerüchteküche brodelt in der SPÖ. Und sind Gerüchte einmal in der Öffentlichkeit angekommen, lassen sie sich nur schwer wieder einfangen. Vor ein paar Tagen war im Boulevardblatt "Österreich" zu lesen, dass manche Genossen SPÖ-Niederösterreich-Chef Sven Hergovich als Spitzenkandidaten für die Wahl favorisieren würden – andere gar den Ex-Kanzler Christian Kern. Es stellt sich die Frage: Warum schlittert die SPÖ laufend in interne Personaldebatten? Warum kommt die Partei nicht zur Ruhe und lässt die Spitze mal machen?

Babler laufend weichgeschliffen

Die simpelste Antwort lautet: Die SPÖ ist gespalten – in Lager, in Länder, in Interessengruppen, die alle verschiedene Ideen und Ziele verfolgen. Die Vorsitzwahl hat erst kürzlich gezeigt, dass es zumindest drei relativ gleich große Fraktionen gab, die eine unterschiedliche Richtung für die Partei vor Augen haben. Das größere Problem ist wohl aber, dass sich derzeit einfach kein Erfolg einstellen will. In Umfragen liegen die Sozialdemokraten abgeschlagen auf Platz zwei hinter der FPÖ. Und manche in der SPÖ sind skeptisch, ob überhaupt der zweite Platz bei der Wahl gehalten werden kann, die ÖVP sei Babler schließlich auf den Fersen.

Andreas Babler hatte es als Parteichef von Beginn an nicht einfach. "Babler rudert zurück" wurde schon bald zu einer gängigen Schlagzeile. Anfangs wurde Babler von seinen politischen Gegnern als gefährlicher Marxist geframt, dieses Image wollte er schnell wieder loswerden. Eine von Bablers Kernforderungen war die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Dazu sagt er inzwischen, dass die sich "nicht von heute auf morgen" und nicht ohne Sozialpartner umsetzen lasse. Vermögenssteuern als Koalitionsbedingung hatte Babler ebenso schnell wieder aufgegeben wie seine Forderungen nach Tempo 100 auf Autobahnen oder einer Cannabis-Legalisierung. Dem Wunsch des Neo-Parteichefs nach mehr Basisdemokratie in der SPÖ schob Wiens Bürgermeister Ludwig einen Riegel vor: Künftig kann der Chef der Bundespartei zwar direkt gewählt werden – das ist Bablers Erfolg –, nicht aber die Mitglieder-Abstimmung über einen potentiellen Koalitionspakt.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Babler setzt durchaus auf Inhalte, hat der Partei mehr Profil gegeben – wurde jedoch laufend von seiner Partei, dem politischen Alltag und medialer Aufregung weichgeschliffen.

Rote Vizechefin: "Mir reicht es auch"

"Babler ist einfach kein Krisenmanager", ätzt ein Genosse aus einer Landespartei im Schutz der Anonymität. "Bei ein bisschen Gegenwind dreht sich sofort seine Meinung, dabei muss er jetzt eine klare Linie vorgeben." Andere Kritiker monieren, der Vorsitzende agiere abgeschottet, hole sich seine Expertise nur von einem eng gehaltenen und politisch unerfahrenen Zirkel, der – ähnlich wie seine Vorgängerin Rendi-Wagner – zwar laufend neue Themen setze, aber mit keinem davon längerfristig einen öffentlichen Nachhall erzeugen könne.

Ende April wird er sein Vorab-Wahlprogramm "Mit Herz und Hirn für Österreich" vorlegen, mit dem eine inhaltliche Verbreiterung für den Wahlkampf gelingen soll. Gemeinsam mit hunderten Persönlichkeiten eines eigens ins Leben gerufenen "Expert:innenrats" arbeitet die SPÖ gerade Ideen zu Justiz, Verwaltung, Gesundheit, dem Leben in Österreich aus. Es tut sich also sehr wohl etwas, manchen in der SPÖ nur eben zu langsam.

Auf Kritik aus den eigenen Reihen reagiert Babler bisher etwas dünnhäutig, aber durchaus klar. Als Muchitsch Bablers Linkskurs vor einer Woche öffentlich infrage stellte, entgegnete der Parteichef: "In der Partei muss man sich erst gewöhnen, dass jemand Neues an der Spitze steht."

Noch deutlicher rückte Babler wenig später gegen seinen ehemaligen Kontrahenten um den roten Chefsessel aus: Hans Peter Doskozil. Als Burgenlands Landeshauptmann eine Asylobergrenze von 10.000 Flüchtlingen einmahnte und klarstellte, sich dabei nicht den Mund verbieten lassen zu wollen, wurde er von Babler in der "Kronen Zeitung" harsch zurechtgewiesen: "Ich lese das nicht mehr, was einige wenige von sich geben", sagte Babler. "Ich mache Politik für die Menschen und nicht für ein paar gekränkte Egos."

Eva-Maria Holzleitner hat jedenfalls genug von den ständigen Querelen in der SPÖ. "Wenn Leute sagen: 'Ihr streitet ja nur, es reicht', kann ich nur sagen, mir reicht es auch", verriet die rote Vizechefin unlängst "Österreich". Sie dürfte vielen Genossinnen und Genossen aus der Seele sprechen. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 21.2.2024)