Julian Assange ist kein Alexej Nawalny. Beide haben kriminelle und menschenrechtswidrige Machenschaften ihrer jeweiligen Staaten und Regierungen aufgedeckt. Aber Nawalny wurde von einem "mörderischen Regime" (so der österreichische Bundespräsident) und einer Diktatur in einem absurden Gerichtsverfahren verurteilt und, nachdem ein Giftanschlag auf ihn fehlgeschlagen war, in einem schauerlichen Straflager am Polarkreis auf Raten umgebracht. Assange droht ein ordentliches Gerichtsverfahren in einer Demokratie, nämlich den USA.

Aber nun kommt ein großes "Aber": Wie der österreichische Menschenrechtsexperte und frühere Sonderberichterstatter der UN Manfred Nowak festhält, sind auch die Bedingungen von Assange in britischer Auslieferungshaft "unmenschlich". Die Anhaltung in einem Hochsicherheitsgefängnis dauert schon Jahre und Jahre, der psychische und physische Zustand von Assange ist höchst bedrohlich. Wenn er tatsächlich mit lebenslänglicher Haftstrafe in einem berüchtigten US-Gefängnis landet, ist mit seinem Tod zu rechnen.

Demonstrierende fordern Assanges Freilassung vor dem Londoner High Court.
Demonstrierende fordern Assanges Freilassung vor dem Londoner High Court.
IMAGO/Vuk Valcic/ZUMA Wire

Kann man deshalb Alexej Nawalny, Julian Assange und deren Behandlung durch den jeweiligen Staat gleichsetzen – wie es nicht wenige Kritiker des Westens tun? Ist im Grunde kein Unterschied zwischen Wladimir Putins Russland und den USA Joe Bidens?

Nein, das ist auch vom Tatbestand her nicht möglich (davon gleich mehr). Aber die Behandlung von Assange ist trotzdem einer Demokratie und eines Rechtsstaates nicht würdig. Die Dauer seines Verfahrens und die Umstände seiner Haft sind rechtsstaatlich fragwürdig und offenbar von Rachegedanken beeinflusst. Das ist immer noch meilenweit von der Behandlung Nawalnys entfernt, der im Auftrag und/oder mit Wissen eines Diktators bewusst zu Tode gebracht wurde, aber es ist nicht in Ordnung.

Assange hat mit seiner Plattform Wikileaks Kriegsverbrechen der USA im Irak aufgedeckt. Er hat dabei aber auch durch Nennung von Namen Personen im US-Geheimdienstbereich gefährdet. Das ist der Hauptvorwurf, nicht die Tatsache der Aufdeckung an sich. Assange ist aber auch insofern fragwürdig, als er mit der Veröffentlichung von (irrelevanten) Mails der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton 2016 mit größter Sicherheit zum Wahlsieg von Donald Trump beigetragen hat. Dabei wurde er nach den Ergebnissen eines US-Senatsausschusses wissentlich zum Instrument des russischen Geheimdienstes.

Das relativiert den Opferstatus von Assange gewaltig. Und das ist auch völlig unvergleichbar mit den Aktionen von Nawalny, der sich massiv für die Demokratie in Russland eingesetzt hat und unter anderem den märchenhaften Reichtum von Putin aufdeckte. Noch einmal: Nawalny wurde wegen seiner Opposition zu einer korrupten, mörderischen Diktatur umgebracht. Assange wird in einer Demokratie gerichtlich verfolgt. Dabei fließt offenbar in seiner Behandlung die Tatsache ein, dass er einen US-Wahlkampf beeinflusste (und sich dabei höchstwahrscheinlich von einer feindlichen Macht leiten ließ).

Dennoch sollte man Assange freilassen oder, einmal in den USA, rasch verurteilen und dann vom Präsidenten begnadigen lassen. Wegen Unmenschlichkeit in der Länge des Verfahrens und der Haftbedingungen. Und weil man Assange nicht mit Nawalny vergleichen können soll. (Hans Rauscher, 20.2.2024)