Ein Stempel mit dem Aufdruck Diesel-Skandal in der Hand einer Frau.
Noch gibt es für die mehr als 9.000 Sammelkläger an 16 Landesgerichten keine Lösung mit Brief und Siegel.
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Wien – Betroffene Dieselkläger hielten mit ihrem Ärger nicht hinterm Berg. Kaum war die Tür des Verhandlungssaals 1911 im Handelsgericht Wien am Donnerstagvormittag von außen geschlossen, machten sie ihrer Enttäuschung Luft. "Volkswagen spielt auf Zeit, und die österreichischen Gerichte spielen mit bei dem bösen Spiel", sagte ein Herr, der sich selbst ein Bild machen wollte von den Vorgängen im VW-Sammelverfahren, das vom Verein für Konsumenteninformation im Herbst 2018 angestrengt worden war.

Nach eineinhalbstündiger Verhandlung ist klar: Das Gericht will über den Zuspruch von Schadenersatz erst entscheiden, wenn ein Gutachten vorliegt – obwohl der Oberste Gerichtshof (OGH) längst erkannt hat, dass aufgrund des VW-Dieselskandals jedenfalls ein Schaden vorliegt, weil in den bis 2015 verkauften Fahrzeugen der Marken VW, Audi, Škoda und Seat eine verbotene Abschalteinrichtung verbaut war.

Diese sogenannte Umschaltlogik erkannte, ob ein Wagen auf dem Prüfstand fuhr oder auf der Straße, und schaltete die Abgasrückführung automatisch ab. Dieser Mangel wurde im Zuge des Software-Updates für Millionen von Fahrzeugen in Europa wohl behoben. Allerdings enthielt die Reparatursoftware für die Motorsteuerung neuerlich eine verbotene Abschalteinrichtung, diesfalls eine temperaturabhängige. Diese verharmlosend als Thermofenster bezeichnete Steuerung sieht vor, dass die Abgasreinigung nur zwischen 15 und 33 Grad aktiv ist, also bestenfalls für die Hälfte eines Jahres in Europa. Das sei zu weitreichend und unbestimmt, urteilte der Europäische Gerichtshof im Sommer 2023, zulässig sei ein solches Thermofenster lediglich in Ausnahmefällen zum Schutz von Leib und Leben.

Wie hoch ist der Schaden?

Nun wird wieder ein Sachverständiger beauftragt, diesfalls nicht zur Klärung technischer Details, sondern zur Ermittlung der Schadenshöhe, konkret zur Frage, ob der Veräußerungspreis zu einem Vermögensnachteil geführt habe. Die vom Obersten Gerichtshof empfohlene Bandbreite für die Schadenshöhe – zwischen fünf und 15 Prozent – ist dem Gericht nicht präzise genug. Hinzu kommt, dass die Anwälte von Volkswagen nicht alle 1491 in Wien versammelten Sammelkläger gleich behandeln wollen oder können. Zwischen Neuwagen-, Gebrauchtwagen- und Leasing-Käufern sei ein Unterschied zu machen, so die Argumentation.

Auch Fahrzeughalter, die ihr Schummeldieselfahrzeug bereits weiterverkauft hätten, müssten anders behandelt werden, sie hätten schließlich keinen Schaden mehr. Zudem sucht der Wolfsburger Weltautokonzern, die zuzusprechende Schadenshöhe um ein Nutzungsentgelt zu verringern. Schließlich benutzten die Autobesitzer ihr Vehikel, hätten über die Jahre also einen Nutzen daraus gezogen. Das sieht das Höchstgericht freilich anders. Ein Schummeldiesel weise kraft der eingebauten verbotenen Umschaltlogik einen Mangel auf, der jedenfalls eine Wertminderung von mindestens fünf Prozent darstelle.

Schummeldiesel sind schon alt

Abzüge aufgrund der Nutzungsdauer lehnen die Anwälte des Vereins für Konsumentenschutz (VKI) ab. Die betroffenen Fahrzeuge seien im Jahr neun nach Auffliegen des Dieselskandals zwischen 15 und neun Jahre alt, und wie viele Betroffene ihre Kfz noch in Verwendung hätten, sei deshalb für die Bemessung der Schadenshöhe irrelevant, so die Argumentation. Diesbezüglich lässt der Oberste Gerichtshof allerdings Spielraum. Denn einerseits betrage der Schaden jedenfalls fünf Prozent – in zwei anderen Sprüchen hieß es wiederum, dass beim Weiterverkaufen kein Schaden entstanden sei, wenn die Fahrzeuge zum marktüblichen Preis verkauft wurden. Es könnte am Ende auch das arithmetische Mittel herauskommen. Die Frage ist, in welcher Bandbreite: zwischen fünf und 15 Prozent, wie der OGH nahelegt, oder zwischen fünf und den vom VKI eingeklagten zwanzig Prozent Wertminderung.

Klar ist nach der Gerichtsverhandlung am Donnerstag lediglich: Es kann und wird sich noch ziehen, bis es ein für die Sammelkläger zufriedenstellendes Ergebnis gibt – egal ob am Ende ein Urteil steht oder ein Vergleich. Am 18. und 19. Juni sollen jedenfalls 20 ausgewählte Dieselbesitzer von der Richterin befragt werden, ob und zu welchem Preis sie ihre Fahrzeuge verkauft haben. Mit dieser Erhebung dürfte dann der OGH um Vorabentscheidung ersucht werden, damit die Höhe des Schadens von den Höchstrichtern festgelegt wird. Das kann Monate oder Jahre dauern. (Luise Ungerboeck, 22.2.2024)