Martin Scorsese ist bereits im Besitz eines neuen Goldtierchens.
Martin Scorsese ist bereits im Besitz eines neuen Goldtierchens.
AFP/JOHN MACDOUGALL

Marty hat seinen kleinen Bären schon. Der Ehrenpreis für Martin Scorsese war der Höhepunkt vor dem Endspurt der heurigen Berlinale. Jurypräsidentin Lupita Nyong’o und ihre sechs Kollegen und Kolleginnen haben keine leichte Aufgabe. Die Begeisterungsstürme für die Mehrzahl der zwanzig qualifizierten Filme halten sich in Grenzen. Gut möglich, dass das dem intensiven österreichischen Beitrag Des Teufels Bad von Severin Fiala und Veronika Franz zum Vorteil gereicht. Erste internationale Reaktionen der Filmpresse fallen jedenfalls positiv aus, auch wenn sich bei der Weltpremiere immer wieder Zuschauer erschreckt die Augen zuhielten.

Leichter tut sich da schon die Romanze My Favourite Cake. Die locker erzählte Geschichte zweier verliebter Senioren bekommt erst durch die Umstände im repressiven Iran eine ernste politische Botschaft. Dass das Regie-Duo Maryam Moqadam und Behtash Sanaeeha vom Regime an der Ausreise gehindert wurde, macht den Goldenen oder einen der Silbernen Bären zudem zu einem passenden Symbol für eine von politischen Debatten dominierte Berlinale.

Zumal der Wettbewerb auch in der zweiten Woche einen wilden Mix bot: Das populär-harmlose Musikdrama Gloria! stand neben der zuckersüßen afrikanisch-chinesischen Romanze Black Tea. Auf den reduzierten skandinavischen Gefängnisthriller Vogter mit Borgen-Hauptdarstellerin Sidse Babett Knudsen folgte das ebenso gefühlvolle wie schwere tunesische Familiendrama Who Do I Belong ToMé el Aïn über einen IS-Heimkehrer. Wie im österreichischen Wettbewerbsfilm haben die Hauptfiguren in diesen Geschichten mit inneren Dämonen und Anpassungsschwierigkeiten an widrige Umgebungen zu kämpfen.

Drogen und ein Nilpferd

So auch in der experimentellen Dokufiktion Pepe, dem Außenseiter-Geheimfavorit von Nelson Carlo De Los Santos Arias. Er ist aus der Sicht des titelgebenden afrikanischen Nilpferds erzählt, das sich Drogenbaron Pablo Escobar für seinen Privatzoo nach Südamerika holen ließ. Der verrückt-hypnotische Film geht auf so großer Wettbewerbsbühne eine Wette auf eine wagemutige Jury ein. Weitere Filme wirken wie die Überbleibsel der großen Festivals wie Cannes, wenn etwa Veteran Olivier Assayas seinen jetzt schon veralteten Covid-Lockdown-Essay Hors du Temps vorstellt oder sein Landsmann Bruno Dumont die überbordende Star Wars-Parodie L’Empire, großteils mit Laien in der Provinz gedreht.

Die Dokus Architecton des Exil-Russen Victor Kossakovsky und Dahomey des Cannes-Stars Mati Diop boten dann noch Anlass für differenzierte Diskussionen über Zivilisation und Kolonialismus. Allesamt keine typischen Filme für den Hauptwettbewerb eines großen Festivals, wie es die Berlinale sein will. Dass der Titel des irischen Eröffnungsfilms Small Things like These die Auswahl so treffend vorwegnimmt, darf fast schon als Ironie des scheidenden Leiters Carlo Chatrian verstanden werden. Nächstes Jahr übernimmt die Amerikanerin Tricia Tuttle das Festival.

Heimische Favoriten

Heuer lohnte sich mehr denn je der Blick in die anderen Sektionen, wo weitere österreichische Beiträge zu finden waren: Josef Haders Andrea lässt sich scheiden, Ruth Beckermanns Favoriten, Anja Salomonowitz’ Mit einem Tiger schlafen. Der ehemalige Leiter des Wiener Filmmuseums Alexander Horwath nutzte mit seinem Filmessay Henry Fonda for President die Filmgeschichte wunderbar als Spiegel der amerikanischen Politik. Und auch bei Ještě nejsem, kým chci být hat Österreich als Koproduktionsland seine Finger im Spiel: Darin wird die tschechische Fotografin Libuše Jarcovjáková porträtiert. Ein erstaunlich fesselnder Fotografie-Film, dessen deutscher Titel auch für die Berlinale passend erscheint: Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte. (Marian Wilhelm aus Berlin, 23.2.2024)