Oksanen: "Vergewaltiger werden in Russland nicht bestraft."
Toni Harkonen

Es ist nur einer von vielen Fällen, aber er hat System in Putins "Spezialoperation": In den ersten Tagen des Krieges haben russische Soldaten in Butscha die 23-jährige Karina Jerschowa vergewaltigt und anschließend mit einem Schuss in den Kopf hingerichtet. Ihren zerfetzten Körper fand man später unweit ihres Zuhauses. Sie war nicht nur vergewaltigt worden (was in diesem Zusammenhang ein zu abstrakter Begriff ist), die Vergewaltigung war eine stundenlange brutale Folter, die derartige Spuren hinterlassen hatte, dass die Polizei den Angehörigen lediglich Fotos von Karinas Oberkörper zeigte.

Physische und psychische Verletzung

Hier geht es nicht bloß um soldatische Gewalt und Willkür, um physische und psychische Verletzung, um Erniedrigung mit der Absicht, den Gegner zu demoralisieren – hinter alldem, so die finnische Autorin, stehe ein imperialistisches Ziel: Denn traumatisierte vergewaltigte Frauen bekommen später oft keine Kinder mehr, das war schon eine Waffe im Stalinismus gegenüber den baltischen Völkern. Oksanen, die einen finnischen Vater und eine estnische Mutter hat, findet den Beleg dafür in der eigenen Familie: Als Estland von den Sowjets ein zweites Mal besetzt wurde, wurde eine Großtante von ihr eine Nacht lang verhört und mutmaßlich sexuell gefoltert. Gesprochen hatte sie darüber nie, denn nach dieser Nacht verstummte sie. Den Rest ihres Lebens verbrachte sie in völliger Zurückgezogenheit. "Sie heiratete nicht, bekam keine Kinder, traf sich mit niemandem."

Dass die systematischen Vergewaltigungen ukrainischer Frauen darauf abzielen, sie in ihrer Gebärfähigkeit zu beschränken, ist eine demografische Komponente dieses Krieges. Das bestätigt auch die Verschleppung ukrainischer Kinder und Babys und auch die sexuelle Folter ukrainischer Männer bis hin zur Kastration untermauert diese These, wonach die Bevölkerungsstruktur eines ganzen Gebiets nachhaltig verändert werden soll.

Mittel der Eroberung

Im Westen wurde sexuelle Gewalt als "Instrument des Imperialismus" und als "wesentlicher Teilfaktor des gegen die Ukraine gerichteten Völkermords" bisher kaum bewusst reflektiert, von allen Kriegsverbrechen, so Oksanen, werde Vergewaltigung am wenigsten Aufmerksamkeit zuteil, sie ist "historisch unterschätzt". Ein Grund dafür ist auch, dass es von Opfern von Kriegsvergewaltigungen keine Bilder gibt, und würde es sie geben, könnte man sie nicht zeigen. "Ich warte immer noch auf ein Pressefoto", schreibt Oksanen, "auf dem zum Beispiel eine angebrochene Viagra-Packung am Ort des Verbrechens zu sehen ist." Aber weil das Thema zu bedrückend ist, werde es nie so ein Foto geben.

Vergewaltigung ist in Russland eine "uralte Waffe" und "beliebtes Mittel der Eroberung". Damit werden nicht nur einzelne Familien, sondern ganze Gemeinschaften für Generationen traumatisiert. Das Sexualleben vergewaltigter Frauen bleibt oft dauerhaft gestört. "Alle Berührungen, sogar Umarmung, sind für mich qualvoll", zitiert Oksanen eines von unzähligen Vergewaltigungsopfern. Demgegenüber steht die Empathielosigkeit russischer Ehefrauen, die Verständnis für ihre vergewaltigenden Männer haben bzw. sie sogar dazu ermuntern und die nicht zuletzt mit gestohlener Unterwäsche ukrainischer Frauen beschenkt werden. Auf diese Weise, so Oksanen, "erotisieren" heimkehrende Soldaten "ihren Kriegszug immer und immer wieder", wenn ihre Ehefrauen und Freundinnen Höschen und BHs ukrainischer Frauen tragen, damit holen sie sich von ihren Partnerinnen auch "die Absolution für ihre Kriegshandlungen".

Sofi Oksanen, "Putins Krieg gegen die Frauen". Aus dem Finnischen von Angela Plöger und Maximilian Murmann. € 24,– / 336 Seiten. Kiwi-Verlag, 2024
Kiepenheuer& Witsch

Frauenfeindlichkeit

Dieser Kontext erscheint umso bedenklicher, wenn man berücksichtigt, dass Frauenfeindlichkeit auch im eigenen Land zum System gehört. Misogynie, so die Autorin, sei die eigentliche Waffe des Regimes: Putins Kampf gegen die Demokratie ziele deshalb gegen Frauen, weil ohne deren Teilhabe Demokratie nicht funktionieren kann. Die gelenkte Orientierung auf "traditionelle Werte" macht die russische Frau zum unpolitischen Wesen und zur gewünschten Gebärerin, Feminismus und Frauenrechte stehen da "Russlands mythologischer Größe" im Weg.

Die im Krieg gegen die Ukraine eingesetzte sexuelle Gewalt verfolgt dieses imperialistische Ziel. Alle nichtrussischen Völker im russischen Riesenvölkerreich haben sie irgendwann schon erlebt. Unterwerfung und Russifizierung waren im Zarismus und Stalinismus und sind im Putinismus das erklärte Ziel. Für Putin ist Frieden eine Anomalie und Gewalt, besonders gegenüber Frauen, selbstverständliches Mittel. Was im Westen als Menschenrechtsverletzung gilt, so Oksanen, ist "Teil der Methodik der russischen Kriegskunst". Deshalb werden Vergewaltiger in Russland auch nicht bestraft. Sie genießen Heldenstatus. (Gerhard Zeillinger, 24.2.2024)