Bevor ein beachtlicher Nachmittag im Städtchen Simbach anbricht, hat sich Ina schon auf den Weg gemacht. Die Niederbayerin trifft mit ihrer Familie als eine der ersten auf dem Kirchenplatz ein, und das gut vorbereitet. Mehrere Schilder hat sie gebastelt: Auf einem steht: "Als wir Frauen mehr Rechte wollten, meinten wir nicht die AfD!"

Ina möchte ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen. Seit der Neonazi-Sache im vergangenen Sommer sei sie besonders vorsichtig, sagt sie. Damals besuchte sie mit ihrer Familie das Freibad auf der anderen Seite des Inns, im benachbarten Braunau. Dort fiel ihr ein anderer Badegast auf, der seine Nazi-Tattoos zur Schau stellte, darunter SS-Runen. Inas Mann rief die österreichische Polizei. Die Beamten kamen, aber sagten hinterher, dass sie den einschlägig Tätowierten nicht gefunden haben. Inas Mann widersprach, warf den österreichischen Ordnungshütern Untätigkeit vor. Sein Wort hat großes Gewicht: Er ist bayerischer Polizist. Der Fall sorgte sowohl in Deutschland als auch in Österreich für Aufsehen, auch DER STANDARD berichtete.

Demo-Schilder vor der Bühne
Demo-Schilder vor der Bühne
Oliver Das Gupta

Auch solche Episoden haben dazu beigetragen, dass an diesem letzten Sonntag im Februar in Simbach wie in anderen Städten Deutschlands gegen Rechtsextremismus demonstriert wird. Etwa 1000 Menschen kommen zusammen, das schätzt ein Sprecher der Polizei. Im Vergleich zu Metropolen wie Hamburg, München und Köln, wo Hunderttausende auf die Straße gehen, mag die Kundgebung in Simbach geradezu niedlich wirken.

Trachtler mit Demo-Schild
Ein Mann mit Tracht – und mit Demo-Schild
Oliver Das Gupta

An diesem Tag sticht Simbach aus anderen Gründen heraus: Ein echter Querschnitt der Zivilgesellschaft hat sich versammelt. Auf dem Kirchenplatz stehen Senioren und Teenager, Eltern und Kinder, Linke und Konservative, Migranten und traditionelle Einheimische wie der vollbärtige Trachtler, auf dessen Schild ein Hakenkreuz in den Mülleimer geworfen wird.

Großer Andrang in Simbach
Großer Andrang in Simbach
Oliver Das Gupta

Grenzübergreifend ist der Anspruch an diesem Tag: "Simbach ist bunt, Braunau ist bunt", ruft einer der Initiatoren in die Menschenmenge. So steht es auch auf dem Banner, das die Bühne ziert. Eine Brücke spannt sich über den Inn zwischen Adolf Hitlers oberösterreichischem Geburtsort und seiner etwas kleineren Stadtschwester Simbach.

Angemeldet haben die Demonstration zwei Privatleute, sie werden unterstützt von allen im Stadtrat vertretenen Parteien - außer der in Teilen als rechtsextrem eingestuften AfD. Andernorts in Deutschland wird bei ähnlichen Demonstrationen auch auf Konservative geschimpft.

Nicht in Simbach: Als einziger Politiker klettert Bernhard Großwieser auf die Bühne - Rechtsanwalt, zweiter Bürgermeister und Ortschef der CSU. Stellvertretend für den gesamten Stadtrat spreche er, sagt er zu Beginn seiner Rede.

Bernhard Großwieser auf die Bühne
Bernhard Großwieser auf die Bühne
Oliver Das Gupta

Was in den Minuten danach folgt, gleicht einer großen Abreibung mit der AfD und ideologisch verwandten Kräften. Großwieser nennt Björn Höcke den "lupenreinen Faschisten". Dann liest Großwieser vor, was der Thüringer AfD-Mann im Orginalton von sich gibt, wie er über "wohltemperierte Grausamkeiten" schwadroniert und davon, "ein paar Volksteile zu verlieren". Höcke meine damit Deutsche, die nicht bereit seien, seinem faschistischen Weg zu folgen, ruft Großwieser. Dann flicht er die wenige Wochen zurückliegende Enthüllung eines Geheimtreffens ein, auf dem Rechtsextremisten unter österreichischer Beteiligung über die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland konferiert hatten, Stichwort "Remigration".

Ausbürgerungen und Deportationen von Deutschen wären nichts anderes als "ein verfassungswidriges Verbrechen", sagt Jurist Großwieser. Hendrik Wüst, der CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, habe recht, wenn er die AfD als "Nazi-Partei" bezeichne. Das Publikum unterbricht den Konservativen mehrmals mit Applaus und "Bravo"-Rufen. Schilder werden in die Höhe gereckt, auf denen "Huck Föcke" zu lesen ist und "Kein Bier mit Nazis".

Kirchenvertreter hielten Reden

Nach dem Vizebürgermeister erhalten die Vertreter der Kirchen das Wort, es ist auch ein Moment der ökumenischen Einmütigkeit. Der katholische Pfarrer erinnerte an ein bekanntes Zitat von Martin Niemöller: Der von den Nazis ins KZ gesperrte evangelische Theologe habe einst geschrieben, geschwiegen zu haben, als die Nazis zunächst die Kommunisten, dann die Gewerkschafter und die Juden einsperrten – er sei ja keiner von denen gewesen. Man dürfe sich "durch Schweigen und Gleichgültigkeit nicht zum Komplizen machen", ruft der katholische Geistliche. Und sein evangelischer Amtsbruder würdigt anschließend die katholische Bischofskonferenz, die "rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern", für Christen nicht wählbar sind.

Der evangelische Pfarrer richtet auch einen Appell an die "demokratischen Parteien", der einer Ermahnung gleicht: Demokratischer Streit sei notwendig, sagt er, aber darunter dürfe eines nicht leiden: "Der Respekt und die Solidarität unter Demokraten." Mit anderen Worten: Die Parteien, die sich zweifellos auf dem demokratischen Spielfeld bewegen, sollten in diesen Zeiten achtsam miteinander umgehen, als aus Opportunismus.

Sonnenschein in Simbach
Sonnenschein in Simbach
Oliver Das Gupta

In Simbach scheinen sie es an diesem Tag zu tun. Und da ist noch die Unterstützung durch die österreichischen Nachbarn. Das Braunauer Bauhof-Theater prangt auf dem Flyer zu der Veranstaltung. Auf der Bühne spricht die aus Oberösterreich stammende queere Poetry Slammerin Lou Paulsen über den Kampf gegen Ausgrenzung. Zwischen den Redebeiträgen gibt es immer wieder musikalische Einlagen lokaler Größen.

In der ersten Reihe verfolgen gut gelaunt Simbachs CSU-Bürgermeister Klaus Schmid und sein Braunauer Amtskollege Johannes Waidbacher die Veranstaltung. Der ÖVP-Politiker sieht das zivilgesellschaftliche Engagement der Simbacher mit Wohlwollen. In knapp drei Wochen, am 16. März, wird am anderen Ufer des Inns eine ähnliche Kundgebung stattfinden, das Motto lautet: "Für Menschlichkeit und Demokratie".

Ob er dann auch selbst eine Rede halten wird, sei noch offen, sagt Waidbacher zum STANDARD. Dem ihm gefalle gerade der überparteiliche Charakter des heutigen Tages. So viel Einmütigkeit zwischen Demokraten von Mitte-Links und Mitte-Rechts, Beifall von Grünen und Sozialdemokraten für einen Christsozialen ohne Wenn und Aber – das ist in Österreich seit Jahren schwer denkbar, gerade wenn es um das Thema Rechtsextremismus geht. Mitte März in Braunau könnte es zu einer lokalen Premiere kommen. (Oliver Das Gupta, 25.2.2024)