Es ist eine Geschichte des drohenden Niedergangs, die einige österreichische Industriekapitäne seit Monaten erzählen. Sie geht so: Der Krieg in der Ukraine habe eine Kettenreaktion ausgelöst, die nun die heimischen Betriebe voll trifft. Zunächst sind die Energiepreise exorbitant angestiegen nach dem Angriff Russlands. Die Strompreise für Unternehmen liegen in Österreich immer noch deutlich über dem EU-Schnitt, wie eine aktuelle Auswertung des arbeitgebernahen Thinktanks Agenda Austria zeigt.

Als wäre das nicht schon schlimm genug, habe danach die Inflation hierzulande insgesamt zugelegt, weit mehr als in der Eurozone. Als Folge davon begannen die Löhne stark zu steigen. So belasten hohe Energie- und Personalkosten vor allem jene Betriebe, die im internationalen Wettbewerb stehen und somit unter Druck geraten. Die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung warnen heute sogar davor, dass mehr und mehr Industriebetriebe erwägen, Österreich den Rücken zu kehren – zumindest, was Neuinvestitionen betrifft. Im vergangenen Jahr befand sich das Land jedenfalls in einer Rezession.

Die Stimmung ist also schlecht, allerdings ist das nicht der einzige Gradmesser, um zu beurteilen, wie es den Industriebetrieben tatsächlich geht. Denn auch eine zweite Geschichte lässt sich erzählen: Die Stimmung könnte schlechter sein als die Lage bei so manchem Unternehmen. Das ist jedenfalls eine zulässige Interpretation einer am Montag vorgestellten Analyse der Forschungsplattform FIW.

Die Analyse, eigentlich das Jahresgutachten der Plattform zum Zustand der heimischen Exportwirtschaft 2023, zeigt nämlich, dass Österreichs Unternehmen im vergangenen Jahr überraschend ihre Wettbewerbssituation verbessern konnten. Die heimischen Unternehmen konnten demnach zwischen Jänner und September 2023, jüngere Daten gibt es noch nicht, ihre Marktanteile im Ausland im Verhältnis zu Mitbewerbern um satte 11,3 Prozent steigern im Vergleich zu 2022. Österreichs Exporte entwickelten sich auch stärker als die der übrigen Euroländer, ihnen gegenüber legte die heimischen Betriebe 5,5 Prozent an Marktanteilen zu. Vor allem diese Zahl hat laut Ökonomen starke Aussagekraft, weil Wechselkursschwankungen gegenüber Mitbewerbern in der Eurozone keine Rolle spielen.

Mehr Maschinen in die USA

Österreich exportierte in den ersten drei Quartalen Waren im Wert von 149,6 Milliarden Euro ins Ausland, heißt es in dem Papier der Experten rund um den Ökonomen Harald Oberhofer (WU Wien und Forschungsinstitut Wifo). Damit kein Missverständnis entsteht: Inflationsbereinigt lag der Wertzuwachs bei den Ausfuhren von heimischen Maschinen, Fahrzeugen und anderen Produkten bei gerade etwas über zwei Prozent. Die Industriekonjunktur schwächelt weltweit, unter anderem, weil hohe Zinsen Investitionen teuer gemacht haben.

Allerdings hielten sich die heimischen Unternehmen besser als Mitbewerber. "Kaum ein anderes EU-Mitgliedsland konnte die Entwicklung der österreichischen Warenexporte bis Ende des dritten Quartals 2023 übertreffen", heißt es in der Analyse. Und: Inzwischen trudeln auch die Zahlen zum Jahresende 2023 ein, diese ändern an dem Gesamtbild aber nichts. Wie ist das also möglich, trotz aller Geschichten über die Standortkrise?

Der Export von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen lief trotz aller Unkenrufe besser als gedacht.
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Gut entwickelt haben sich in den ersten neun Monaten des Jahres vor allem die Ausfuhren zum wichtigsten Handelspartner, Deutschland. Auch die Exporte in die USA sind stark gestiegen, um elf Prozent. Interessant ist, dass die Entwicklung in vielen Sparten relativ robust war. So hat die Ausfuhr von Maschinen und Fahrzeugen stark zugelegt, aber selbst der Export chemischer Erzeugnisse verzeichnete ein Wachstum von zehn Prozent, was besonders überrascht, weil hier die Preissteigerungen für Energie schmerzhaft sind. Ein dickes Minus dagegen gab es für die Papierindustrie, rückläufig waren auch Eisen- und Stahlexporte.

Exporte im Vergleich
Warenexporte.
STANDARD

Die Gründe für die robuste Entwicklung sind vielfältig, wie die Ökonomin Yvonne Wolfmayr vom Forschungsinstitut Wifo schreibt, das dem Forschungsnetzwerk ebenso angehört wie etwa das Wiener Osteuropainstitut WIIW. 2023 trübte sich die Konjunktur in der Industrieproduktion ein, weil viele Betriebe ihre Lager mit benötigten Vorprodukten aufgefüllt hatten. Nach den Lieferkettenproblemen in der Pandemie wollten viele Unternehmen vorsichtiger agieren. Nachdem aber die Lager voll waren, gingen die Aufträge zurück. Österreichs Industrieunternehmen stellen betroffene Vorprodukte nicht so oft her wie Mitbewerber, weshalb sie von diesem Einbruch weniger stark betroffen waren. Dazu kommt eine erstaunliche Entwicklung bei den Preisen: Obwohl die Inflation in Österreich höher war als in den meisten anderen Euroländern 2023 und auch die Lohnstückkosten tendenziell stärker gestiegen sind, sind die Preise der heimischen Waren auf den Weltmärkten stabil geblieben. Des Rätsels Lösung? Viele Unternehmen haben höhere Preise nicht weitergegeben, sondern niedrige Gewinnmargen akzeptiert.

Boom bei Hormonexporten

Bei chemischen Produkten dürften Österreichs Produzenten außerdem eine erfolgreiche Nische gefunden haben, die es ihnen erlaubt, trotz Energiepreissteigerungen zu reüssieren. Neben einem Plus bei Ausfuhren in die Schweiz, entfällt ein großer Teil des Zuwachses auf den Verkauf von Polypeptidhormonen, die in der kosmetischen Industrie eingesetzt werden: Diese werden aus den USA eingeführt, in Österreich weiterverarbeitet und dann nach Frankreich ausgeführt.

Die Ergebnisse aus Unternehmensbefragungen zeigen, dass sich die Stimmung in vielen exportorientierten Unternehmen gegen Ende des Jahres 2023 deutlich eingetrübt hat. Auch wenn inzwischen der Tiefpunkt erreicht sein dürften, deutet diese Entwicklung darauf hin, dass 2024 unter Umständen nicht mehr so robust laufen wird wie 2023. Viel dürfte davon abhängen, wie sich die deutsche Industrie entwickeln wird. Auch können Unternehmen niedrigere Gewinnmargen nicht auf Dauer akzeptieren. Die neuen Prognosen der EU-Kommission zeigen, dass nach dem Abschwung 2023 das Wachstum 2024 zwar insgesamt zurückkehren dürfte, aber nur schwach.

Das sind freilich derzeit nur Prognosen und Erwartungen. Aktuelle Zahlen zeigen, dass der Abgesang auf den Standort zumindest aus heutiger Sicht verfrüht ist. (András Szigetvari, 26.2.2024)