Ein Mann macht ein Selfie, während Affen über ihn und eine an ihn geschmiegte Frau klettern.
Schwanztragende und nicht schwanztragende Primaten bei einem Affenfestival in Thailand.
REUTERS/CHALINEE THIRASUPA

Die frühen Urahnen von uns Menschen sahen uns noch nicht sehr ähnlich. Sie waren klein, mit langen Schwänzen. Erst über Jahrmillionen entwickelten sich daraus Wesen, die uns ähnlich sehen. Der Schwanz verschwand vor etwa 25 Millionen Jahren. Unsere Vorfahren verloren damit einige nützliche Funktionen, immerhin dient der Schwanz bei manchen Affenarten als Greiforgan, das die Fortbewegung in Bäumen erleichtert. Für uns war die Entwicklung ein Glücksfall, steht doch der Verlust des Schwanzes im Verdacht, den aufrechten Gang des Menschen begünstigt zu haben.

Dennoch ist der Schwanz nicht ganz verschwunden. Auch Menschen haben beim Heranwachsen im Mutterleib einen Schwanz, der sich allerdings wieder zurückbildet. Übrig bleibt nur ein kleiner Rest: das Steißbein, medizinisch Os coccygis genannt. Es ist ein kleiner Fortsatz der Wirbelsäule, der uns normalerweise nicht beschäftigt, sofern wir uns nicht an dieser Stelle verletzen.

Warum sich bei Menschen und unseren nächsten Affenverwandten der Schwanz in der Embryonalentwicklung wieder zurückbildet, war bislang unklar. Nun gelang es einem Team um die Genetiker Bo Xia, Jef Boeke und Itai Yanai vom Medizinzentrum NYU Langone Health in der Stadt New York, den verantwortlichen Mechanismus zu identifizieren. Die Forschenden fanden heraus, dass es eine Verbindung zu einer bestimmten Klasse neurologischer Erkrankungen gibt. Davon berichten sie in einer Studie, die nun im Fachjournal "Nature" erschien.

Über hundert Gene untersucht

Säugetiere besitzen eine ganze Reihe von Genen, die erwiesenermaßen mit der Schwanzentwicklung in Verbindung stehen. Bei Mäusen sind es über hundert Gene, deren Veränderung sich in verändertem oder fehlendem Schwanz niederschlägt. Das Team machte sich auf die Suche nach diesen Genen bei Menschen und Menschenaffen. Man konzentrierte sich auf die sogenannten Exons, jene Teile der Gene, die in Proteine übersetzt werden. In diesem ersten Schritt gelang es allerdings nicht, überzeugende Hinweise auf die Mechanismen zu finden, die für eine unterschiedliche Entwicklung bei schwanztragenden und nicht schwanztragenden Primaten sorgen.

Als diese Suche scheiterte, sah man sich weiterer Teile des Erbguts an, die nicht direkt in Eiweißmoleküle übersetzt werden. Gene enthalten neben den DNA-Sequenzen, die den Bauplan für Proteine und damit für lebendes Gewebe tragen, auch sogenannte Introns, die diese Sequenzen trennen.

Ein Affe auf einem Seil frisst eine Frucht.
Beim Klettern ist der Schwanz oft hilfreich. Dennoch bildete er sich bei unseren Vorfahren zurück.
AFP/PATRICK T. FALLON

Innerhalb des Gens TBXT, von dem bekannt ist, dass es in die Schwanzentwicklung involviert ist, wurden die Forschenden fündig. Im fünften Intron von TBXT fand man eine Gensequenz, die sich als heiße Spur erwies, eine sogenannte Alu-Sequenz. Diese sich wiederholenden Gensequenzen sind typisch für Primaten. Gemeinsam mit einer benachbarten Alu-Sequenz, die allerdings gespiegelt war, bildete es im Gen TBXT ein charakteristisches Muster, das beim Ablesen zu einem Effekt namens Spleißen und dem Verlust von Teilen des entstehenden Proteins führte. Es schien also tatsächlich Auswirkungen auf die Bildung von Proteinen zu haben. Ein weiterer ermutigender Hinweis war, dass die entdeckte Alu-Sequenz genau zu jener Zeit Teil des Gencodes geworden sein dürfte, als die Vorfahren von Menschen und Affen ihre Schwänze verloren.

Das Gen TBXT sei auch aus anderen Gründen ein aussichtsreicher Kandidat, schreibt das Team in seiner Arbeit. Es handelt sich um ein Gen, das über lange Zeit weitergegeben worden war und für sehr grundlegende Funktionen verantwortlich ist. Veränderungen in diesem Gen konnten bei Tieren in ihrer Entwicklung tatsächlich zum Verlust des Schwanzes führen.

Schwanzentwicklung bei Mäusen

Weitere Untersuchungen bestätigten, dass die Veränderung bei Menschen zu einer speziellen Form des TBXT-Proteins führt. Menschen verfügen also über ein Protein, das bei Mäusen so nicht existiert. Um zu überprüfen, ob man tatsächlich den richtigen Schalter für die Schwanzentwicklung gefunden hatte, veränderte man das Erbgut von Mäusen, sodass sie das originale und das veränderte Protein in unterschiedlichen Verhältnissen produzierten. Und tatsächlich fehlte den Mäusen, bei denen das Protein nach menschlichem Vorbild überwog, der Schwanz. Doch auch bei jenen, die das Menschenprotein in schwächerer Konzentration in sich hatten, war der Schwanz zurückgebildet.

Doch das war nicht die einzige Veränderung, die sich beobachten ließ. Einige der Mäuse entwickelten Rückenmarkserkrankungen, die auch vom Menschen bekannt sind. Etwa eines von tausend Kindern ist davon betroffen. Gemeint ist etwa Spina bifida, dabei entwickelt sich die Wirbelsäule nicht wie vorgesehen, sondern ist zweigeteilt. Die Forschenden mutmaßen, dass diese Erkrankungen auf das veränderte Gen zurückzuführen sind.

Für die Selektion ist diese Eigenschaft natürlich ein Nachteil. Zudem sind auch die Vorteile der Schwanzlosigkeit für den aufrechten Gang nicht ganz eindeutig. Dass sich die Veränderung trotzdem durchsetzte, könnte an spontanen Genveränderungen in einer kleinen Gruppe unserer Vorfahren liegen – einer Gruppe, die etwa durch Klimaveränderungen isoliert worden war. In so einer Gruppe wären zufällige Effekte wie das Wandern einer Alu-Sequenz von größerer Bedeutung als Selektionsvorteile durch das Fehlen eines Schwanzes.

Trotz dieses Risikos für Krankheiten waren die schwanzlose Primaten letztlich erfolgreich und sorgten dafür, dass wir heute ohne Schwanz geboren werden. (Reinhard Kleindl, 28.2.2024)