Gebäude, Theater, Kino, Kunst
Kulturhauptstadtjahr 2024: In Gmunden wurden Kunstwerke von Gottfried Helnwein installiert.
Foto: Rudi Gigler / Salzkammergut Festwochen Gmunden

Es ist großartig zu erleben, dass das Thema, mit dem man sich beschäftigt, nach vorne zieht, Bedeutung und Öffentlichkeit bekommt und dass es Menschen wie Gottfried Helnwein gibt, die ihm einen hohen Stellenwert einräumen. Wovon spreche ich? Ich spreche von den Mädchen oder auch dem Mädchen in der Kunst. Mich interessiert das Mädchen oder die Tochter als Hauptperson des Elektrakomplexes, der die exklusive Bindung des Mädchens an den Vater festschreibt. An dessen Analyse und Widerlegung arbeite ich seit Jahren.

Zunächst folgender Befund: Die Mädchen dominieren die Kunstgeschichte, sie bilden das Dekorum, sie kommen als Musen und als Grazien vor, als Nymphen, als Gebäudeschmuck und Personifikationen. Ein großer Teil der historischen Bildwerke zeigt Mädchen, von Venus bis Mona Lisa. Warum? Warum wurden bevorzugt Mädchen dargestellt, bei gleichzeitiger Bedeutungsreduktion im realen Leben, bei gleichzeitigem Ausschluss aus Öffentlichkeit und Recht? Da liegt doch ein Widerspruch vor.

Der Elektrakomplex

Das Mädchen verbreitet die Schönheit, eine gesteigerte Atmosphäre, eine Erregung. Es repräsentiert den erotischen Code, der, das darf man für die europäische Kunstgeschichte annehmen, aus männlicher Perspektive formuliert wurde. Die Gültigkeit dieses Satzes lässt sich leicht bis in die Moderne bestätigen, noch bis ins 20. Jahrhundert. In dieser Fährte liest sich natürlich auch der Elektrakomplex, so wie man ihn in der Kurzfassung versteht: Das Mädchen, also die Tochter, wird die Mutter hassen und den Vater lieben, mit dem sie Einigung und Komplizenschaft will. Die Geschichte des Elektrakomplexes läuft also darauf hinaus, dass man das Mädchen als symbolische Substanz gewinnt, die den Vorrang des Vaters und dessen libidinöser Struktur sichert – während die Mutter ausgebootet wird.

Im Lichte dieser Konstellation, von der ich nicht wüsste, dass sie überholt wäre, muss die Darstellung von Mädchen in den Medien, in der Mode, im Film, in der Werbung und in der Kunst sorgfältig analysiert werden. Wer genau soll sie betrachten, was ist ihr Auftrag? Sind sie Objekt oder Subjekt? In Helnweins Kunst kommen, wie man gerade jetzt in Österreich reichlich Gelegenheit hatte, mit eigenen Augen zu bestätigt zu finden, Mädchen vor, und zwar, durchaus in Einklang mit der medialen Tendenz, tatsächlich besonders junge Mädchen, weibliche Kinder.

Inszenierte Präsenz

Im Unterschied zu Pierre Klossowskis oder auch Balthus' Mädchendarstellung – die als problematisch längst erkannt sind – laden die Mädchen bei Helnwein den Betrachter nicht mit erotischen Gesten ein. Es ist eine andere Bildlogik, die da ausgebreitet wird. Die Mädchen werden nicht selten extrem vergrößert gezeigt, wie unter der Lupe, sodass ihre Lieblichkeit beinahe unerträglich wird. Helnwein sagt selbst, seine Kunst zeige die Verletzlichkeit, er prangere Gewalt an und trete für den Schutz der Kinder ein (kleine Jungen fehlen allerdings in seiner Bildwelt). Es ist wichtig, dass er es sagt, denn was man sieht, spricht eine andere Sprache. Man sieht die Mädchen in einer ausgesetzten Weise, ihre inszenierte Präsenz wirkt beunruhigend, das Gefühl, es sei ein Täter im Raum, wird meistens noch verstärkt durch (Kunst-)Blutspuren in Gesicht und am Hals. Die Bilder selbst "prangern" nichts an, Bilder zeigen etwas, und was diese Bilder zeigen, ist das Mädchen als Köder und Opfer. Köder ist das Mädchen für den interessierten Blick, in dem Sinne, in dem die Mädchen immer schon die Bilderwelten aufzudonnern hatten. Nicht "die Schöne" wurde dargestellt, sondern durch die Schöne wurde das Bild mit Begehren geladen.

Rätselhafte Heiligkeit

Die Mädchen füllen also diese Bilder Helnweins mit ihrem Schmelz, ihrer Unschuld, ihrer rätselhaften Heiligkeit, sie sind die Energie, die verwendet wird, um diese Bilder unwiderstehlich, im voyeuristischen Sinne attraktiv zu machen. Aber es sind keine Heiligenbildchen, sondern Bilder des Mädchens als Opfer, als williges Wesen, das still hinnimmt und das mit dem Argument des Elektrakomplexes synchronisiert ist. Dafür spricht auch die Triangulation der Themen Helnweins: Mädchen, Nazis, Mickymaus. Der Betrachter ist implizit männlich und Täter – was tatsächlich ein ambivalenter Kunstgriff Helnweins ist, der aufrütteln möchte. Es ist nichts einzuwenden gegen die künstlerischen Mittel, mit denen Helnwein seinen Protest formuliert, wäre da nicht dieser irritierende Stockholm-Syndrom-Blick des Mädchens, das den Täter auf perverse Weise lieb hat.

Die Frage bleibt, ob solche Darstellungen von Gewalt – vor allem nach der Epstein-Affäre, die bestimmt nur die Spitze des Eisberges war – dazu geeignet sind, Gewalt zu kritisieren. Die Ikonografie des heiligen Mädchens, die Helnwein mit sicherem Gefühl für einen anstehenden Umbruch in der Geschlechterordnung in Angriff genommen hat, wird allerdings, um konsistent zu werden, das männliche Blickprivileg und die mit ihm historisch transportierte Gewalt hinter sich lassen müssen.

Fragen wir doch die Mädchen selbst, ob es eine gute Idee ist, diese Motive Helnweins im Rahmen des Kulturhauptstadtjahrs 2024 im öffentlichen Raum zu zeigen. (Elisabeth von Samsonow, 29.2.2024)