Auf den ersten Blick ist es eine simple Angelegenheit: In vielen österreichischen Städten ist Wohnraum knapp, die Mieten sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Zugleich stehen tausende Wohnungen dem Markt nicht zur Verfügung, weil sie nicht vermietet werden. Was wäre naheliegender, als eine Leerstandsabgabe einzuheben, um damit das Problem zu entschärfen? Hinzu kommt: Wohnraum zu nutzen, der schon gebaut ist, bedeutet auch weniger Bodenversiegelung. Win-win.

Doch in der Praxis gilt es bei einem solchen Vorhaben einige komplexe Fragen zu beantworten: Was genau gilt als Leerstand? Wie hoch sollte die Abgabe sein?

Welche Wohnungen sind bewohnt? Das zu erkennen ist nicht immer leicht.
IMAGO/Sabine Gudath

Gut möglich, dass sich Experten in Österreich in den kommenden Monaten genau mit diesen Themen befassen werden. Die türkis-grüne Regierung will ja den Weg für echte Leerstandsabgaben freimachen. Die Koalition hat sich im Rahmen ihres Pakets zur Förderung des Bausektors auf Drängen der Grünen darauf verständigt, den Ländern künftig mehr Möglichkeiten zur Einhebung von Leerstandsabgaben zu geben.

Derzeit ist es so, dass Wohnpolitik ("Volkswohnungswesen") in die Kompetenz des Bundes fällt. Die Länder dürfen allerdings solche Abgaben einheben: Salzburg und die Steiermark erlauben das ihren Gemeinden bereits, Tirol verpflichtet sie dazu, und Wien hebt eine Abgabe für Zweitwohnsitze ein.

Jedoch hat der Verfassungsgerichtshof in einem Urteil 1985 festgelegt, dass solche Abgaben so niedrig sein müssen, dass damit keine Mobilisierung von Wohnraum erfolgt – das wäre Bundessache. Aufgehoben wurde mit der Entscheidung damals eine kurz davor eingeführte Leerstandsabgabe in Wien. Die Folge: Die Leerstandsabgaben in den Bundesländern sind niedrig, für 100-Quadratmeter-Wohnraum fallen für Eigentümer gerade einmal 1000 Euro im Jahr an. Niemand wird deshalb eine Wohnung vermieten.

Das soll sich durch eine Ergänzung der relevanten Verfassungsbestimmung künftig ändern.

Video: Wieso Wohnen in Wien immer teurer wird
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Wie viel Leerstand gibt es?

Aber wie groß ist das Problem wirklich? Laut der jüngsten Gebäude- und Wohnungszählung durch die Statistik Austria aus dem Herbst 2021 waren 653.000 Wohnungen in Österreich ohne Haupt- und Nebenwohnsitzmeldung. Dreizehn Prozent aller Wohnungen wären demnach leerstehend.

Diese Zahl gilt unter Experten allerdings als wenig zuverlässig. Die Statistiker nutzen für ihre Auswertung das Melde- sowie das Gebäude- und Wohnungsregister. Beide Register werden aber nicht geführt, um Leerstand zu erfassen. Genauere Daten gibt es für Innsbruck und Wien. In der Tiroler Landeshauptstadt beschäftigt sich ein eigenes Referat mit der Erfassung von Leerständen, unter anderem, um damit Kurzzeitvermietungen via Airbnb überprüfen zu können.

Laut dem zuständigen Referatsleiter Manfred Hirsch werden im Zuge der aufwendigen Überprüfungen Daten aus den Melderegistern ergänzt, indem vor Ort Überprüfungen stattfinden. Mit etwas mehr als der Hälfte der Gebäude sind er und sein Team in Innsbruck durch. Die Leerstandsquote, definiert als Wohnungen, in denen seit mehr als sechs Monaten niemand gemeldet ist, liegt demnach bei 8,7 Prozent.

In Wien analysiert die Arbeiterkammer seit 2018, wie viele neue Wohnungen gebaut werden und wie sich die Zahl der Haushalte verändert. Auf Basis einer Prognose zeigt sich, dass zwischen 2018 und 2025 rund 34.000 Wohnungen in Wien auf den Markt kommen dürften, die niemand als Hauptsitz bewohnt. Das entspricht der Größe Villachs, wobei es schon vor 2018 Leerstand in der Bundeshauptstadt gab, der hier gar nicht erfasst ist, wie Thomas Ritt, Wohnbauexperte der Arbeiterkammer, sagt.

Kurzum: Auch wenn es keine exakten Zahlen gibt, Fakt ist, dass in einigen Ballungszentren eine beträchtliche Zahl an Wohnungen dem Markt entzogen sind. Was mit diesem Wohnraum geschieht, ist unterschiedlich: Neben den erwähnten touristischen Vermietungen dienen sie als Anlageobjekte, wie der Innsbrucker Referatsleiter Hirsch sagt.

Wie hoch wäre die Abgabe ...

Erste, nicht triviale Aufgabe der Bundesländer wäre demnach, den Leerstand zu erfassen. Für die Ökonomin Sofie Waltl von der University Cambridge, die sich auf den Wohnungsmarkt spezialisiert hat, stellt das vielleicht überhaupt die größte Hürde auf dem Weg zu einer Leerstandsabgabe da.

Aber im Grunde gibt es Ideen, um das Problem zu lösen. Überprüfungen wie in Innsbruck wären eine, wenn auch aufwendige, Möglichkeit. Alternativ könnte in irgendeiner Form auf das Melderegister zurückgegriffen werden. Wenn eine Abgabe droht, hätten auch Betroffene ein Interesse daran, dass sie im Melderegister richtig aufscheinen. Vielleicht ließen sich dann manche falsche Einträge korrigieren. Umgehungsmöglichkeiten gibt es blieben natürlich dennoch, denkbar wäre etwa die Scheinmeldung für eine Wohnung. Wer eine leerstehende Wohnung hat, könnte damit die Abgabe umgehen. Für Investoren oder Airbnb-Vermieter, die viele Wohnungen besitzen, wäre das allerdings schon schwieriger.

Zweite Aufgabe der Bundesländer wäre, festzulegen, wie hoch die Steuer auf leere Wohnungen sein müsste. Die Grünen in Wien haben ausgerechnet, dass die erwähnte Wiener Abgabe aus den 1980er-Jahren, die damals vom Höchstgericht als zu hoch aufgehoben wurde, an die Inflation angepasst heute etwa 13 Euro je Quadratmeter betragen würde. Das wären bei 100 Quadratmetern also Kosten von 1.300 Euro im Monat. Im Jahr wären das 15.600 Euro – wobei hier die hohen Mietsteigerungen seither nicht berücksichtigt sind. Die Wiener Grünen schlagen für eine Wohnung dieser Größenordnung einen niedrigeren Betrag vor, rund 5.300 Euro. Bei Bedarf könnte der Betrag mit der Zeit steigen.

... und würde sie wirken?

Der Innsbrucker Experte Hirsch will keine Zahlen nennen, sagt aber, dass sich die Abgabe danach richten könnte, wie viele Wohnungen jemand leer stehen lässt und wie lange. Die Oma im Pflegeheim, deren Wohnung nicht zwischenvermietet wird, könnte somit ganz anders erfasst werden als ein Großinvestor.

Gibt es überhaupt Belege dafür, dass eine Leerstandsabgabe funktionieren kann? Ja. Allerdings gibt es nur wenige Studien dazu.

Der Wohnbauspezialist des Wifo, Michael Klien, sagt, er kenne nur eine Arbeit dazu: Die Ökonomin Mariona Segú von der CY-Cergy-Paris-Universität und ihr Kollege Benjamin Vignolles von der Paris School of Economics haben sich in einem 2016 erstmals publizierten Paper angesehen, wie sich eine in Frankreich 1999 eingeführte Leerstandsabgabe ausgewirkt hat. Ergebnis: In Städten, in denen die Abgabe eingeführt wurde, ging der Leerstand im Verhältnis zu jenen Ortschaften, in denen keine Abgaben eingeführt wurden, um 13 Prozent zurück. Die meisten dieser Wohnungen wurden auf den Markt geworfen. Die Höhe der Abgabe betrug in Frankreich zehn Prozent der erwartbaren Mieterlöse im ersten Jahr und stieg danach auf 15 Prozent an.

Um ihren Plan zu verwirklichen, braucht die Regierung eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat, also die Zustimmung von SPÖ oder FPÖ. Die Sozialdemokratie hat in den vergangenen Jahren immer wieder eine Leerstandsabgabe gefordert und zeigt sich jetzt entsprechend gesprächsbereit. Gut möglich also, dass der Praxistest für ein neues Modell in dem einen oder anderen Bundesland bald starten kann. (András Szigetvari, 29.2.2024)