Zum 18. Mal in Folge verzeichnet der Thinktank Freedom House in seinem Bericht für 2023 einen weltweiten Rückgang von Freiheit und Demokratie. Während sich die Lage in 21 Staaten verbessert hat, etwa in Thailand und Polen, gab es in 52 Staaten Rückschritte, so in den Putschstaaten in Westafrika, in Lateinamerika, Serbien und Russland. 2005 war das letzte Jahr, in dem der alljährliche Bericht einen globalen Fortschritt sah. Ein ähnliches Bild zeichnete vor kurzem der Demokratie-Index des britischen "Economist".

Russland, Widerstand, Polizei, Nawalny
Mit Härte geht die Polizei in Sankt Petersburg gegen alle vor, die Widerstand gegen das Regime leisten. Die Präsidentenwahl wird auch deshalb zur Farce.
EPA/ANATOLY MALTSEV

Die Hoffnungen auf eine weltweite Liberalisierung und Demokratisierung, die einst der Kollaps des Kommunismus ausgelöst hatte, haben sich zerschlagen und werden auch nicht im heurigen großen Wahljahr wiederbelebt werden. Das liegt aber nicht daran, dass autoritäre Herrschaftsformen besonders erfolgreich sind.

Vor einigen Jahren sprachen noch viele von den Vorzügen des chinesischen Modells, das starkes Wachstum und effiziente politische Entscheidungen mit Repression verband. Aber seit dem Chaos im Corona-Management, dem abgeschwächten Wachstum, den Turbulenzen im Finanzsektor und der demografischen Krise, die Pekings radikale Ein-Kind-Politik verursacht hat, dient China immer weniger als Modell für den Weg in den Wohlstand. Pluralistische Demokratien beweisen Mal für Mal ihre Überlegenheit.

Griff zur nationalistischen Karte

Aber die chinesischen Machthaber haben etwas anderes bewiesen: Mit genügend Brutalität kann eine einmal errungene Macht fast unbegrenzt verteidigt werden. Das schaffen auch Tyrannen, die ihr Land in Armut und Verzweiflung stürzen, wie Venezuelas Präsident Nicolas Maduro. Wird die Lage zu schlimm, greifen sie zur nationalistischen Karte oder gar zum Krieg. Und die wachsende Zahl an militärischen Konflikten, so Freedom House, trage viel zum Verlust von Freiheiten bei.

Wer Wahlen zulässt, kann den Ausgang manipulieren – indem unerwünschte Parteien und Kandidaten erst gar nicht antreten dürfen, die Wahlen gefälscht oder das Ergebnis nicht anerkannt wird. Und selbst dort, wo Wahlsieger eine echte Mehrheit hinter sich haben, erkaufen sie sich ihre Popularität allzu oft mit Verlust von Freiheit. Das gilt für Ungarns Viktor Orbán genauso wie für Narendra Modi in Indien.

Es fehlt an Gegenmitteln

Die liberalen Demokratien im Westen stehen dieser Entwicklung hilflos gegenüber. Mit militärischer Gewalt kann Freiheit nicht durchgesetzt werden – das haben die Kriege in Afghanistan, Irak und Libyen bewiesen. Aber auch Wirtschaftssanktionen sind meist wirkungslos, wie das Beispiel Iran zeigt. Die Einschränkung von Handel, Investitionen und Entwicklungshilfe bestraft die ohnehin gequälte Bevölkerung mehr als die Machthaber, die ihre Privilegien immer verteidigen können. Das sollten auch die Kämpfer für strenge Lieferkettengesetze bedenken.

Letztlich sind weder die USA noch die EU für die politische Entwicklung in anderen Staaten verantwortlich, daran ändert auch eine koloniale Vergangenheit nichts. Es liegt an den Menschen dort, sich ihre Rechte zu erkämpfen und diese zu verteidigen. Die westlichen Demokratien können nur ihre eigenen Standards hochhalten. Und dazu gehört, die Feinde der Freiheit im eigenen Land an der Wahlurne zu besiegen und nicht zu versuchen, sie zu verbieten oder auszuschließen. Das ist die Praxis der Tyrannen. (Eric Frey, 3.3.2024)