Ein Chor stellte Fuzzmans
Ein Chor stellte Fuzzmans "Hymne der Republik" vor: "Weil singen die Gemeinschaft stärkt, wenn man das alberne Völkische weglässt."
APA/EVA MANHART

Rot-lila-grün-schwarz gestreift wehen die Fahnen. So mondän haben die Festwochen ihr Programm selten präsentiert. Die politischste Ausgabe seit vielen Jahren wurde am Freitag im Hotel Imperial vorgestellt. In diesem seltsamen Pomp aus goldigem Marmor und Wandmalereien, dessen sinnfälligste Verbindung zum Festival darin liegt, dass Adolf Hitler einst hier abgestiegen ist und Milo Rau mit seiner Arbeit seit je gegen Machtansprüche und Menschenverachtung angeht. Aber natürlich ist das kein Missgeschick des Neo-Intendanten und Neo-Wieners. Mit roter Stricksturmhaube à la Pussy Riot entert er den Bau. Hier wird etwas gekapert.

Er sei "mit großen Erwartungen und Schrecken" gekommen, wie soll man mit der Stadt von Arnold Schönberg und Adolf Hitler umgehen? Etwa indem Rau zum Festwochen-Start am 17. Mai eine "Freie Republik Wien" ausruft und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler zu deren "Kulturministerin" aufwertet.

Die kann ihr Glück darob und ob der Programmfülle kaum fassen. Mit einer Geschwindigkeit sei das Programm des erst vergangenen Juli Angetretenen zustande gekommen, die sie nicht für möglich gehalten habe. Noch wichtiger: Diese Festwochen schlössen einen Bogen zu Christoph Schlingensiefs Container Bitte liebt Österreich (2000) – der in Erinnerung geblieben sei, sehr stark öffentlich gewirkt und zum Profil der Festwochen beigetragen habe.

14,4 Millionen für 46 Projekte

14,4 Millionen Euro Budget stehen dem Schweizer für die Herausforderung zur Verfügung. Musik und Musiktheater will Rau wieder stärken, etwa mit dem "Club der Republik" („alle möglichen geilen Bands“ dreimal die Woche im Volkstheater) der "Akademie Zweite Moderne", die feministischer, diverser sein soll als ihr 100 Jahre alter Reibebaum. Komponistin Bushra El-Turk bringt dafür ihre Oper Woman at Point Zero zu Privilegien.

Viele Namen sind mit Kirill Serebrennikov (Barocco), Kornél Mundruczó (Parallax über eine jüdische Familiengeschichte), Peter Brook (Tempest Project), Angelica Lidell (Liebestod), Kim de l’Horizon (Blutstück) klingend, Titel wie fotzenschleimpower gegen raubtierkapitalismus (Mateja Meded über osteuropä­ische Einwanderung) auch. Tim Etchells wird mit Die Rechnung volksnah durch die Bezirke tingeln. In der Kunsthalle läuft die Schau Genossin Sonne über den kosmischen Einfluss auf gesellschaftliche Umbrüche.

Ernaux, Varoufakis, Jelinek

Gemeinsam mit vier Kuratoren hat Rau 46 Projekte auf die Beine gestellt, darunter sechs Uraufführungen und 13 Koproduktionen. Davon werden mit 30 Produktionen weniger als zuletzt im Verkauf landen, diese dafür aber größer sein und häufiger gezeigt werden, sodass man insgesamt auch heuer auf 45.000 aufgelegte Tickets kommt. Größer als zuletzt und noch weiter in den Stadtraum ausgeweitet soll der Anteil gratis zugänglicher Projekte im Programm sein. "Es gibt so viele hervorragende Produktionen, vielleicht auch, weil wir sie selbst eingeladen haben", freut sich Rau.

Video: Wiener Festwochen rufen unter Milo Rau die Freie Republik aus.
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Im Herzen sind die Festwochen heuer zudem partizipativ: In einem "Haus der Republik" im Volkskundemuseum soll es Workshops geben und von einem "Rat der Republik" eine Verfassung für den weiteren Festivalkurs erarbeitet werden: Wie viel teurer als die billigste Produktion darf die teuerste bald sein? In diesem Rat sollen neben Annie Ernaux, Angela Davies, Yanis Varoufakis oder Elfriede Jelinek demografisch repräsentative Wienerinnen und Wiener sitzen. Also auch FPÖ-Sympathisanten. Er sei sich mit niemandem im Rat in allem einig, sagt Rau. Es geht um den Austausch.

Corona, FPÖ, Klimakleber

Besonders stolz ist man auf die Wiener Prozesse, die in Anlehnung an jene, die Rau schon in Moskau und in Kongo abgehalten hat, vonstattengehen sollen. Irmgard Griss und Maria Berger sollen sie führen, eine Jury aus der Bevölkerung das Urteil fällen. Anhand der Pandemie soll es um "Die korrupte Republik", anhand der FPÖ um "Anschläge auf die Demokratie" und mit Blick auf die Klimakleber um die "Heuchelei der Gutmeinenden" gehen. Im besten Fall werden sie Diskurse auf engstem Raum komprimieren. Ein FPÖ-Vertreter war schon bei der Pressekonferenz – wohl ein Novum.

Rau sieht seinen Einstand als "Transformationsjahr" zur "Politisierung" des Festivals. "Es geht darum, wie eine selbstermächtigende Bürgergesellschaft im 21. Jahrhundert aussehen kann." Verglichen zu den letzten Jahren sind die diskursiven nun Themen handfester. "Ihr wollt es doch auch", steht auf einem Transparent. Neugierig ist man. (Michael Wurmitzer, 1.3.2024)