Malven-Langhornbiene
Vom Artenschwund ist auch die Malven-Langhornbiene betroffen. Seit mehr als 50 Jahren wurde sie im untersuchten Naturschutzgebiet nicht mehr gesichtet.
NHM Wien, Sylvia Wanzenböck

Wer denkt, dass es nur eine Art von Bienen gibt, nämlich Honigbienen, liegt falsch. Sehr falsch sogar, denn außer unserem Nutztier Apis mellifera gibt es noch jede Menge Wildbienen, die als Pflanzenbestäuber genauso wichtig sind: Rund 30.000 Arten sind es auf der ganzen Welt, 710 allein in Österreich. Damit sind wir in Mitteleuropa Spitzenreiter, doch diese Vielfalt ist in akuter Gefahr, denn der massive Rückgang der Insektenfauna macht auch vor den Wildbienen nicht halt: Eine Studie, die das Naturhistorische Museum (NHM) Wien und die Universität für Bodenkultur (Boku) Wien in den Jahren 2018 und 2019 in den Sandbergen Oberweiden in Niederösterreich durchführten, ergab einen deutlichen Rückgang der dortigen Wildbienen-Arten in den letzten 100 Jahren.

Rote Liste der Wildbienen

Die Sorge der Insektenkundler um die wilden Verwandten der Honigbiene führte 2019 zur Gründung des Österreichischen Wildbienenrates, eines Zusammenschlusses von Expertinnen und Experten für Insekten, Bestäubungsökologie und Biodiversität. Als besonders dringend erachtete das Gremium von Anfang an die Erstellung einer Roten Liste für die Wildbienen, denn Rote Listen sind nicht nur ein Verzeichnis dessen, was wir im Begriff sind zu verlieren. Vielmehr spielen sie eine wichtige Rolle bei Flächenbewertungen und für die Planung von Naturschutzmaßnahmen: Man kann Arten nicht wirkungsvoll schützen bzw. fördern, ohne zu wissen, ob sie an einem bestimmten Ort überhaupt vorkommen oder vorgekommen sind.

Mittel aus dem Biodiversitätsfonds des Klimaministeriums machten es voriges Jahr dann möglich: Unter Leitung des Naturhistorischen Museums Wien wurde mit der Erfassung der österreichischen Wildbienen begonnen. Dabei wird in erster Linie das bereits vorhandene Material gesichtet. Das ist wichtig, denn zukünftige Entwicklungstrends von Arten lassen sich desto besser einschätzen, je mehr man darüber weiß, wie sich ihr Bestand in der Vergangenheit entwickelt hat.

Gehörnte Mauerbiene
Gehörnte Mauerbienen (hier bei der Paarung) sind einige der wenigen Wildbienen, die nicht stark gefährdet sind – auch weil sie von künstlichen Nisthilfen profitieren und beim Futter nicht sehr wählerisch sind.
imago images/blickwinkel

Das Vorhaben ist kein kleines: Allein am NHM gibt es mehr als 20.000 Präparate heimischer Wildbienen; dazu kommen viele Tausend aus den Landesmuseen und privaten Sammlungen. Für ihre Erfassung wurde zuerst die maßgeschneiderte Datenbank Biorecords durch die oberösterreichische Firma Link Interactive Systems geschaffen, die bereits die Zoologisch-Botanische Datenbank (Zobodat) für das Biologiezentrum des Oberösterreichischen Landesmuseums programmiert hatte.

Exemplare bestimmen

Dann ging es an die Bearbeitung der Präparate. Im Zuge des Rote-Liste-Projekts wird die Artzugehörigkeit jedes einzelnen Exemplars bestimmt, jedes Tier mit einer eindeutig zuordenbaren Nummer versehen und das Ganze schließlich in Biorecords eingegeben. Dieser Teil der Arbeit ist mit enormem Zeitaufwand verbunden: Bei vielen Tieren, die schon vor Jahrzehnten bestimmt wurden, hat sich in der Zwischenzeit die Namensgebung geändert, und manche wurden auch einfach falsch bestimmt.

Deshalb muss jedes einzelne Präparat in die Hand genommen und untersucht werden: Das dauert – gemeinsam mit der Eingabe in die Datenbank – im besten Fall zehn Minuten, im schlimmsten Fall mehrere Stunden, wie Projektleiter Herbert Zettel vom NHM ausführt. Und es braucht ein enormes Wissen über die Insekten: Da viele Wildbienen einander extrem ähnlich sehen, dauert es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, ehe man sie sicher auseinanderhalten kann. "Ich mache das jetzt seit 30 Jahren, aber manchmal gibt es Tiere, die ich an jemanden schicken muss, der sich noch länger damit beschäftigt", illustriert Zettel das Problem.

Ochsenzungen-Seidenbiene
Die Ochsenzungen-Seidenbiene ist auch in Österreich mittlerweile sehr selten geworden.
Heinz Wiesbauer

Nichtsdestoweniger haben Zettel und seine Kolleginnen Sylvia Wanzenböck vom NHM und Esther Ockermüller vom Büro für Entomologie & Naturschutz in Oberösterreich mittlerweile schon knapp 20.000 Präparate in Biorecords eingegeben. Wenn dieser Teil der Arbeiten abgeschlossen ist, werden alle Arten einer Beurteilung ihres Gefährdungsgrades nach den Kriterien der International Union for Conservation of Nature (IUCN) unterzogen. Auch eine Aufschlüsselung der jeweiligen Situation in den einzelnen Bundesländern ist geplant. Das soll den Landesregierungen ermöglichen, gezielte Schutzmaßnahmen für die vorkommenden Spezies zu erlassen.

Deutlicher Rückgang der Arten

Schon jetzt lässt sich aber ein deutlicher Rückgang bei vielen Arten feststellen, denn: "Wir sehen einen unglaublichen Verlust an Areal, das die Tiere überhaupt besiedeln können", betont Zettel. Schuld daran sind in erster Linie Bodenversiegelung und die Intensivierung der Landwirtschaft. Als Beispiel nennt Zettel die Ochsenzungen-Seidenbiene (Colletes nasutus): Noch in den 1940er-Jahren war die Art im Wiener Becken und Neusiedler-See-Gebiet häufig anzutreffen; heute ist sie in ganz Europa gefährdet. In Österreich gibt es nur noch einige wenige Populationen im Landesosten.

Die Situation für Wildbienen ließe sich laut Zettel schon deutlich verbessern, wenn man darauf verzichten würde, die Pflanzen entlang von wenig befahrenen Straßen zur Blütezeit zu mähen, denn ihre Blüten stellen eine wichtige Futterquelle für die Insekten dar. Auch die Anlage von Blühstreifen entlang von Wegen würde sich positiv auswirken. Dass das funktioniert, zeigt sich unter anderem in Wien: Durch den Verzicht auf Insektizide und das reiche Pflanzenangebot in den Parks und auf naturnahen Flächen kommen im Bundesland Wien rund 400 Arten der heimischen Wildbienen vor. (Susanne Strnadl, 9.3.2024)