Der Spitzenkandidat der Europäischen Sozialdemokraten (PES), der Luxemburger Nicolas Schmit, ist derzeit EU-Sozialkommissar.
AP/Alessandra Tarantino

Europas Sozialdemokraten blasen zum Kampf gegen den Rechtsruck in Europa und Versuche von Rechtspopulisten und extrem rechten Parteien, deren Ziel es sei, die Europäische Union "zu schwächen und sogar zu zerstören". Das war der allgemeine Tenor beim Kongress der Europäischen Sozialdemokraten (PES), dem Dachverband der nationalen Mitgliederparteien, bei einem Kongress in Rom am Wochenende zum Auftakt der Europawahlen im Juni.

Dabei wurden das Wahlprogramm "Das Europa, das wir wollen - sozial, demokratisch und nachhaltig" beschlossen. Als Spitzenkandidat wurde der Luxemburger Nicolas Schmit mit überwältigender Mehrheit gewählt. Der 70-Jährige ist derzeit EU-Sozialkommissar und wird gegen die Christdemokratin und Präsidentin Ursula von der Leyen antreten im Rennen, wer die Kommission ab Juli in den nächsten fünf Jahren bis 2029 führen wird.

Spaniens Premier: "Das Wesen Europas ist in Gefahr"

Realistischerweise hat nur ein Kandidat aus den beiden größten Fraktionen im Europaparlament in Straßburg die Chance, von den Staats- und Regierungschefs ins wichtigste Amt auf EU-Ebene nominiert zu werden. Die Deutsche, 65 Jahre alt, wird nächste Woche beim EVP-Kongress in Bukarest zur Spitzenkandidatin der Christdemokraten gewählt werden.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Der SPE-Kongress präsentierte sich auffallend kämpferisch. "Wir werden sie schlagen, und wir werden ein besseres Europa aufbauen", rief Premierminister Pedro Sanchez bei seiner Rede unter starkem Applaus ins Plenum, "das Wesen Europas ist in Gefahr".

Die Sozialdemokraten seien die einzige Partei, die gegen Rechts verlässlich seien, anders als die Christdemokraten, die zuletzt versuchen würden, mit den Konservativen und Rechten neue Mehrheiten zu suchen, betonte Fraktionschefin Iratxe Garcia Perez.

SPÖ-Chef Babler blieb Treffen fern

Der Spanier Sanchez war der erste einer Reihe von Premierministern und -ministerinnen, die den hunderten Delegierten im relativ neuen Kongresshaus "La Nuvola", die Wolke, rhetorisch einheizten. Nach ihm suchten Mette Frederiksen aus Dänemark, Antonio Costa aus Portiugal oder Olaf Scholz aus Deutschland, die Delegierten zu motivieren, "von Tür zu Tür und auf die Straße zu gehen", um die Menschen zu überzeugen.

Alles, was in der europäischen Sozialdemokratie Rang und Namen hat, war in Rom aufmarschiert. Auffallend aus österreichischer Sicht: SPÖ-Chef Andreas Babler bleib dem Treffen fern. Die Partei war von den EU-Spitzenkandidaten Andreas Schieder und Parlamentsvizepräsidentin Evelyn Regner vertreten.

Was auffiel: die starke Emotion in den Redebeiträgen, die starke inhaltliche Konzentration auf die drei Haupthemen. Es gelte, die Demokratie gegen die "Zerstörer" von rechts zu verteidigen. Der ökologische und digitale Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft sei unausweichlich, aber das müsse eben auf eine sozialverträgliche Weise geschehen. Und drittens: Es gehe darum, Europa nachhaltig zu verändern, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen.

Schwedens Ex-Premier sieht "wichtigste Wahl seit 1979"

Die Dänin Frederiksen hielt ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, die Sicherheit und die Widerstandsfähigkeit Europa zu stärken. "Die nächsten Jahre werden schwierig sein", sagte sie, der Krieg in der Ukraine, der ins dritte Jahr gehe, "hat die Realität in Europa grundlegend verschoben. Russland hat die internationale Ordnung angegriffen, er sucht die Instabilität, in Nahost, in Afrika, nun in der Ukraine."

Bei der Unterstützung der Ukraine "brauchen wir alle Staaten, und zwar jetzt. Wir müssen die militärische Hilfe ausstocken", erklärte die Dänin unter Applaus. Auf EU-Ebene müssten gerade die Sozialdemokraten "gegen alle Kräfte auftreten, die die Union bedrohen". Denn: "Soziale Sicherheit und ökologischer Umbau passen zusammen, dann wird Europa wieder ein Leuchtturm in der Welt sein", so die dänische Premierministerin.

Daher sei dies "die wichtigste Wahl seit 1979", als die Direktwahlen zum EU-Parlament eingeführt wurden, betonte Schwedens Ex-Premier und PES-Präsident Stefan Löfwen betonte. Dass der bisher in breiten Kreisen der Bevölkerung unbekannte Nicolas Schmidt die Sozialdemokraten anführe, sei "eine Chance".

"Leben der Menschen verbessern"

"Er steht für die Dinge, die die Sozialdemokratie ausmachen", sagte Schieder im Gespräch mit dem STANDARD. Als zuständiger EU-Sozialkommissar habe er das Programm SURE zur Sicherung der Arbeitsplätze während der Pandemie ebenso mitgestaltet wie er die EU-Regelungen für den Mindestlohn durchgeboxt hat. Er ist ein "Topumsetzer", so Schieder, und als Luxemburger spreche er mehrere Sprachen fließend: "Und er liebt Österreich." Laut Schieder habe sich beim Kongress klar gezeigt, worum es im Wahlkampf gehen werde: "Wir werden der Gefahr von rechts begegnen. Aber wir stehen für Aufbruchstimmung, es gibt Konzepte, wie wir das Leben der Menschen verbessern können".

In dasselbe Horn stieß Spitzenkandidat Schmit im Gespräch mit dem STANDARD. Anders als die Rechten "die kein Konzept haben, begrenzen wir uns nicht auf das Negative, wir haben ein Projekt, wir wollen positiv auf die Menschen zugehen".

Der Luxemburger war parteiintern nicht die erste Wahl für die führende Rolle im Wahlkampf. Nachdem andere starke Spzialdemokraten, wie die frühere finnische Premierministerin Sanna Marin oder Fredriksen abgesagt hatten, kam er zum Zug. "Für mich ist das eine ungeheure Ehre", sagt Schmit im Gespräch. Er sehe sich ganz in der Tradition anderer Luxemburger, die der europäischen Einigung gedient hätten, von Gaston Thorn über Jacques Santer bis Jean-Claude Juncker, die bereits Präsidenten der EU-Kommission gewesen sind und die Union gestalteten.

Prägende Familiengeschichte

In seiner Dankesrede an den Kongress erinnerte Schmit an die Ursprünge der EU in Rom und an das Schicksal seines Großvaters bzw. seiner Familie, das sein Verständnis von Europa geschärft habe. In Rom hätten sechs Länder, "darunter mein Land, Luxemburg", nach dem Krieg die Grundlagen für die Gemeinschaft geschaffen, deren Werte grundgelegt. Das habe ihn geprägt.

"Der Vater meines Vaters", sein Großvater, sei 1940 gestorben, nach dem Überfall durch die deutschen Truppen in Luxemburg, das damals neutral war. Er sei in der Küche gestorben, von einer Kugel getroffen. Sein Vater sei damals zwölf Jahre alt gewesen, erzählte Nicolas Schmit, das sei in der Familie besprochen worden. Diese Geschichte habe sein Verständnis von der Europäischen Union geschärft.

Daher habe der Satz "Ohne Sicherheit ist alles nichts" eine große Bedeutung für ihn, sagte der Luxemburger. Das gelte "nicht nur heute für die Ukraine, sondern für uns alle, für die Demokratie". Er wolle daher gerade von Rom aus sagen: "Die Ukraine verdient jede Unterstützung. Aus ganzem Herzen wiederhole ich daher unser Versprechen. Wir werden Sie niemals aufgeben." (Thomas Mayer aus Rom, 2.3.2024)

Die Reise nach Rom wurde vom Europäischen Parlament subventioniert.