Cordula Cerha
Wirtschaftswissenschafterin Cordula Cerha: "Wien Energie muss Krisenkommunikation betreiben."
Christian Spadt

Die beleidigenden Aussagen von Rapid-Geschäftsführer Steffen Hofmann bzw. homophoben Gesänge von mehreren Spielern und Co-Trainer Stefan Kulovits nach dem Wiener Derby am vergangenen Sonntag haben bereits spürbare Folgen gezeitigt. Österreichs größter Ford-Händler MVC Motors, ein Kooperationspartner des Fußball-Bundesligisten, hat seine Vereinbarung mit Grün-Weiß gekündigt. Wie sollen Sponsoren generell mit den Vorfällen umgehen? Der STANDARD sprach mit Wirtschaftswissenschafterin Cordula Cerha über die Handlungsoptionen.

STANDARD: Die Vorkommnisse nach dem Wiener Fußballderby, die Beschimpfungen des Gegners und die homophoben Gesänge, angestimmt von Spielern und einem Funktionär Rapids, haben auch Sponsoren auf den Plan gerufen. Wie hat ein Unternehmen auf derartiges zu reagieren?

Cerha: Das Ziel des Unternehmens ist es ja, mit einem Verein, den man unterstützt, einem Event oder einer Initiative, für die man Geld gibt, verbunden zu werden. Das Ziel des Sponsorings ist es, einen Imagetransfer zu erreichen. Das heißt, dass in der Regel – das ist die Zielsetzung – positive Eigenschaften, die zum Beispiel mit einem Verein verbunden werden, auf die eigene Marke ausstrahlen und übertragen werden. Das Risiko beim Imagetransfer ist allerdings, dass dieser immer in beide Richtungen wirkt. Das heißt, wenn es zu einem Skandal kommt oder zu einem Ereignis, bei dem ein gesponserter Sportler oder ein Team oder auch die Fans negativ auffallen, dann strahlt das natürlich auch auf den Sponsor zurück.

STANDARD: Im speziellen Fall waren es Spieler und ein Funktionär, die mit homophoben Gesängen, wenn auch nicht während des Spiels, auffällig wurden. Sehen Sie da auch eine Steigerung, die für Wirtschaftspartner ein noch größeres Problem darstellt, als wenn es vonseiten der Fans gekommen wäre, auf die manchmal kaum Zugriff möglich ist?

Cerha: Ich wollte damit nur sagen, dass das auch dazugehört. Und je näher es am Markenkern dran ist, desto gravierender ist es. Denn die Fans werden natürlich schon auch mit dem Verein assoziiert, aber wenn das jetzt wichtigere Akteure wie die Spieler sind, ist der Imagetransfer noch stärker gegeben.

STANDARD: Macht es einen Unterschied, ob es sich um ein großes Unternehmen handelt, ein Unternehmen, das wie die Wien Energie der Stadt zuzurechnen ist, oder ob es ein privates Unternehmen ist?

Cerha: Für das Unternehmen selbst ist es in der Wirkung zunächst gleich. Die Frage ist nur, welcher Anspruch an das Unternehmen gestellt wird. Und da sind die Erwartungen der Öffentlichkeit an ein Unternehmen, das, sagen wir, staatlich zuzuordnen ist, vielleicht schon noch größer. Aber ganz ehrlich, das wäre auch für jeden anderen Sponsor ein Thema, weil keine Marke in ein falsches Licht gerückt werden möchte. Das ist nicht ausschließlich im öffentlichen Bereich ein Thema.

STANDARD: Die Wien Energie hat jetzt die Spitzen von Rapid gleichsam vorgeladen. Wie geht ein Unternehmen am gescheitesten mit solch einer Situation um? Rapid ist ja eine Hausnummer. Stellt die Wien Energie die Unterstützung ein, könnte die negative Wirkung auf die Marke noch etwas größer sein.

Cerha: Ja, natürlich, das auch. Wir haben uns im Rahmen einer Veranstaltung an der WU auch in einer Runde von Expertinnen und Experten mit genau solchen Themen auseinandergesetzt. Wenn Krisen aufkommen, etwa ein Markenboykott Thema wird, ist es in den meisten Fällen so, dass der Schuss nach hinten losgehen kann, wenn das Unternehmen gar nicht reagiert. Man kann natürlich glauben, dass man es aussitzt. Das ist manchmal auch die Strategie, die verfolgt wird. Aber davon ist abzuraten, gerade wenn ein Thema ein bestimmtes Maß an Aufmerksamkeit bekommt. Dann ist die betroffene Marke unter Zugzwang. Insofern ist die Vorladung des Vereins eine Maßnahme, um zu signalisieren, dass man da jetzt quasi Stellung bezieht, wenn auch vorerst intern. Den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass es vorübergeht, ist sicherlich keine Strategie, die ich in der Krisenkommunikation empfehlen würde. Gleichzeitig muss man aufpassen, dass man dem Thema nicht noch mehr Aufmerksamkeit gibt. Das ist eine Gratwanderung.

STANDARD: Nun wird das Thema Diversität offenbar für Unternehmen immer wichtiger. Lässt sich das in Ihrer Arbeit untermauern?

Cerha: Prinzipiell sehen wir, dass der Anspruch an die Unternehmen, zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung zu nehmen, größer wird. Das hängt natürlich damit zusammen, dass wir in einer hochentwickelten Industriegesellschaft leben. Die Frage ist, welche Strategie ein Unternehmen da wählt. Da gibt es Unternehmen, von denen wir sagen können, der Markenkern ist auch ganz stark auf einen Purpose ausgerichtet, da ist das Marketing dann durch die Ausrichtung auf Werte geprägt. Und es gibt andere Unternehmen, die sagen, wir bleiben bei unserem Kerngeschäft. Wir sagen nur zu den Themen etwas, zu denen wir wirklich etwas sagen können, in denen wir Kompetenz haben. Das ist eben eine unternehmensstrategische Entscheidung, wie weit man es zur Mission macht, sich auch gesellschaftspolitisch zu positionieren.

Es gibt natürlich Themen, wo man davon ausgehen kann, dass jedes Unternehmen Stellung beziehen muss. Wenn wir vom Klimawandel sprechen, dann sind heutzutage die Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten groß, dass Unternehmen ihren gesellschaftlichen Verantwortungen gerecht werden und sich nicht nur dazu äußern, sondern auch entsprechende Taten setzen. Um das Thema Sustainability kommt niemand herum. Ob ich mich jetzt zum Thema Rassismus oder Homophobie positionieren möchte, ist eher eine optionale Entscheidung, vor allem wenn es mit meinem Kerngeschäft nichts zu tun hat.

STANDARD: Könnte das für die Wien Energie auch gelten?

Cerha: Es hat vielleicht mit dem Kerngeschäft nichts zu tun, aber man muss trennen. Welche Themen möchte ein Unternehmen aktiv aufgreifen, das heißt, ich mache das zu meinem Thema, beispielsweise das Anliegen, dass Diversity im Unternehmen groß ist, dass man Gleichberechtigung lebt. Oder ist es ein Thema, wo ich im Bereich der Krisenkommunikation unter Zugzwang bin, weil ich mich von einem gesellschaftlich nicht erwünschten Verhalten abgrenzen muss? Die Wien Energie ist da vermutlich eher in der zweiten Situation. Sie muss hier Krisenkommunikation betreiben.

STANDARD: Fußball ist ein emotionaleres Thema als andere Geschäftsgebiete. Kann es auch sein, dass ein Sponsor in den Augen von Fußballfans überzogen reagiert, ja sich sogar schadet, wenn er etwa seine Sponsortätigkeit ernsthaft überdenkt?

Cerha: Das ist immer eine Frage der Zielgruppe. Welche Werte für ein Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil bringen, mit welchen Werten es sich im Markt positioniert und präsentiert, ist immer abhängig von der gewünschten Zielgruppe, die man ansprechen möchte. Ist es, allgemein gesagt, ein sehr traditionelles Unternehmen mit Zielgruppen, die vielleicht konservativer und weniger aufgeschlossen sind und sich einem traditionelleren Milieu zuordnen lassen, dann werde ich als Unternehmen mit gesellschaftspolitisch moderneren oder sehr modernen Themen eher auf Unverständnis stoßen. Nur muss man bei dem aktuellen Fall im Fußball konkret dazusagen, dass da gesellschaftliche Grundregeln verletzt wurden, auf die wir uns im Jahr 2024 geeinigt haben. Jetzt könnte man natürlich einen Schritt weitergehen und sagen, dass es in der Zielgruppe der Fußballfans Leute gibt, die es weniger problematisch finden, wenn jemand homophobe Gesänge anstimmt ...

STANDARD: ... und weil sie seit Jahr und Tag im Stadion angestimmt werden ...

Cerha: Dass es Leute gibt, die die Reaktionen darauf jetzt überzogen finden könnten, da bin ich total bei Ihnen, aber da ist die gesellschaftliche Verantwortungen dann doch das größere Thema.

STANDARD: Vizekanzler und Sportminister Werner Kogler hat sich sehr dezidiert geäußert, hat sinngemäß dem Sponsor nahegelegt, das Engagement zu überdenken. Steht ihm das zu?

Cerha: Das ist eine andere Ebene, die politische, aber auch aus wirtschaftsethischer Sicht müssen sich Unternehmen überlegen, wie sie reagieren. (Sigi Lützow, 4.3.2024)