Es mag vielen Frauen vielleicht noch nicht einmal bewusst sein: Sie übernehmen auch in der Arbeit Tätigkeiten, die stereotypisch für ihr Geschlecht sind. Das können Hilfstätigkeiten sein, Harmonie stiften wollen oder andere vermeintliche Kleinigkeiten, die von weiblichen Angestellten selbstverständlich übernommen werden. Manchmal werden sie für diese sogar eingeteilt.

Mann liegt faul auf Sofa und legt seine Füße hoch.
Dass Männer bei vermeintlich unwichtigeren Aufgaben die Füße hochlegen und Frauen diese Aufgaben übernehmen, hat Tradition.
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Zum Beispiel Charlotte P. Sie begann in einer Firma zu arbeiten, die Stadtentwicklungsprojekte plant. "Mir wurde aufgetragen, in Meetings immer mitzuschreiben und Kundinnen und Kunden, die zu uns kamen, zu umsorgen – Wasser zu bringen, Small Talk zu führen und ihnen das Büro zu zeigen. Mein männlicher Kollege wurde mit solchen Aufgaben nie beauftragt. Und das, obwohl er gleichzeitig in mein Team und für eine hierarchisch gleichwertige Position eingestellt wurde", berichtet sie. Am Anfang fiel ihr die Ungleichbehandlung nicht auf. Nach einem Jahr begann sie allerdings, die Aufgabenverteilung zu ­reflektieren. Sie wandte sich deshalb an ihre Vorgesetzte und versuchte, ihre Position zu erklären.

Die Chefin war erst erstaunt und konnte es anfangs nicht nachvollziehen. Nach ein paar Tagen wurde ­Charlotte P. noch einmal in die Chefetage gerufen. Ihre Führungskraft war nun einsichtiger und versprach, die Arbeit in Zukunft gerechter aufzuteilen.

Nehmen wir an, es gibt im Büro keine Person, die für alltäglich anfallende Tätigkeiten zuständig ist und dafür auch bezahlt wird. Wer gießt dann die Pflanzen? Wer räumt den Geschirrspüler ein und aus, schafft Ordnung in der Küche, auf dem Schreibtisch oder den Gemeinschaftsräumen? Wer besorgt die Snacks für das Kundenmeeting? Wer bringt die Gläser und das Wasser für das Treffen zum Tisch und danach wieder in die Küche? Es sind meist Frauen. Die Hausarbeit wird somit im Job weitergeführt. Bewusst oder unbewusst. Die nicht prestigeträchtigen Aufgaben darf auch am Arbeitsplatz meist das vermeintlich schwächere Geschlecht übernehmen.

Frau gießt eine Pflanze.
Frauen übernehmen auch in der Arbeit mehr der kleinen Tätigkeiten.
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Frauen werden auch dazu erzogen, eine möglichst ­harmonische Atmosphäre zu schaffen und den Gemeinschaftszusammenhalt zu fördern. Sie denken an Geburtstage, backen Kuchen und besorgen Geschenke. Sie organisieren Mittagessen oder Afterwork-Events.

Ohr für Ängste und Sorgen

Sie haben auch selbstverständlich ein Ohr für die Ängste und Sorgen in der Belegschaft. Sie schlichten Streit, ­erkundigen sich nach der Gesundheit, der Familie oder ­anderen wichtigen Lebensereignissen der Kolleginnen und Kollegen. Das sind alles wichtige Aufgaben für ein gelungenes und funktionierendes Miteinander in einer Firma. Wichtig ist selbstverständlich, nicht zu pauschalieren: Es gibt auch Männer, die diese Aufgaben übernehmen.

Ein weiteres Muster, das Frauen durch Erziehung und Sozialisierung in der Gesellschaft beigebracht wurde, ist die Zurückhaltung. Nicht gerne Konflikte auszutragen, zu widersprechen oder sich ungern in Diskussionen einzumischen gehört zum erlernten Verhalten.

Alle Frauen über einen Kamm zu scheren wäre allerdings falsch. Nicht nur ihnen werden weniger prestigeträchtigere Aufgaben zugeteilt. Personen können auch aufgrund anderer Merkmale, oder zusätzlich wegen dieser, Diskriminierung erfahren. Es kommt auch vor, dass von älteren Personen Ähnliches erwartet wird. Oder Personen mit Migrationshintergrund werden oft aufgrund ihrer ­Herkunft, Hautfarbe oder Sprache niedrigere Aufgaben ­zugeteilt. Und homosexuelle Personen werden vielleicht gefragt, wie die Dekoration auf dem Weihnachtsfest aus­sehen soll, basierend auf dem Klischee, dass sie ein besseres ­Ästethikbewusstsein hätten.

Es scheinen jeweils kleine Gesten und Tätigkeiten in Firmen zu sein. Macht es denn einen großen Unterschied, wer diese Aufgaben übernimmt?_Ja. Denn bei den Personen selbst kann dadurch ein Gefühl von Ungerechtigkeit entstehen – sofern sie diese Aufgaben nicht aus freien ­Stücken machen, sondern nur erledigen, weil sie Angst ­haben zu widersprechen. Oder sie denken, dass das von ihnen erwartet wird.

Es gibt Wege zur Veränderung!

Eine Frage stellt sich ganz unmittelbar: Wieso übernehmen vor allem Frauen all diese "Hausarbeiten" im Job? Wie haben sich diese Verhaltensweisen eingeschlichen? Und wie können wir sie verändern?

Eine, die sich mit dieser Frage beruflich tagein, tagaus beschäftigt, ist Petra Unger. Sie ist Wissenschafterin und Kulturvermittlerin mit ­Fokus auf feministischer Forschung. "Aufgabenverteilung nach Geschlecht gibt es seit Jahrhunderten", erklärt sie. In Zeiten großer Veränderungen entstehen auch vermehrt Unsicherheiten. Um die Vergangenheit greifbarer zu machen, gibt sie ein Beispiel:

"Erinnern Sie sich an die wilden 20er: Charleston, Kurzhaarschnitte bei Frauen. Korsette werden abgelegt, und Frauen beginnen auch aufgrund der wirtschaftlichen Situation zu arbeiten." Durch die Indus­trialisierung zogen viele in die Städte. So veränderten sich bisherige Strukturen wie die Rollenbilder von Männern und Frauen. In diesen Zeiten der Umbrüche suchen Menschen nach Stabilität und greifen deshalb auf altbekannte Muster zurück, die scheinbar natur- oder gottgegeben sind. Wie die Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern. "Dieser Rückgriff auf alte Muster ist auch heute zu erkennen, da wir wieder in einer Zeit zahlreicher Veränderungen und Krisen leben", sagt Unger.

Kindliche Prägung

Das erklärt immer noch nicht, wieso es trotz langer Reflexions­prozesse so schwierig ist, aus den Geschlechterrollen auszubrechen – sofern man das denn auch möchte. "Wir werden von klein auf je nach Geschlecht auf eine bestimmte Weise sozialisiert", sagt Unger. Das Sprechen zu jungen Mädchen mit einer höheren Stimme, das Anbieten von stereotypen Spielzeugen, das Vorleben der Rollen als Eltern – all das trägt mitunter zur Formung einer Geschlechtervorstellung bei.

Das Ergebnis dieser Erziehung äußert sich schon sehr früh, wie eine neue Studie des gewerkschaftsnahen Momentum-Instituts zeigt. Dafür wurden Daten der Zeitverwendungserhebung 2021/22 untersucht. Es zeigt sich: Bereits zehn bis 14-jährige Mädchen verwenden 31 Prozent mehr Zeit damit, Aufgaben im Haushalt zu erledigen, als Jungen. Mit zunehmendem Alter geht die Schere sogar noch weiter auseinander. Die Untersuchung macht deutlich, dass zu keinem Zeitpunkt im Leben einer Frau Männer ähnlich viel Zeit für unbezahlte Care-Arbeit aufwenden.

Es dürfte deswegen nur wenig verwunderlich sein, dass die erlernten Verhaltensweisen auch im Berufsalltag ausgeführt werden. Auch hier herrscht somit eine Ungleichverteilung der vermeintlich "unwichtigeren" Aufgaben, ähnlich wie im Haushalt. Doch wie kann man diese Muster nun durchbrechen?

Die Organisationsberaterin Lisa Horvath, die auf Gleichstellung und Frauenkarrieren spezialisiert ist, macht klar, dass es auf mehreren Ebenen Handlungsspielraum für Veränderung gibt. "Es hilft, sich ­bewusst zu werden, warum man ­gewisse Tätigkeiten immer übernimmt", sagt Horvath. Entscheide ich mich aus freien Stücken dafür, entspricht es meinen Werten, oder tue ich es, weil es von mir erwartet wird und ich Angst habe vor den Konsequenzen, wenn ich bestimmte Erwartungen nicht erfülle?

Unternehmen umkrempeln

Wenn einem selbst eine unfaire Arbeitsteilung auffällt, sei es wichtig, das anzusprechen. Sich gleich bei der Führungskraft zu melden, bedarf aber möglicherweise einiges an Mut. "Deshalb kann es guttun, sich mit Kolleginnen und Kollegen zusammenzuschließen, sie zu fragen, ob sie das auch so sehen, und womöglich bitten, zusammen zu dem oder der Chefin zu gehen", sagt Horvath. Führungskräfte wiederum könnten ein System vorschlagen, bei dem anfallende Tätigkeiten im Team verteilt und rotierend erledigt werden. Protokoll schreiben zum Beispiel. Auch Unternehmen könnten laut der Expertin strukturelle Veränderungen vornehmen.

Wenn jeder Meetingraum beispielsweise eine Kaffeemaschine hat, kann sich jeder selbstständig bedienen. Auch einen Verhaltenskodex mit den Mitarbeitenden auszuarbeiten, auf den man sich im Falle einer Ungleichbehandlung beziehen kann, sei laut Horvath hilfreich.

Doch wieso sehen andere Personen dieses Problem nicht oder nutzen es sogar noch aus? "Es gibt nichts Unsichtbareres als die eigenen Privilegien. Die eigenen Vor­teile und die Macht aufzugeben ist ebenfalls nicht von allen gewünscht", sagt Unger. Ein guter Weg, die ei­genen Vorurteile zu ­reflektieren, sind sogenannte Un­conscious-Bias-Trainings. Hier werden einem die eigenen Privilegien und das vielleicht auch unbewusste Verhalten verdeutlicht.

Die kleinen Tätigkeiten mögen nichtig wirken – sie sind aber das Gegenteil. Sie sind essenziell. Davon, dass Frauen diese Arbeit auch noch erledigen, profitieren nicht nur ihre Kollegen, sondern die ganze Firma. (Natascha Ickert, 7.3.2024)