Mehr als 28.000 IT-Fachkräfte fehlen in Österreich. "Nur hierzulande Menschen in diesem Bereich zu halten, auszubilden oder umzuschulen, wird nicht reichen", sagt Alfred Harl, Obmann des Fachverbands Unternehmensberatung, Buchhaltung und IT (UBIT) der Wirtschaftskammer. In der gesamten Europäischen Union fehlen laut Kommission bis 2030 sogar acht Millionen Mitarbeitende in der Informations- und Kommunikationstechnologie (kurz IKT).

Immer wieder wird deshalb von mehreren Organisationen gefordert, die Anforderungen für den Erhalt der Rot-Weiß-Rot-Karte, die zur Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ausgestellt wird, zu erleichtern beziehungsweise anzupassen. Gleichzeitig wird auch die Zusammenarbeit mit Ländern verstärkt, von denen man sich erhofft, IT-Kräfte anwerben zu können. Alfred Harl berichtet beispielsweise von einer Kooperation mit einem IT-Ausbildungszentrum im Kosovo. Dort wurde das Zertifizierungssystem so angepasst, dass es mit den heimischen Regelungen kompatibel ist.

Und auch die Wirtschaftskammerfachgruppe UBIT Niederösterreich vertieft gerade die Zusammenarbeit mit der HTL Peter Mahringer in Albanien. Dort werden IT-Studierende nach österreichischem Lehrplan unterrichtet. Die Bemühungen, potenzielle Fachkräfte für den Standort zu gewinnen, sind groß. Doch wie genau läuft so ein Umzug für den Job genau ab? Wir haben bei drei Menschen, die diesen Schritt bereits gewagt haben, nachgefragt. Welche Hindernisse ihnen dabei begegnet sind und was sie überrascht hat, berichteten sie dem STANDARD.

Anela Osmanovic – Software-Technikerin bei WienIT

Portrait von Anela Osmanovic
Anela Osmanovic (33) wechselte vor zehn Jahren nach ihrem Bachelorstudium in Bosnien für ihren Master nach Wien.
Wien IT

Am liebsten geht Anela Osmanovic den Wiener Stadtwanderweg 4a am Wilhelminenberg. "Da ist immer weniger los als auf vielen anderen, und er ist bei mir in der Nähe", sagt sie. Aber wie kommt es, dass die Bosnierin heute durch die Wiener Hausberge streift?

Mathe und Physik mochte sie in der Schule schon sehr gern, sie musste aber für die Zulassungsprüfung noch ordentlich büffeln, erzählt sie. Nach der Schule studierte Osmanovic Elektrotechnik an der Universität Sarajevo. Nebenher machte sie Praktika als Backend- und Software-Developerin. Nach Abschluss des Studiums fragte sie sich: Was nun? "Ich mag Herausforderungen und brauchte eine Veränderung", sagt die 33-Jährige.

Ihre Schwester war zu diesem Zeitpunkt in Österreich für ihr Jurastudium und sprach in den höchsten Tönen über das Land. Das überzeugte Osmanovic, und so zog sie mit 23 Jahren nach Wien. "Im Bachelorstudium in Bosnien, von dem ich zuerst dachte, dass es zu schwierig wäre, stellte ich fest, dass ich vor allem sehr gern programmiere und Applikationen entwickle." Deshalb entschied sie sich, das englischsprachige Masterstudium Software-Technik an der TU Wien zu belegen. "Ich habe das Masterstudium nicht zu Ende studiert. Aber bei der Jobsuche war das kein Nachteil. Ich habe ziemlich schnell meinen ersten Job als Software-Ingenieurin gefunden", sagt Osmanovic.

Was ihr auffiel, war, wie wenige Frauen in Österreich bei ihr im Studium waren: "In Bosnien hatte ich deutlich mehr weibliche Studienkolleginnen." Sie fühlte sich aufgrund ihres Geschlechts aber kaum diskriminiert. "Es kommt aber immer wieder vor, dass Menschen aufgrund meines Kopftuchs annehmen, dass ich kein Deutsch spreche", erzählt sie.

"In den IT-Firmen, in denen ich bisher gearbeitet habe, kamen die Mitarbeitenden aus vielen verschiedenen Ländern. Dort wurde meistens Englisch gesprochen, deshalb waren meine damaligen eher begrenzten Deutschkenntnisse kein Problem", sagt Osmanovic. Seit mehreren Jahren arbeitet sie bei Wien IT als Software-Technikerin in einem 14-köpfigen Team, in dem hauptsächlich Deutsch gesprochen wird. Anfangs sei es schwer gewesen, ihre Persönlichkeit in einer anderen Sprache als ihrer Muttersprache auszudrücken: "Manche dachten wohl, dass ich eher schüchtern bin. Aber eigentlich erzähle ich gerne Witze. Das ist in einer anderen Sprache nicht so einfach." Mittlerweile spricht sie fließend Deutsch.

In ihrem Job designt, testet und analysiert die 33-Jährige die Schnittstellen von unterschiedlichen Programmen. Mittlerweile fährt sie nicht mehr so oft nach Bosnien wie früher. Ihre Freizeit nutzt sie, um Kindern im Verein Coderdojo ein- bis zweimal im Monat Programmieren beizubringen. "Ich genieße das richtig", sagt Osmanovic und lächelt.

Nathália Peixoto Reis – Head of Development bei Editel

Portrait von Nathália Peixoto Reis
Nathália Peixoto Reis (36) arbeitet seit fünf Jahren in Österreich.
Fernanda Nigro

Eigentlich feiert Nathália Peixoto Reis im Februar ausgiebig Karneval in Brasilien. Doch seit fünf Jahren steht sie zu dieser Jahreszeit nicht mehr auf den Straßen ihrer Heimatstadt Belo Horizonte, sondern auf Skiern in den österreichischen Alpen.

2019 war es Zeit für eine große Entscheidung: Ihr Mann bekam ein Jobangebot in Österreich. Sollte sie mit ihm ein neues Leben in einem anderen Land beginnen? "Ich wollte mich sowieso beruflich weiterentwickeln und sah es als spannende Chance für Veränderung", sagt Nathália Peixoto Reis. Noch in Brasilien aktualisierte sie ihren Lebenslauf, kümmerte sich um ein Arbeitsvisum, das sie aufgrund ihrer Ausbildung auch erhielt, und bewarb sich bei österreichischen Firmen.

"Ich war erstaunt, wie viele interessante Stellen es gab", sagt Peixoto Reis. In Brasilien hatte die 36-Jährige Elektrotechnik studiert. In den letzten zwei Jahren ihres fünfjährigen Studiums spezialisierte sie sich auf Software-Programmierung. Währenddessen begann sie, bei einem Start-up als Developerin zu arbeiten. Danach wechselte sie den Arbeitgeber und nahm andere Aufgaben an. Sie entwickelte beispielsweise Produktanforderungen und arbeitete im Projektmanagementbereich.

"Die Jobsuche in Österreich war aufgrund meiner vorherigen Arbeitserfahrung relativ einfach", erzählt sie. Dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht Deutsch sprach, war kein Problem, da die Firmen, bei denen sie sich bewarb, sowieso Englisch als Hauptsprache hatten. "Vor einem Jahr wurde ich dann von einer Headhunterin angeschrieben. Dank ihr wurde ich auf die Stelle als Head of Development bei Editel aufmerksam", sagt Peixoto Reis. Sie bekam die Stelle und leitet heute ein Team von 23 Personen.

Ihre Kolleginnen und Kollegen sitzen nicht nur in Wien, sondern auch in anderen Ländern, zum Beispiel in der Slowakei, in Ungarn und in der Ukraine. Bei ihrer vorherigen Arbeitsstelle in Brasilien arbeitete sie fast nie remote. "Heute ist es ganz normal, dass viele von uns fast ausschließlich im Homeoffice sind." Ein Team auf diese Art zu führen sei teilweise herausfordernd, aber es funktioniere erstaunlich gut. "Sich ab und zu live zu sehen, finde ich trotzdem wichtig. Wenn zum Beispiel eine neue Person anfängt, fahren alle nach Wien und verbringen ein paar Tage zusammen."

Dass diese Branche männerdominiert ist, ist Nathália Peixoto Reis auch von Brasilien schon gewöhnt. Ob es ihr etwas ausmacht? "Manchmal merkt man schon, dass man sich anders verhalten muss, um ernst genommen zu werden. Aber glücklicherweise habe ich bisher nichts Schlimmeres in diesem Kontext erlebt", sagt die 36-Jährige.

Auch wenn sie Österreich sehr mag, vermisst sie ihre Familie und Freunde sehr. Auch an den Winter hierzulande muss sie sich noch gewöhnen. Mit dem Skifahren ist sie auch noch nicht ganz warm geworden. Aber zumindest versüßen die Weihnachtsmärkte die düstere Jahreszeit. Sie hat hier neue Gewohnheiten angenommen und lieben gelernt: zum Beispiel in Wien Rad zu fahren – vorzugsweise im Sommer, den sie schon sehnlichst erwartet.

Deepak Shah – Analytics Lead Architect bei SAP

Portrait von Deepak Shah
Deepak Shah (50) jobbte während seines Studiums in Nepal auch beim Fernsehen.
Lea Sonderegger

Schnee unter den Füßen spürte Deepak Shah zum ersten Mal in Österreich. Und das, obwohl er aus Nepal kommt, dem Land mit den höchsten Bergen der Welt. Er arbeitete unter anderem schon in China, Irland, Indien und Kanada, aber letztendlich zog es ihn wieder zurück in die Alpenrepublik. Wieso?

Aufgewachsen im ländlichen, flachen Süden Nepals, zog Deepak für sein Physikstudium in die Hauptstadt Kathmandu. Als weiterführendes Studium wollte er in Richtung Elektrotechnik und Informatik gehen. Und vor allem wollte er sich nicht nur theoretisch mit diesen Themen befassen, sondern sie im Studium praktisch anwenden. "Das gab es in dieser Form in Nepal nicht", erzählt er. Deshalb recherchierte er, in welchen Ländern die Studiengebühren möglichst gering waren. Finnland stand auch zur Auswahl, aber die Sprache schreckte ihn noch mehr ab als Deutsch.

1997 kam er also mit einem Studienvisum nach Österreich, das er relativ leicht bekam. Sein nepalesisches Physikstudium wurde allerdings nicht angerechnet, und so musste er von vorn beginnen. An der TU Wien studierte er Informatik und schloss das Studium unter der Mindeststudienzeit ab. "Eigentlich war der Plan, nach dem Studium wieder zurück nach Nepal zu gehen. Aber dann waren zu diesem Zeitpunkt dort Unruhen, und das hat mich dazu bewegt hierzubleiben", erzählt der 50-Jährige.

Während des Studiums verdiente er seinen Lebensunterhalt auf eine ganz andere Art und Weise: Er machte Ton und Videotechnik fürs Fernsehen. In Nepal flog er einmal mit einer Filmcrew in einem Helikopter zum Mount Everest. In Österreich schnitt er beispielsweise Videoaufnahmen von Hansi Hinterseer und "Taxi Orange". Zu dieser Zeit hatte er zusätzlich noch ein Stipendium des Afro-Asiatischen Instituts in Wien.

"Ich war schon früh daran gewöhnt, als Fremder gesehen zu werden und das Gefühl zu haben, nicht richtig dazuzugehören", sagt Shah. In Nepal sei der Unterschied zwischen Stadt und Land sehr stark. In Kathmandu sah man ihn als Person vom Land, hier in Österreich als Ausländer. "Man lernt, damit umzugehen", sagt der 50-Jährige.

Die Jobsuche nach dem Studium bereitete ihm keine Schwierigkeiten. Zunächst arbeitete er bei Siemens als Developer. Mittlerweile ist er bei SAP. Hier leitet er ein internationales Team und beschäftigt sich unter anderem mit Datenverarbeitung, Berichterstattung und maschinellem Lernen. Für dieses Unternehmen nahm er auch schon Positionen in anderen Ländern an – meist für ein paar Monate. Nur in Kanada blieb er vier Jahre. Eigentlich hatte er geplant, dort zu bleiben: "Aber das Wetter ist so schlecht. Das ertrug ich nicht mehr, und ich entschied mich, in das Land zurückzukommen, wo ich mich am wohlsten gefühlt habe – nach Österreich." Auch wenn das Spektrum der Berufsmöglichkeiten hier kleiner sei, will Shah langfristig hier bleiben – zum Leidwesen seiner Eltern. Vor ein paar Monaten hat er sogar die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen. (Natascha Ickert, 26.2.2024)