Nadja Hajek sitzt mit ihrem Laptop auf den Stufen einer alten Wiener Straßenbahn.
Die Matura nachgemacht, jetzt Studium – von der Schiene zum Computer: Das hätte sie anfangs selbst nicht gedacht.
Carina Novy, Wiener Linien

Nadja Hajek hätte niemals gedacht, dass sie einmal als Informatikerin arbeiten würde. Seit 16 Jahren ist sie bei den Wiener Linien. Zuerst war sie Straßenbahnfahrerin, zwölf Jahre lang. Dann wechselte sie im selben Unternehmen in die IT-Abteilung. Warum es sich lohnen kann, sich mehr zuzutrauen und nicht vor neuen beruflichen Herausforderungen zurückzuschrecken, erzählt Nadja Hajek im Gespräch mit dem STANDARD.

So kann es nicht weitergehen

"Es gab einen Moment in meinem Leben, da wusste ich, es muss sich was ändern. Damals arbeitete ich noch als Servicekraft in der Gastronomie. Mein Kollege sagte zu mir: einmal in der Gastro, immer in der Gastro. Da lief es mir kalt den Rücken hinunter, und ich wusste: Ich muss weg hier. Ich begann zu überlegen, was mich schon immer faszinierte. Straßenbahnen!

Schon als kleines Kind war ich begeistert von diesen riesengroßen Fahrzeugen. Wie musste es nur sein, so etwas zu steuern? Heute weiß ich: Ja, es fühlt sich wirklich mächtig an. Aber der Stärkste im Straßenverkehr zu sein geht einher mit der größten Verantwortung. Ich wurde bei den Wiener Linien glücklicherweise gleich genommen, und so begann meine dreimonatige Ausbildung. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich das erste Mal auf dem Fahrerstuhl gesessen bin. Ich war enorm aufgeregt und hatte großen Respekt, aber ich merkte sofort: Hier bin ich richtig.

Nicht alle haben meinen Berufswechsel gleich gutgeheißen. Eine Freundin fragte mich besorgt, ob ich denn nicht Angst hätte und ob der Beruf wirklich für Frauen geeignet sei. Ich sagte, ich traue es mir zu. Natürlich hatte auch ich Zweifel, aber mein Wunsch war größer als meine Bedenken.

Lieblingslinie

Bald stellte sich heraus: Es war die beste Entscheidung. Ich liebte es, Straßenbahnen zu fahren. Meine Lieblingslinie war die Strecke 49 in Wien. Hier gab es immer schon viele Fahrgäste, viel Verkehr und deshalb viel zu tun. Die Augen und Ohren immer offen zu halten, ständig wachsam zu sein, dabei blühte ich auf. Langeweile kam dabei nicht auf. Nach ein paar Jahren wurde mir angeboten, eine Teamleitungsposition einzunehmen. Diese Chance ergriff ich, weil ich schon immer wissen wollte, wie ein großer Betrieb im Hintergrund funktioniert. Ich war für dreißig Menschen zuständig und fuhr nebenher noch ein paar Stunden im Monat Straßenbahnen.

Ich wollte die schönen Momente einfach nicht missen: Lieb gegrüßt zu werden, mal Blumen oder Schokolade von älteren Stammkundinnen zu erhalten, sich gegenseitig einen schönen Tag zu wünschen. Es waren für mich diese kleinen Erlebnisse, die die Arbeit so erfreulich machten. Denn wenn man immer wieder dieselben Strecken fährt, kennt man die Menschen irgendwann – und sie einen auch.

Wechsel zur IT

Den nächsten Karrieresprung hätte ich mir niemals erträumt. Ich war bei einem Vortrag über Fahr- und Dienstplanerstellung, und mir wurde klar, dass ich diese Aufgaben unheimlich spannend fand. Zur gleichen Zeit wurde zufällig eine Stelle als IT-Support-Mitarbeiterin frei. Schon in meiner Teamleitungsposition hatte ich Kontakt zu Computerprogrammen und lernte dabei einiges. Also bewarb ich mich und bekam die Stelle. Ich bildete mich selbstständig und in der Firma weiter und wechselte irgendwann erneut – ins IT-Management. Jetzt entwickle ich digitale Programme weiter. So hangelte ich mich immer weiter.

Müsste ich meiner ehemaligen älteren Stammkundin – der mit den Blumen – erklären, was ich heute mache, würde ich Folgendes sagen: Ich entwickle zum Beispiel die digitale Jahreskarte mit. Die kreativen Herausforderungen reizen mich besonders im Informatikbereich. Denn komplexe technische Probleme zu lösen erfordert es oft, um die Ecke zu denken und innovative Ansätze zu entwickeln. Genau das mag ich daran. Wir als IT-Expertinnen spielen eine große Rolle bei der Gestaltung und Entwicklung neuer Technologien, Produkte und Dienstleistungen. So verändern wir, wie wir leben und arbeiten.

Ganz ehrlich: Vor 16 Jahren wusste ich von all diesen Entfaltungs- und persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten nichts. Ich hätte mir damals diese Karriere auch nicht zugetraut. Denn mein Weg sah am Anfang ganz anders aus. Die Haushaltsschule brach ich ab und begann in der Gastronomie zu arbeiten. Als ich als Straßenbahnfahrerin arbeitete, machte ich in der Freizeit meine Matura nach, weil ich plötzlich erkannte, dass für meine Berufswünsche dieser Abschluss Voraussetzung war. Jetzt, im fortgeschrittenen Berufsleben, studiere ich zusätzlich – Digital Transformation an der Fachhochschule der BFI.

Ob ich rückblickend etwas anderes gemacht hätte? Nein. Denn sonst wäre nicht alles so geschehen, wie es kam. Mit meiner anfangs zweifelnden Freundin bin ich übrigens noch immer befreundet. Sie hat ihre Vorbehalte mittlerweile abgelegt und beginnt nun selbst ein Studium.

Das Schöne ist: Mit meinem Lebensweg kann ich vielleicht auch andere Frauen motivieren, sich mehr zuzutrauen. So eröffnen sich neue Perspektiven. Mein Herz schlägt jetzt für die IT, aber auch das Straßenbahnfahren liebe ich bis heute. Dank Gleitzeit fahre ich außerhalb der Stoßzeiten mit der Bim von und zur Arbeit. Sobald ich in der Bim sitze, entspanne ich, fahre richtig runter. Das ist meine tägliche Meditation. Mein kleiner Glücksmoment." (Natascha Ickert, 18.10.2023)