Heribert Corn
Eine Anlassgesetzgebung mag den Wunsch nach Strafe, nach Reue, nach Sühne erfüllen. Sinnvoll ist sie trotzdem nicht.

Ein 15-Jähriger begeht eine Verbrechensserie, die mit einem Messerstich endet. Eine Gruppe Jugendlicher missbraucht über Monate hinweg eine Zwölfjährige. Meidlinger Teenager erpressen einen Handyshopbesitzer und werfen dabei mit Molotowcocktails.

Es sind Schlagzeilen wie diese, die regelmäßig durch die Medien geistern. Die Jugend wird, zumindest dem Anschein nach, immer krimineller. Als Antwort darauf erwägt Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), die Strafmündigkeit herunterzusetzen. Aktuell liegt sie bei 14 Jahren.

Damit kultiviert der ÖVP-Chef das Image des "starken Mannes", des vernünftigen Hardliners, als der er gesehen werden möchte. Doch gerade wenn es um die Bestrafung von Kindern geht, ist dies unangebracht. Denn Nehammer hat, so scheint es, weder die Ausgangslage noch die möglichen Implikationen seiner Forderung näher bedacht.

So lässt sich anhand von Statistiken nicht belegen, dass Straftäter immer jünger werden. Seit 1990 nimmt die Zahl der Anzeigen zwar etwas zu, dafür gibt es aber weniger Verurteilungen. Auch die These, dass speziell die Straftaten Jugendlicher immer brutaler werden, lässt sich nicht eindeutig belegen. Aber es stellt sich auch grundsätzlich die Frage nach dem Sinn einer niedrigeren Strafmündigkeit.

Eine Bestrafung nur um der Strafe willen sollte nicht das Ziel einer modernen Justiz sein. Eher sollte diese dafür sorgen, dass Täter wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden, dass sie nicht wieder straffällig werden. Kurzum: dass die Jugendkriminalität sinkt.

"Auge um Auge", und die ganze Welt wird blind

Jugendliche schon früher oder auch länger einzusperren wird die Situation nicht verbessern. Das können auch Expertinnen und Experten dem Kanzler bescheinigen – würde Nehammer bloß nachfragen. Im Gegenteil: Nach der Haft, wenn Betroffene Probleme haben, sich wieder – oder erstmals – in den Arbeitsmarkt einzugliedern, kann es zu Rückfällen kommen. So züchtet man langfristig eine "Generation Gefängnis" heran.

Die Kriminologie hat die Ursachen für Jugendgewalt schon längst ausfindig gemacht: Es sind Themen wie Armut, Ungleichheit, aber auch Diskrepanzen in der Bildung, die Straftaten wahrscheinlicher machen. Vor allem Minderjährige, die sich von der Gesellschaft abgehängt fühlen, werden straffällig. Das mag ihr Verhalten keineswegs entschuldigen. Doch es liefert eine Erklärung, mit der es künftig verhindern werden könnte.

Eine Anlassgesetzgebung mag den Wunsch nach Strafe, nach Reue, nach Sühne erfüllen. Es ist unmöglich, von solch monströsen Straftaten zu lesen und dabei nicht erschüttert zu sein. Es ist nur verständlich, das Leid der Opfer irgendwie ausgleichen zu wollen. Doch klar sollte auch sein, dass das schlicht und einfach nicht möglich ist. Durch eine Politik, die nach dem Prinzip "Auge um Auge" agiert, wird die Welt blind.

Unangemessene Effekthascherei

Daher ist es unangemessen, unbedacht dem Willen eines emotionalisierten Mobs zu folgen. Vor allem dann, wenn wir zwar von Tätern, aber eben trotz allem auch von Kindern sprechen. Langfristig kann die Lösung also nur lauten, krasse gesellschaftliche Benachteiligungen zu beseitigen. Etwas sinnvoller sind daher Nehammers andere Erwägungen: etwa Maßnahmen, um Eltern bei der Prävention zu unterstützen, sowie die Stärkung der Jugendhilfsorganisationen.

Hätte er es dabei belassen, wäre das eine besonnene, gar lobenswerte Reaktion auf die jüngsten Ereignisse. Stattdessen instrumentalisiert Nehammer ausgerechnet Kinder für deplatzierte Effekthascherei. (Muzayen Al-Youssef, 4.3.2024)