Überzeugte Verteidiger der Demokratie als der besten aller Regierungsformen gehen davon aus, dass Wählerinnen und Wähler meist wissen, was in ihrem Interesse ist, und entsprechend abstimmen. Andere Politikexperten glauben, dass der Zustand der Wirtschaft ausschlaggebend ist, und zitieren gerne den Spruch von Bill Clintons einstigem Berater "It's the economy, stupid".

Biden, Alter, US-Wahlkampf
Für eine Mehrheit der US-Amerikaner ist Joe Biden einfach zu alt. Das wiegt schwerer als seine Politik.
EPA/CHRIS KLEPONIS / POOL

Wenn man allerdings die jüngsten US-Umfragen anschaut, die Donald Trump einen wachsenden Vorsprung auf seinen Nachfolger Joe Biden geben, dann muss man all diese Thesen anzweifeln. Die beiden alten Herren standen schon vor dem Super Tuesday als Kandidaten ihrer Parteien fest. Die meisten objektiven Faktoren – die gute Wirtschaftslage, die von ihm durchgesetzten populären Gesetzesvorhaben, die magere Bilanz der Trump-Jahre – müssten Biden zum klaren Favoriten für eine Wiederwahl machen. Stattdessen legt Trump in Bevölkerungsgruppen zu, die ihm einst höchst kritisch gegenüberstanden – Junge, Frauen, Schwarzafrikaner und Latinos.

Seit Trumps Niederlage 2020 ist nichts geschehen, was ihre Meinungen ändern sollte. Im Gegenteil: Was damals gegen Trump sprach – seine Selbstsucht, seine Sprunghaftigkeit, seine Boshaftigkeit, seine Missachtung aller demokratischen Normen –, ist seither noch schlimmer geworden. Und dennoch glaubt eine Mehrheit der US-Amerikaner, dass es ihnen unter Trump besser ging, dass er der geeignetere Mann für die Wirtschaftspolitik, die Außenpolitik und die Migrationspolitik ist. Dass es Trump ist, der eine Verschärfung der Asylgesetze aus rein opportunistischen Gründen blockiert, scheint keine Rolle zu spielen. Die vielen Strafverfahren, die gegen ihn laufen, tun seiner Popularität auch keinen Abbruch.

Verklärter Blick auf die Trump-Jahre

Zwei Faktoren dürften für dieses Stimmungsbild ausschlaggebend sein: Menschen blicken oft verklärt auf die Vergangenheit, auch wenn sie erst kurz zurückliegt. Erstmals seit mehr als einem Jahrhundert stellt sich in den USA ein Ex-Präsident zur Wahl. Früher war bekanntlich alles etwas besser, und Trump verspricht eine Rückkehr in eine paradiesische Ära, die es nie gab.

Noch wichtiger ist die weitverbreitete Meinung, dass Biden zu alt für das Präsidentenamt ist. Dass Trump nur dreieinhalb Jahre jünger ist, mindestens so viel vergisst oder verwechselt wie Biden und dieser für sein Alter ziemlich fit ist, ändert wenig. Trump wirkt jünger und energischer, besonders wenn er Gegner in Gangstermanier bedroht. Biden war nie sehr populär und bleibt ein schwacher Wahlkämpfer. Er hat das Pech, dass die Welt unruhiger geworden ist und sich viele Menschen unsicher fühlen. Er verbreitet kein Gefühl der Sicherheit. Da stimmen viele lieber für einen Politiker, dessen Rückkehr an die Macht fast alle Experten für ein Hochrisiko halten. Aber wer kümmert sich schon darum, was Fachleute sagen?

Bis November kann sich das Stimmungsbild noch ändern. Aber Trumps Stärke zeigt, dass demokratische Kräfte – nicht nur in den USA – sich in einer emotionalisierten politischen Landschaft nicht darauf verlassen dürfen, durch gute Resultate dem autoritären Rechtspopulismus Einhalt gebieten zu können. "Sollen sie doch eine bessere Politik machen", reicht als Ratschlag nicht aus. Um die liberale Demokratie an der Wahlurne zu verteidigen, sind Strategie, Psychologie und stets auch ein starker Schuss Populismus notwendig. (Eric Frey, 5.3.2024)