Chuck Robbins, CEO von Cisco
Chuck Robbins, CEO von Cisco, sieht in der Branche drei große Trends: KI, KI und nochmals KI.
IMAGO/Xinhua

Anfang März erschütterte ein Abhörskandal die deutsche Politik, waren doch Gespräche in einer Webex-Konferenz der deutschen Bundeswehr von Russland aufgenommen und veröffentlicht worden. Hinter Webex steht der US-amerikanische IT-Konzern Cisco, mit dessen CEO Chuck Robbins DER STANDARD am Tag vor Bekanntwerden des Skandals ein Exklusivinterview geführt hatte. Zwar kommt im Gespräch aufgrund der Chronologie der Ereignisse nicht der Skandal per se zur Sprache, dennoch gibt der amerikanische Topmanager einen umfassenden Einblick in Themen wie IT-Sicherheit in Zeiten von hybridem Arbeiten und künstlicher Intelligenz.

STANDARD: Ende Februar hat der Mobile World Congress in Barcelona stattgefunden, Sie waren auch dort. Welche drei Trends sehen Sie aktuell in der Branche?

Robbins: KI, KI und KI. In den vergangenen zehn Jahren hat sich alles um 5G gedreht, diesmal war die Konferenz von KI dominiert. Weit abgeschlagen folgte an zweiter Stelle die Notwendigkeit, die 5G-Investments zu monetarisieren.

"Die Welt ist komplizierter geworden."

STANDARD: Ich bin überrascht, dass Sie gerade ein Thema ausgelassen haben, das nach der Pandemie an Bedeutung gewinnt und in dem Sie mit Produkten wie Webex sehr aktiv sind: die Rückkehr ins Büro und der Bedarf an hybriden Arbeitslösungen. Welche Entwicklung sehen Sie hier?

Robbins: Jedes Unternehmen der Welt arbeitet gerade an Regeln für hybrides Arbeiten und an einer Strategie, mit welcher Technologie sie dies umsetzen. Jeder Betrieb hat eine eigene Herangehensweise, aber der Großteil setzt auf hybrides Arbeiten. Für uns ist das eine Chance, da das Netzwerk die Grundlage für all dies ist. Es gibt eine große Nachfrage nach Collaboration-Tools, damit man von überall aus arbeiten kann. Zudem braucht es eine andere Sicherheitsarchitektur, weil die Belegschaft breit verteilt ist, mit Applikationen und Daten an verschiedenen Orten. Und es braucht Monitoring-Tools: Wenn ein User von zu Hause aus arbeitet und sagt, dass sein WLAN nicht funktioniert, dann ist das WLAN meistens nicht das Problem, sondern etwas anderes. Unsere Kunden brauchen also eine große Bandbreite an Werkzeugen, und unterschiedliche Kunden befinden sich in verschiedenen Phasen der Implementierung. Die Welt ist komplizierter geworden. Viele unserer Kunden sagen: Es war einfacher, als entweder alle im Büro oder alle zu Hause waren.

STANDARD: Habe ich Sie richtig verstanden, dass man Mitarbeiter beobachten muss, die von zu Hause aus arbeiten?

Robbins: Ich sage nicht, dass man die Menschen beobachten muss. Ich bin ein starker Vertreter der Ansicht, dass man seinen Mitarbeitern vertrauen und sie an ihren Ergebnissen messen sollte. Aber man muss die Möglichkeit haben, ihre technischen Probleme analysieren können. Damit man ihnen helfen kann, wenn sie anrufen und zum Beispiel Probleme mit ihrer Verbindung haben.

STANDARD: Sie haben Mitbewerber in der Teleconferencing-Branche, die ihre Mitarbeiter zurück ins Büro holen.

Robbins: Das ist ironisch, nicht wahr?

STANDARD: Absolut. Wie wird das bei Cisco gehandhabt?

Robbins: Wir bleiben flexibel. Schon vor der Pandemie haben zwölf bis dreizehn Prozent unserer Belegschaft komplett von zu Hause aus gearbeitet. Mit unserer Technologie konnten wir auch immer ermöglichen, dass Menschen anlassbezogen von daheim arbeiten. Das haben wir immer unterstützt. Nach der Pandemie überlassen wir den Managern und ihren Teams nun die Entscheidung: Bringt es einen Nutzen, wenn wir ins Büro kommen? Und wenn ja: Wie oft und an welchen Tagen treffen wir uns dort? Mehr als 70 Prozent unserer Teams haben ohnehin mindestens einen Remote-Mitarbeiter, wir waren schon lange eine verteilte Belegschaft. Ich glaube aber sehr wohl, dass Menschen versuchen sollten, zurück ins Büro zu gehen. Weil es gesund ist, mit anderen Menschen zu interagieren. Gewisse aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen in psychischer Gesundheit sind auf Isolation zurückzuführen. Daher schaffen wir auch Veranstaltungen, mit denen wir die Leute zurück ins Büro holen. Und wir erneuern die Immobilien, damit sie Magnete für unsere Mitarbeiter sind und sie gerne reinkommen.

STANDARD: Wie steht es mit der Bring-your-own-Device-Policy? Diese Thematik hat sich durch Homeoffice ja noch verschärft, zumal es oft mehr Spaß macht, auf dem tauglichen eigenen PC zu arbeiten als auf dem schlechteren Gerät, das von Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wurde.

Robbins: Wir kontrollieren, worauf unsere Mitarbeiter von ihren persönlichen Geräten zugreifen können. Man hat von einem persönlichen Gerät nur beschränkten Zugang auf betriebliche Ressourcen. Ich trage ein persönliches und ein berufliches Handy mit mir herum, und mein privates Gerät kann auf keine Daten von Cisco zugreifen. Wenn sich jemand eine Excel- oder Word-Datei selbst per E-Mail schicken möchte, kann er das vermutlich, aber alle Sicherheitskontrollen und Zugriffe sind mit einem zentral verwalteten Gerät verbunden.

STANDARD: Es gab in der jüngsten Geschichte auch Fälle von bekannten Personen, die sensible Dokumente von ihrem Arbeitsplatz entfernten. Sehen Sie die von Ihnen beschriebene Korrektheit auch bei Ihren Kunden, vom Entscheidungsträger bis zum einfachen Mitarbeiter?

Robbins: Am Ende des Tages muss man den Mitarbeitern vertrauen, aber dies auch verifizieren. Es braucht also Kontrollen, dass sensible Daten das Unternehmen nicht verlassen. Viele Mitarbeiter lesen definitiv auch persönliche E-Mails auf ihren Firmengeräten. Sie nutzen die Geräte auch, um persönliche Dinge im World Wide Web zu erledigen. Arbeit und Freizeit sind heutzutage einfach stark miteinander verwoben. Aber wenn man Unternehmensdaten abrufen will, muss man dafür zunächst einige Sicherheitsschritte erledigen.

STANDARD: Sprechen wir über KI. Wenn ich nach den Begriffen "Cisco" und "KI" im Web suche, dann stoße ich schnell auf Finanzanalysten, die die aktuelle Entwicklung der Nvidia-Aktie mit jener von Cisco während der Dotcom-Blase vergleichen. Ist KI nur ein Hype und eine Blase, die platzen wird?

Robbins: Ich glaube nicht, dass KI bloß ein Hype ist. Normalerweise redet man über große technologische Veränderungen für sechs bis sieben Jahre, bevor sie wirklich einen Einfluss haben. Mit KI ist das anders. Der Zeitrahmen vom Eintreffen im Markt bis zu dem Punkt, an dem es wirklich Auswirkungen zeigt, wird sehr eng sein. Es wird sehr real sein, und es wird sich schnell entwickeln. Und es gibt viel zu tun.

STANDARD: Von welchem Zeitrahmen sprechen wir?

Robbins: Wir sehen erste Enterprise-Anwendungen seitens unserer Kunden. Und wir haben eine Partnerschaft mit Nvidia angekündigt, um den Prozess zu vereinfachen, mit dem unsere Kunden fortgeschrittene KI-Anwendungen implementieren. Weil wir glauben, dass die Entwicklung sehr schnell gehen wird. Und unsere Kunden werden kleinere Modelle bauen wollen, die auf ihren eigenen proprietären Daten aufbauen. Diese wollen sie eventuell mit API-Calls auf öffentliche Modelle aufwerten, um einen Mehrwert zu generieren. All das wird schon Ende diesen Jahres passieren, und 2025 wird ein großes Jahr für KI.

STANDARD: Österreich ist ein Land der kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU). Sehen Sie diese Geschwindigkeit auch in der kleinteiligen Wirtschaft?

Robbins: Ja. KMU werden wohl eher einen Cloud-Service verwenden, was entsprechende Anforderungen an die Sicherheit stellt. Es gibt einfach so viele tolle Anwendungsfälle für KI, von großen Konzernen bis zu KMU. Künstliche Intelligenz kann zum Beispiel auch zum Erreichen von Nachhaltigkeitszielen beitragen. An solchen Dingen werden wir für die nächsten zwölf bis 18 Monate arbeiten.

STANDARD: Getrieben wird die Berichterstattung über KI von ChatGPT und anderen Formen der generativen KI. Wie wichtig ist generative KI in Relation zu allen anderen Feldern, in denen KI genutzt wird?

Robbins: Wir alle haben Machine-Learning und Predictive AI nun für rund ein Jahrzehnt genutzt. Und es ist mächtig. Aber generative KI, also die Erstellung von Inhalten, wird ebenfalls sehr stark sein. Ein Beispiel: Wenn ein Cisco-Kunde eine Sicherheitsrichtlinie erstellen wollte, so musste er zuvor mit einem technischen Konfigurationssystem interagieren. Nun arbeiten wir an einem Interface, mit dem man in natürlicher Sprache seine Anforderungen für die Richtlinie artikuliert, die anschließend von der KI generiert wird. Der Mensch überprüft diese dann, denn die KI ist ein Assistent, kein Ersatz. Wir glauben, dass natürliche Sprache die Art sein wird, wie man künftig mit Technologie interagiert. Wenn ein Mitarbeiter im Security-Bereich zum Beispiel Auffälligkeiten wahrnimmt, könnte er den KI-Assistenten fragen, was dies bedeutet, und von dem Bot eine Zusammenfassung möglicher Ursachen und Lösungen erhalten. Auch der Bereich des Kundendiensts wird sich komplett verändern. Dort könnte auch generative AI mit Predictive AI kombiniert werden: Man versteht, was der Kunde potenziell möchte, und präsentiert es ihm dementsprechend. Das alles wird recht schnell kommen.

STANDARD: Microsoft ist sehr erpicht darauf, den Copilot zu pushen, unter anderem wird die KI in Microsoft Teams eingebaut. Gibt es das auch bei Webex?

Robbins: Ja. Eine unserer ersten KI-Anwendungen war das Unterdrücken von Hintergrundgeräuschen. Wir haben ein kleines KI-Unternehmen übernommen, das etwa Straßenlärm oder bellende Hunde im Homeoffice herausfiltert. Nun erkennt Webex, wenn ich während meines Meetings den Arbeitsplatz verlasse, und zeigt einen entsprechenden Platzhalter an. Wenn ich zehn Minuten später zurückkehre, fasst es mir das Verpasste zusammen.

STANDARD: Wie viele andere IT-Konzerne stand auch Cisco zuletzt wegen einer größeren Kündigungswelle in den Schlagzeilen. Fünf Prozent der Belegschaft, rund 4.000 Menschen, wurden vor ein paar Wochen gekündigt. Was passiert da gerade?

Robbins: Wir hatten vergangenes Jahr Rekordumsätze. Für dieses Jahr haben wir ein Modell mit einer moderaten Wachstumsprognose erstellt. Nun mussten wir feststellen, dass unsere Kunden länger als erwartet brauchen, um die Technologie zu implementieren, die wir ihnen geliefert haben. Deshalb haben sich die Bestellungen verlangsamt. In Folge haben wir unsere Umsatzprognosen reduziert und müssen dementsprechend unsere Kosten senken. Wir haben einen hohen Personalstand, und diese Entwicklungen haben zu dieser Entscheidung geführt. Das ist nicht einfach, und es ist keine Entscheidung, die wir treffen wollten, es ist die letzte Option. Aber leider mussten wir es tun.

"Unser Kundendienst wächst sogar, weil sie den Kunden helfen, die Produkte zu implementieren."

STANDARD: Das klingt auch ein wenig so, als könne man zum Beispiel im Kundendienst kein Personal abbauen.

Robbins: Unser Kundendienst wächst sogar, weil sie den Kunden helfen, die Produkte zu implementieren. Auch in anderen Bereichen wie der KI brauchen wir weiterhin Personal. In anderen Teilen mussten Einsparungen gemacht werden. Diese Entscheidungen wurden nicht von mir, sondern innerhalb der Teams getroffen.

STANDARD: Ist es ein branchenweites Phänomen, dass langsame Adaptierung der Grund für den Stellenabbau ist?

Robbins: Ja, das haben viele Unternehmen verkündet. Vor zwei bis drei Jahren hatte die Speichermedienbranche dieses Problem, Ähnliches sah man im Bereich der PCs und Server. Nun geht es vielen unserer Konkurrenten ähnlich.

STANDARD: Wie geht es nun weiter?

Robbins: Für 2025 und danach glauben wir, dass KI, Cybersicherheit und Hybrid Work uns Rückenwind geben werden. Wir sind für die Zukunft optimistisch.

STANDARD: Gleichzeitig führt Cisco mit der Übernahme von Splunk um rund 28 Milliarden Dollar die größte Akquisition der Unternehmensgeschichte durch. Wann wird der Deal finalisiert sein?

Robbins: Wir warten noch auf die Genehmigung der europäischen Wettbewerbsbehörden. Wenn dies gut läuft, erwarten wir einen Abschluss mit Ende des ersten Quartals – also Ende März – oder Anfang des zweiten Quartals.

STANDARD: Vergangenes Jahr haben Sie bereits vier, wenn auch deutlich kleinere Unternehmen im Bereich der IT-Security übernommen. Wie wichtig ist das Thema Sicherheit für Cisco?

Robbins: Mit unserer M&A-Strategie versuchen wir, uns als Anbieter von Plattformen zu etablieren. Es geht nicht mehr nur um Netzwerktechnologie, sondern auch um Zusammenarbeit, um das Verwalten von Geräten, um Sicherheit. Die meisten unserer kleineren Akquisitionen haben wir durchgeführt, um neue Möglichkeiten auf den Plattformen zu haben. Oder wir übernehmen gleich ganze Plattformen, wie im Fall von Splunk.

"Die Cyberangriffe werden noch ausgefeilter, und es wird schwieriger, sie als solche zu erkennen."

STANDARD: Wächst die Nachfrage nach Sicherheitslösungen noch immer?

Robbins: Sie wächst, und wegen KI wird sie noch weiter wachsen. Die Cyberangriffe werden noch ausgefeilter, und es wird schwieriger, sie als solche zu erkennen. Wir müssen also besser darin werden, KI für die Verteidigung einzusetzen. Splunk zum Beispiel kann Informationen von Security-Unternehmen integrieren. Wir wiederum haben eine Engine, die Korrelationen in Echtzeit erkennen kann. Sie erkennt also, wenn vier scheinbar voneinander unabhängige Auffälligkeiten in einer IT-Infrastruktur geschehen, und warnt dementsprechend. Wenn wir diese Engine mit Splunks Datensätzen kombinieren, können wir unseren Kunden einen echten Durchbruch in puncto Cybersicherheit bieten.

STANDARD: Wie wichtig ist in diesem Kontext die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen?

Robbins: Die Security-Branche war immer gut darin, Informationen nachträglich miteinander zu teilen. Die Realität ist aber, dass wir diese in Echtzeit teilen müssen, wenn die Angreifer mächtiger werden. Wir teilen daher unsere Erkenntnisse mit anderen Plattformen, und sie teilen ihre mit uns, sodass wir gemeinsam unsere Kunden schützen können. Es ist vielversprechend, dass die Branche hier zusammenkommt.

"Wenn Quantum-Computing im Markt aufschlägt, wird es wohl einen ähnlichen Impact haben wie künstliche Intelligenz."

STANDARD: Ein Blick in die Zukunft: Quantum-Computing wird die Security-Thematik noch verschärfen, oder?

Robbins: Ja. Es gibt derzeit sehr viel Forschung und Entwicklung in diesem Bereich. Wir haben ein Team, das sich spezifisch mit Quantum-Security und Verschlüsselung beschäftigt. Wenn Quantum-Computing im Markt aufschlägt, wird es wohl einen ähnlichen Impact haben wie künstliche Intelligenz.

STANDARD: Um das zusammenzufassen, sind hybrides Arbeiten und KI gerade dominierende Themen, Quantum-Computing kommt bald hinzu. Ihr Job wird nicht langweilig, oder?

Robbins: (lacht) Sowohl Quantum-Computing als auch KI können außerdem einen starken Einfluss auf das Thema Nachhaltigkeit haben. Es wird Risiken geben, über viele Punkte der Veränderung muss intensiv nachgedacht werden. Also nein, mein Job wird nicht langweilig. Ganz im Gegenteil: Er ist in den vergangenen Jahren deutlich spannender geworden. (Stefan Mey, 6.3.2024)