Mit Trillerpfeife gegen Absiedelungspläne: Der Streit um das Lorenz-Böhler-Spital wird auch auf der Straße ausgetragen.
Heribert Corn

Der junge Rollstuhlfahrer trotzt in Jogginghose und Plastikschlapfen dem kalten Morgenwind. Bei einem unglücklichen Sturz über eine Türschwelle zu Hause hat sich der 26-Jährige Schulter und Kreuzbein gebrochen, eineinhalb Monate schon liegt er im Unfallkrankenhaus im Wiener Bezirk Brigittenau. Bestens behandelt und gepflegt fühle er sich hier, erzählt der Patient, doch das drohe nun ein Ende zu haben. Niemand könne ihm sagen, ob er nicht plötzlich ans andere Ende der Stadt verlegt werde. Also hat er sich kurzentschlossen den Ärzten, Pflegerinnen und anderen Bediensteten angeschlossen, die sich Mittwochfrüh versammelt haben.

Empörung liegt in der Luft vor den Toren des örtlichen "Traumazentrums", besser bekannt als Lorenz-Böhler-Spital. Über den Vorplatz dröhnen Siebzigerjahre-Rocksongs ("More than a Feeling"), untermalt von einem Trillerpfeifenkonzert. "Nein zum Aus fürs Krankenhaus" ist auf Schildern zu lesen, ein Transparent verkündet: "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns das Böhler klaut!" Er sei verblüfft über die Respektlosigkeit, die einem entgegenschlage, ruft ein Belegschaftsvertreter in die Menge. Bediensteten werde nicht einmal die Frage beantwortet, ob sie nächste Woche noch einen Arbeitsplatz haben: "Wehrt euch, wehrt euch, wehrt euch!"

Video: Lorenz-Böhler-Spital: Personal demonstrierte und drohte mit Streik.
APA

Management als Zumutung

Einberufen hat der Betriebsrat die Demo wegen der Absiedelung der Institution: Ohne Vorwarnung hat die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) vergangenen Donnerstag verlautbart, das von ihr geführte Spital vorübergehend zu schließen. Als Grund führt das Management grobe Brandschutzmängel an, die laut zuständigem Gutachter erst Anfang Februar aufgetaucht seien. Bereits Anfang April soll der Betrieb abgesiedelt sein. Zumindest bis Jahresende sollen für stationäre Leistungen der AUVA-Standort in Meidling sowie das Wiener AKH einspringen. Eine Erstuntersuchungsambulanz werde aber in der Brigittenau bleiben.

Vordergründig richtet sich der Zorn der Demonstranten und ihrer Unterstützer gegen die Umstände der Aktion. Dass weder die Mitarbeiter noch die einspringenden Spitäler rechtzeitig informiert worden seien, qualifiziert der zur Demo gekommene Ärztekammerpräsident Johannes Steinhart ebenso als "Zumutung" wie die nun den Patienten drohenden Wartezeiten für Operationen. Noch nie habe sie erlebt, dass ein Generaldirektor in einem Krisenfall medial auf Tauchstation gehe, knüpft Barbara Teiber, Chefin der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), an. Die Verweigerung von Verhandlungen über die Bedingungen der Absiedelung nennt sie schlicht "eine Sauerei".

Die Gewerkschaft werde nicht zulassen, dass der Brandschutz missbraucht werde, um sich ganz vom Traumazentrum zu verabschieden, verspricht Teiber – und deutet damit an, was viele hier denken. Einen "perfiden Plan", um die Wünsche von Unternehmen zu befriedigen, wittert eine Mitarbeiterin aus dem medizinisch-technischen Bereich, ein Arzt sagt: "Es wird schon seit Jahrzehnten versucht, unser Haus zu schließen. Ohne unseren Widerstand wäre das längst passiert."

Ruf nach Beitragssenkung

Was damit gemeint ist: Das Budget der AUVA wird aus dem Unfallversicherungsbeitrag gespeist, den ausschließlich die Arbeitgeber zu zahlen haben. Unternehmensvertreter drängen immer wieder auf die Senkung dieser Lohnnebenkosten, gerade die Unfallkrankenhäuser sind dabei ein Dorn im Auge. Schließlich werden dort nicht nur, wie es an sich Sinn der Sache wäre, die Folgen von Arbeitsunfällen behandelt, sondern auch in der Freizeit verunglückte Menschen. Es sei nicht einzusehen, dass die Betriebe dafür zu zahlen hätten, so das Argument.

Allerdings sei die Rechnung nicht so einseitig, wie Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) anmerkt. Denn gleichzeitig kümmern sich etwa die von der Gesundheitskasse bezahlten niedergelassenen Ärzte auch um unter Berufskrankheiten leidende Menschen. Welche Seite da wirklich finanziell benachteiligt wird, sei ohne umfassende Studie nicht zu klären.

Gebrannte Kinder: Bedienstete wähnen sich in permanentem Abwehrkampf gegen Schließungspläne.
Heribert Corn

Als gebrannte Kinder fühlen sich die "Böhlerianer" auch deshalb, weil die einstige schwarz-blaue Regierung eine solche Beitragssenkung durchdrücken wollte. Die damalige Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein hatte der AUVA sogar mit Zerschlagung gedroht, falls diese nicht hunderte Millionen einspare. Heute gilt alarmierten Mitarbeitern der amtierende Generaldirektor Alexander Bernart als Erfüllungsgehilfe, der das Böhler-Spital aus Spargründen am liebsten im Standort Meidling aufgehen lassen wolle.

Ultimatum an die Führung

Dass gerade hinter dem nunmehrigen Umzug ein neuer Anlauf in diese Richtung steckt, halten hinter den Kulissen allerdings selbst rote Gewerkschafter für wenig wahrscheinlich. Im Verwaltungsrat der AUVA haben auch die Arbeitnehmer für die Absiedelung aus Brandschutzgründen gestimmt.

Zentralbetriebsratschef Erik Lenz lässt sich bei der Demo auf keine Spekulationen ein. Sein Urteil über das Management demonstriert er mit einem Foto von einem Glatteistag, das eine lange Krankenwagenschlange zeigt. Die Spitalsführung habe bewiesen, dass sie Krisen meistern könne – "in der AUVA funktioniert das nicht so gut".

Statt im OP oder Krankenzimmer bei der Demo: Der Betriebsrat versicherte, dass der Spitalsbetrieb nicht gestört worden sei.
Heribert Corn

Drei Forderungen stellt Lenz. Erstens eine Sozialvereinbarung, um Arbeitsbedingungen zu sichern. Zweitens einen Zeitplan, wann man vom Krisenmodus wieder in die Normalität übergehe. Drittens eine Überprüfung der Unterlagen, die zur Entscheidung geführt haben. Zur Erfüllung habe die AUVA-Führung eine Woche Zeit. Andernfalls werde gestreikt.

Katastrophale Kommunikation

Vorwürfe kommen nicht nur aus der Böhler-Belegschaft. Patientenvertreter halten Versprechen der AUVA bereits jetzt für gebrochen: Es könne keine Rede davon sein, dass der Normalbetrieb in der Brigittenau derzeit noch laufe. Patientinnen und Patienten erhielten Operationsabsagen, ohne einen neuen Termin genannt zu bekommen.

Das Versprechen der AUVA, dass sämtliche Operationen und Therapien an den alternativen Standorten durchgeführt werden, hält demnach ebenso wenig. So weigerten sich das Traumazentrum Meidling und andere Wiener Spitäler, bereits im Lorenz Böhler operierten Menschen notwendige Folgeoperationen zu gewähren, berichtet Wiens Patientenanwalt Gerhard Jelinek. Patientinnen und Patienten seien massiv verunsichert – "auch bedingt durch das katastrophale Kommunikationsverhalten der AUVA".

"Eine fatale Mindestversorgung" sieht Thomas Holzgruber, Patientenombudsmann der Wiener Ärztekammer: Die Leute seien "im Regen stehen gelassen worden". (Gerald John, 6.3.2024)