Fischkutter im Sonnenuntergang
Weltweit ist die Temperatur der Ozeane im vergangenen Jahr stark angestiegen. Die Mechanismen dahinter sind noch nicht ganz klar.
AP/Wilfredo Lee

Die Nachricht wiederholt sich nicht zum ersten Mal: Die Weltmeere verzeichnen außergewöhnliche Wärmerekorde. Nun schon seit einem Jahr, genauer gesagt seit dem 5. März 2023, liegt die mittlere Oberflächentemperatur im Nordatlantik an jedem einzelnen Tag auf dem höchsten Tagesstand seit Messbeginn vor rund 40 Jahren – meist sogar mit großem Abstand zum bisherigen Tagesrekord. Das geht aus Daten der Plattform Climate Reanalyzer der University of Maine hervor, die sich unter anderem auf Satellitenmessungen stützt. Damit einher gehen Rekorde auch bei den Lufttemperaturen. 2023 war global das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Auf den weltweit wärmsten jemals gemessenen Jänner 2024 folgt aller Wahrscheinlichkeit nach der wärmste Februar.

Besonders auffällig war die Erhitzung im Atlantik. Am 7. März vergangenen Jahres startete die durchgehende Kurve der Tagesrekordtemperaturen im Nordatlantik. Bei den Weltmeeren insgesamt begann sie am 14. März. "Wenn man sich anschaut, wie die Temperaturentwicklung in den Ozeanen der vorherigen 40 Jahre war, kann man sehen, dass die derzeitige Erwärmung wirklich weit außerhalb der natürlichen Schwankungen liegt", sagt Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). "Sie ist auch außerhalb dessen, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten an Erwärmung beobachtet haben."

Zusätzlich zu der stetigen menschengemachten Erwärmung müsse es daher noch andere dynamische Effekte geben, sagt Levermann. "Wie viele davon tatsächlich selbst von der globalen Erwärmung verursacht oder verstärkt werden, ist derzeit noch nicht sicher." So pumpe etwa das Klimaphänomen El Niño derzeit Wärme aus den Meerestiefen im Pazifik nach oben.

Hauptursache Mensch

Auch Mojib Latif vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel geht davon aus, dass El Niño die Erwärmung verstärkt hat – vorher habe das gegensätzliche Phänomen La Niña die Erwärmung eher gedämpft. Beide betonen aber den Effekt des menschengemachten Klimawandels: "Die Hauptursache dafür, dass die Ozeane so warm sind, ist natürlich der Mensch. Das darf man nicht vergessen", sagt Latif.

Latif ist wenig überrascht von den Rekorden: "Ozeane sind ein verdammt guter Indikator für die Klimaerwärmung." Die Ozeane nähmen über 90 Prozent der Wärme auf, die durch den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre verbleibe. "Es ist völlig klar, dass sich die Meere erwärmen, wenn sich die Erde weiter erwärmt."

"Das, was momentan für eine gewisse Verwunderung sorgt, ist dieser besonders warme Atlantik", sagt Helge Gößling, Klimaphysiker am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. "Übrigens ist ja auch der Südatlantik jetzt dazugekommen. Auch der ist seit ungefähr Dezember ungewöhnlich warm." Das müsse noch genauer untersucht werden.

Schwierige Ursachensuche

Interessant werde der künftige Verlauf der Temperaturkurve, sagt Gößling. "Die Vorhersagen gehen eigentlich alle davon aus, dass im Laufe des Frühlings El Niño verschwindet und sich wahrscheinlich dann später sogar zu seinem Gegenstück La Niña umkehrt." Ab Juli oder August sei La Niña der wahrscheinlichste Zustand. Die Weltwetterorganisation (WMO) hat bereits eine Abschwächung von El Niño registriert. Die Auswirkungen auf das globale Klima seien aber weiter zu spüren.

Für die Erwärmung des Nordatlantiks gibt es laut Gößling verschiedene Erklärungsansätze. Die Schiffsemissionen unterliegen seit 2020 strengeren Vorschriften. "Das heißt, die Schwefelverbindungen, die dabei emittiert werden, sind jetzt reduziert worden." Und damit auch der kühlende Effekt der Aerosolschicht auf das Klima. Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass man damit die ganze Anomalie im Atlantik erklären kann. Auch schwache Passatwinde im Frühjahr 2023, die für die Erwärmung verantwortlich gemacht wurden, scheiden laut Gößling als Erklärung aus: Diese Entwicklung hätte im Laufe des Winters abklingen müssen, was nicht geschehen sei.

"Diese Anomalie, die wir jetzt global sehen, und die wir vor allen Dingen auch im Nordatlantik sehen, da habe ich noch keine Idee, wie wir die wirklich erklären können", zeigt sich Levermann ratlos. "Das ist in der Tat außergewöhnlich."

Treibhausgase auf Rekordkurs

Laut Gößling gibt es neben den hohen Werten der Meere noch weitere Faktoren, die sich aktuell auf die globale Lufttemperatur auswirken: Anfang 2022 sei der Unterwasservulkan Hunga Tonga ausgebrochen, der große Mengen an Wasserdampf in die Stratosphäre befördert habe. Grob geschätzt trage dies zu einem zwanzigstel Grad Erwärmung bei. Zudem schwanke die Strahlung der Sonne in einem Zyklus von elf Jahren. Da sie gerade auf dem Weg zu einer starken Phase sei, könne grob ein weiteres zwanzigstel Grad hinzukommen. "Ich rede über kleine Effekte, aber die können sich läppern."

Eisberg mit Vögeln darauf treibt im Meer
Die Eisschmelze und die Erwärmung der Ozeane bringen unzählige Ökosysteme durcheinander.
IMAGO/Barrett & MacKay

Fest steht jedoch auch für ihn, dass "der durch menschengemachte Treibhausgase bedingte Klimawandel langfristig die Hauptursache ist". Die Konzentrationen der Haupttreibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas in der Atmosphäre erreichten 2022 laut Weltwetterorganisation Rekordwerte seit Aufzeichnungsbeginn. Meeresdaten zeigen laut Gößling klar eine relativ kontinuierliche Zunahme der Wärmemenge, die von den Ozeanen aufgenommen worden ist.

Fatale Folgen

"Wir haben 1,2 Grad Erwärmung im globalen Mittel beobachtet, und die Kontinente haben sich im Schnitt bereits um mehr als zwei Grad erwärmt", sagt Levermann. Mit der Erwärmung der Meere dehnt sich das Wasser darin aus. Zusammen mit der Eisschmelze lasse das den Meeresspiegel immer rascher steigen, so Levermann: "Am Anfang des letzten Jahrhunderts hatten wir rund einen Zentimeter pro Jahrzehnt Meeresspiegelanstieg, am Anfang dieses Jahrhunderts rund drei und jetzt mittlerweile schon etwa fünf."

Auch für die Ökosysteme im Meer habe die Erwärmung fatale Folgen, betont der Experte. Die Erwärmung der Ozeane bringe unzählige Nahrungsketten und -netzwerke durcheinander. "Das hat Folgen nicht nur für die Meereslebewesen, sondern auch auf die Fischerei und damit auch die Ernährung der Menschen."

Außerdem ist mit mehr zerstörerischen Extremwetterereignissen zu rechnen: Ozeanforscher Latif weist darauf hin, dass Starkregen häufiger werden könnte, weil mehr Wasser verdunstet und wärmere Luft mehr Wasserdampf halten kann, der irgendwann als Niederschlag herunterkommt. (red, APA, dpa)

Update: Der Untertitel wurde um 15 Uhr angepasst.