Nobu, Sushi, Cook
Nobu Matsuhisa auf Stippvisite in seiner Münchner Dependance. Begonnen hat alles in Los Angeles.
Mandarin Oriental, Munich

Nobu Matsuhisa weiß ein bisschen etwas darüber, wie man Gäste bedient, eine festliche Atmosphäre schafft und das eine oder andere Jubiläum begeht. Der japanische Koch mit Wohnsitz Los Angeles hat Sushi im Fine-Dining-Segment etabliert. Nobu, wie ihn die Welt kennt, eröffnete 1987 sein erstes Restaurant: Matsuhisa Beverly Hills, 38 Sitzplätze, Japanese Gourmet Seafood stand auf dem Schild. Heute tragen 56 Restaurants auf der Welt seinen Namen, haben 36 Hotels unter der Marke Nobu eröffnet. Marrakesch, Mykonos, Manhattan. Nie klang Systemgastronomie glamouröser.

Einen gehörigen Anteil daran hat Oscar-Preisträger Robert De Niro. Er entdeckte das unscheinbare Lokal Ende der 80er-Jahre, als er mit dem britischen Regisseur Roland Joffé (The Mission) einkehrte. 1994 überredete er Nobu zu einem Ableger in New York, drei Jahre später kam ein Restaurant in London dazu.

Prominente lieben das Sushi mit lateinameri­kanischen Einflüssen. Charlize Theron, Madonna und Kylie Minogue speisen in den Lokalen. Boris Becker schwängerte 1999 in der Besenkammer des Londoner Ablegers eine russisch-stämmige Kellnerin. Der amerikanische Milliardär Stewart Rahr bekam 2012 lebenslanges Hausverbot, nachdem er sich in einer E-Mail beschwert hatte, dass er nicht seinen Lieblingstisch bekommen habe, die Geschäftsführerin saftig beleidigte – und die Nachricht an seine besten Freunde weiterleitete, darunter Leonardo DiCaprio und Alicia Keys.

So viel Lärm um Sushi. Sitzt man Nobu Matsuhisa gegenüber, trifft man einen ruhigen 74-jährigen Japaner, einen Geschäftsmann in weißer Uniform, dem nichts so fremd scheint wie ein Eklat. Nobu schuftet in den Untiefen der Sterneküche, ein Selfmademan mit Versagensängsten. Mit 24 US-Dollar in der Tasche kam er 1987 in Los Angeles an, heute hat er ein geschätztes Vermögen von 200 Millionen US-Dollar angespart.

Wer rastet, der verliert sein Imperium

Nobu, Sushi
Kulinarisch steht Nobu für Sushi mit lateinamerikanischen Einflüssen.
Mandarin Oriental, Munich

Was macht einen guten Gastgeber aus, Nobu? Disziplin, Freundlichkeit, Beharrlichkeit. "In den ersten Jahren war ich ständig im Lokal und habe nie einen Tag verpasst", sagt der gelernte Koch. Sein Englisch klingt herrlich unpoliert, weil er erst mit 30 Jahren die Sprache gelernt hat. "Ich habe den Gästen zugehört, wenn sie mir Feedback gegeben haben, und manche Gerichte nach Anregungen von ihnen kreiert."

Nie hätte der junge Matsuhisa gedacht, dass die Reichen und Schönen dieser Welt ihm einmal die Türen einrennen, dass sein Vorname sehnsuchtsvolle Fantasien entfachen könnte. Zehn Monate im Jahr ist er unterwegs, reist von Lokal zu Lokal, um den Köchen neue Menüs beizubringen und Qualitätskontrolle zu betreiben. Gerade weilt er in München, im Mandarin Oriental Hotel stellt das Matsuhisa-Restautant ein neues Menü vor. Von der Stadt sieht er wenig: Flughafen, Hotelterrasse, Viktualienmarkt. In der Küche bleibt er stundenlang. Nobu kann nicht loslassen.

Die Besessenheit hat einen tieferen Grund. Seine Geschichte erzählt von Rückfällen, zerbrochenen Träumen und abgrundtiefen Pleiten. Beverly Hills war der letzte Strohhalm, an den er sich in den mittleren Jahren klammerte – und der sich als goldene Gelegenheit erwies. Zur Ruhe setzen, die Beine hochlegen, das scheint dem rüstigen Mann deshalb gefährlich. Wer rastet, der verliert sein Imperium.

Um sein Arbeitsethos zu verstehen, muss man in die Sechzigerjahre zurückgehen, als der junge Mann seine ersten Schritte in die Arbeitswelt wagte. Im Nachkriegsjapan, das sich zurück an die Weltspitze kämpfte, war es völlig normal, zwölf Monate durchzuarbeiten. "Wir hörten von Europäern, die sich einen ganzen Monat im Sommer freinahmen, um Urlaub zu machen", erinnert er sich. "Darüber haben wir keine Sekunde nachgedacht, es stand einfach nicht zur Debatte." Er zuckt mit den Schultern: "Wir mussten Geld verdienen."

Mit 18 Jahren fing er in einem Sushi-Restaurant in Tokio an, wusch drei Jahre lang Geschirr und kehrte das Lokal aus, lernte in den nachfolgenden drei Jahren alles über die Kunst des Fischezerkleinerns – "zehn Finger und ein Messer" – und bekam mit 24 Jahren ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte.

Limettensaft und Sojasauce

Ein Gast fragte ihn, ob er ein Restaurant in Lima führen möchte. Peru gehört zu den wenigen Ländern der Welt, in denen es im 19. Jahrhundert eine Arbeitsimmigration aus dem bettelarmen Japan gegeben und in dem sich eine lebendige Community bis in die heutigen Tage gehalten hat. 1973 ging er mit seiner Frau nach Südamerika, ihm gefiel die Idee, ein großes Abenteuer zu erleben.

"Die Ankunft in Lima glich einer Zeitreise", erinnert er sich. "Die Autos, die auf den Straßen fuhren, die Fernseher, die in den Wohnungen standen, die Mode, die die Menschen auf der Straße trugen – es sah alles aus wie eine 20 Jahre alte Version von Japan." Die Idee, einfach die japanische Küche in ein ihm fremdes Land zu übertragen, musste er überdenken.

Beide Staaten grenzen an den Pazifik, beide Völker fangen frischen Fisch aus dem Ozean, doch bereiten ihn komplett unterschiedlich zu. In Lima marinieren die Menschen den Fisch mit Limettensaft und nennen es Ceviche, in Japan schneiden sie das Filet auf, tunken es in Sojasauce und bestreichen es mit Wasabi. Nobu passt sich an, kreiert eine Art Fusion-Küche und legt den Grundstein für seine heutige Philosophie. Jalapeños finden in seinen Rezepten genauso Platz wie Misopasten.

Das Restaurant in Lima avanciert zum Hit, allein der Geschäftspartner will mehr – also mehr Profit herausschlagen – und hält dem qualitätsbewussten Koch vor, dass er seinen Fisch viel zu teuer kaufen würde. Nach einer dieser quälenden Diskussionen, in denen Nobu gezwungen werden sollte, mit minderwertigem Fisch zu kochen, wirft Nobu das Handtuch. Er verlässt Lima nach drei Jahren.

Noch bremst ihn keine Zukunftsangst. Eine Stelle in Buenos Aires tritt er an, weil er glaubt, er könnte den Argentiniern Sushi genauso schmackhaft machen wie den Peruanern. Nur leider hat er die Rechnung ohne die Steakverliebtheit der Porteños gemacht – und nicht die legendär späten Essenszeiten bedacht. "Abends schafften wir nicht mehr als einen Durchgang", sagt er rückblickend. "Ich wollte mich weiterentwickeln, aber das ging nicht. Langsam beschlich mich das Gefühl, dass ich meinen Traum von einem japanischen Restaurant im Ausland aufgeben müsste."

Nicht unterkriegen lassen

Nobu, Sushi
Das Imperium von Nobu Matsuhisa umfasst 56 Restaurants und 36 Hotels weltweit.
Mandarin Oriental, Munich

Schweren Herzens zieht die junge Familie mit den zwei Töchtern zurück in die Heimat. Es fühlt sich nach Niederlage an, wieder in Tokio zu arbeiten. Und deshalb ergreift Nobu Matsuhisa die erste Gelegenheit, wieder ins Ausland zu gehen – selbst in ein so unwirtliches, beinahe ungastliches wie Alaska. Er steckt sein letztes Geld in die Eröffnung eines Restaurants in Anchorage.

50 Tage arbeitet er durch, schnibbelt, schneidet, rollt Sushi, jeden Abend ist der Laden voll, das erste Thanksgiving in Amerika soll eine Feier mit Familie und Freunden werden – ein unvergesslicher Abend. Das wird es auch, nur anders als erwartet. "Ich trank gerade mein Bier, als ich einen Anruf bekam", erzählt Nobu mehr als 40 Jahre später. "Das Restaurant brennt!" Sofort fährt er los, hilft bei den Löscharbeiten – doch es gibt nichts zu retten. Das Gebäude brennt nieder. "Mein Leben ist vorbei, dachte ich, für eine Woche quälten mich Suizidgedanken."

Das war der Tiefpunkt seines Lebens, der ihn bis heute prägt. Gedemütigt nimmt er 1979 eine Stelle in Los Angeles an, er arbeitet hart, nimmt keinen Urlaub, träumt schlecht, weil er Angst vor einer erneuten Pleite hat. Dem Restaurantbesitzer kauft er seinen alten Pontiac für 500 Dollar ab. Kurz darauf wird der Wagen vor einer Shoppingmall gestohlen. Nobu kauft sich ein Rad, fährt damit täglich zum Lokal, stellt es neben dem Restaurant auf einen Parkplatz ab – bis es nach ein paar Wochen geklaut wird. "Das ist eben Los Angeles", sagt er, wenn er sich heute daran erinnert.

Von einem Freund aus Peru-Tagen leiht er sich 1987 knapp 70.000 Dollar, um es noch einmal, ein letztes Mal, zu versuchen: ein eigenes Restaurant aufzumachen. Zwei Jahre lang macht er keinen Gewinn, aber auch keinen Rückzieher. "Ich wollte nicht meine Küchenphilosophie kompromittieren", sagt er, nicht den Drang zur höchsten Qualität aufgeben. "Wenn man in Japan ein Restaurant betritt, wird dem Gast das Gefühl gegeben, man sei geehrt, dass er das Lokal gewählt habe – genau das habe ich in Los Angeles auch getan."

Die Entbehrungen zahlen sich schließlich aus, der Name des kleinen Lokals wird von Stars wie ein Geheimnis herumgereicht. Robert De Niro adelt ihn mit einer Geschäftspartnerschaft, eine Zeitung titelt "The Godfather and the Codfather" (in Anlehnung an den Kabeljau, auf Englisch: Cod), Nobu tritt sogar in einer kleinen Rolle in Martin Scorseses Gangsterepos Casino auf – und wird ungewollt zum großen Namen.

Heute fliegt er jeden Frühling zur Kirschblüte nach Japan. In Hakone nahe dem Fuji hat er ein Grundstück mit Haus und eigener heißer Quelle. "Meine Frau genießt diese Reisen sehr", sagt er und lobt sie: "Sie ist die beste Köchin, die ich kenne. Wenn Freunde zu Besuch kommen, macht sie einfaches japanisches Essen: einen kleinen Salat, ein wunderbares Stück Rindfleisch." Ob er sich jetzt, mit 75 Jahren, nicht auf die Rente zurückziehen könne? "Nein", erwidert er. "Ich habe Angst, noch einmal vor dem Nichts zu stehen." (RONDO, Ulf Lippitz, 10.3.2024)