An die 75 Tattoos soll das Team der preisgekrönten Serie The Bear entworfen haben. Sie begleitet den erfolgreichen Koch Carmen "Carmy" Berzatto, wie er nach dem Selbstmord seines Bruders versucht, den Sandwichladen der Familie und sein Leben in rechte Bahnen zu lenken.

Gespielt wird dieser Koch von Jeremy ­Allen White, und dafür bekam er zwar nicht alle 75, aber doch ziemlich viele Tattoos verpasst. Denn es soll ja authentisch sein, in der Küche sieht man ziemlich viel tätowierte Haut. Im Falle von Küchenchef Carmy: Fische, Messbecher, Weltkugeln, ein blutiges Küchenmesser. Der Koch als rauer Bursche, der seine Lebens- und Leidensgeschichte auf der Haut trägt.

In der breiten Gesellschaft war die Körperbemalung lange Zeit verpönt. Dabei tauchte sie schon in der Steinzeit auf. Vielen Völkern dienten Tattoos als Zeichen der Stammeszugehörigkeit, sie erzählten von Ahnen und kriegerischen Erfolgen. Hier­zulande ist fast ein Viertel der Bevölkerung tätowiert. Das anrüchige Image ist längst passé. Das gilt auch für die Küche. Wurden Tattoos früher – zumindest in der gehobenen Gastronomie – noch unter der Koch­jacke versteckt, werden sie heute offen gezeigt. Von Männern wie Frauen, die sich zunehmend mehr Platz in der Branche erkämpfen.

Mit dem Aufkommen des Casual Fine Dining und der neuen Vielfalt an Küchenstilen hat sich auch das Auftreten der Menschen gewandelt, die in der Gastronomie arbeiten: Heute zählt Individualität. Man redet offen über Leiden und Leidenschaft. Oder vielmehr: Stellt stolz die Haut zur Schau, die davon zu berichten weiß.

Wernher Schörkmayr - Chefkoch im Wildling

Radieschen brauchen Salz – ganz logische Motivfindung, wenn’s nach Wernher Schörkmayr geht.
Radieschen brauchen Salz – ganz logische Motivfindung, wenn’s nach Wernher Schörkmayr geht.
privat

Da gibt’s keine große Geschichte“, sagt Wernher Schörkmayr und beginnt dann doch wortreich zu erzählen. Unzählige Tattoos hat der Chefkoch des Restaurants Wildling. Das erste ließ er sich mit 18 stechen. Ein Drache auf dem Rücken, eine Jugendsünde, wie er lachend sagt. Tattoos müssten nicht so "bedeutungsschwanger" sein. Es reiche, wenn sie Spaß machten, an schöne Momente erinnerten. Auf dem rechten Oberarm hat er ein Radieschen tätowiert. "Ich fand’s einfach wahnsinnig schön, und schmecken tut’s auch gut."

Ein unterschätztes Gemüse sei es, findet Schörkmayr, der gerne mit klassischen Gerichten spielt: Butter mit zermahlener Erdäpfelschale, Krautfleckerl als chinesische Teigtaschen oder Radieschenlasagne: "Die Blätter haben wir zu Béchamel verarbeitet, die dünn geschnittenen Radieschen rein­geschichtet." Er strahlt.

Schon als kleiner Bub war Schörkmayr mit den Eltern in Haubenlokalen zu Gast. "Bist deppert", habe er sich gedacht. "Das will ich auch können!" Nach der Schule absolvierte er die Kochlehre, seit rund zwei Jahren leitet er die Küche des Wildling und ist dankbar, dass er dort kochen kann, was er möchte. Dinge wie die experimentelle Radieschenlasagne. Neben seinem Radieschen hat er sich einen Salzstreuer tätowieren lassen. "Weil Radieschen Salz brauchen."

Wernher Schörkmayr in der Küche des Wildlings.
Wernher Schörkmayr in der Küche des Wildlings.
Heribert Corn

Jakob Bretterbauer -Restaurantleiter der Cucina Alchimia

Bei Jakob Bretterbauer entstehen Tattoos im Doppelpack.
Bei Jakob Bretterbauer entstehen Tattoos im Doppelpack.
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Mokakanne und Kaffeetasse, Herz und Rose, Fleisch und Gemüse – Jakob Bretterbauer mag die Symmetrie. "Alles hat zwei Seiten", meint der Koch. Und so entstehen Tattoos bei ihm oft im Doppelpack. Der Ziegenkopf auf seinem linken Unterarm stehe stellvertretend für alles Tierische. Für die rechte Seite suchte er ein Gemüse mit ähnlicher Form. Und landete bei der Karotte. Wie alle Motive hat er sie selbst gezeichnet. "Ich brauch nur jemand, der mir das reinhackt."

Studiert hat Bretterbauer Architektur und Weinbau, mit Ende 20 wechselte er in die Küche. Interessiert hat ihn das Metier schon immer, doch weil er "aus einer Akademikerfamilie" stammt, entschied er sich mit 18 dagegen. Zehn Jahre später holte er die Kochausbildung nach, "war schon unterhaltsam, als ich mit lauter 16-Jährigen in der Berufsschule saß". Warum so viele in der Küche tätowiert seien? Er zuckt mit den Schultern. "Wenn du eines hast, ist es ein bisschen fad, und ruckzuck ist die Haut voll." Ihm gehe es vor allem um die Ästhetik. Sein jüngstes Motiv ist eine Artischocke auf der Schulter. "Ich esse die gerne, aber vor allem schaut’s schön aus."

Heute verbindet er seine vielen Leidenschaften – Kunst und Kulinarik. Gemeinsam mit zwei Freunden eröffnete er im Herbst vergangenen Jahres die Cucina Alchimia, in der man nicht nur speisen, sondern immer wieder kulinarischen Kunstinstallationen beiwohnen kann. Was will ich machen im Leben? Die Frage habe ihn lange umgetrieben, sagt er. "Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich endlich angekommen bin."

Jakob Bretterbauer
Jakob Bretterbauer hier im Bild ganz rechts mit roter Haube.
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Nina Miggitsch - Aus der Küche zur Arche Noah

"Work in progress" lautet das Motto bei Nina Miggitschs Stangenbohnentattoo.
privat

Derzeit wächst sie nur bis zum Knie: Die Stangenbohne, die sich Nina Miggitsch vom Fuß über die Schulter und runter bis zur Hand tätowieren lassen will. "Sie wächst mit meiner neuen Aufgabe", sagt die junge Frau. Vor einem knappen Jahr wechselte sie aus der Küche zur Arche Noah – einem Verein, der sich für den Erhalt bedrohter Kulturpflanzensorten einsetzt. "Stangenbohnen sind so coole Pflanzen", schwärmt sie. Die Erbse auf ihrem Knöchel zählt zu ihren Lieblingstattoos. Vor einem Jahr kam das Großprojekt Stangenbohne hinzu. "Direkt nach dem finalen Vorstellungsgespräch bin ich ins Tattoo­studio und danach für die Abendschicht zurück ins Restaurant." In die Küche sei sie nach dem Studium "so reingestolpert". Miggitsch blieb mehr als vier Jahre.

Die Begeisterung für Nahrungsmittel begleitet sie schon ein Leben lang. Ihr Vater war begeisterter Hobbygärtner, nahm sie mit zu den Saatgutmärkten der Arche Noah. Als ihr ein Bekannter von der freien Stelle erzählte, wechselte sie die Seiten. "Es ist faszinierend, wie viele Gemüsesorten es gibt, wie unterschiedlich sie schmecken und aussehen." Derzeit arbeitet sie an einem Projekt mit winterharten Zuckererbsen.

Vor einem knappen Jahr wechselte Miggitsch aus der Küche zur Arche Noah
Vor einem knappen Jahr wechselte Miggitsch aus der Küche zur Arche Noah
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Mara Feißt Sommelière im Café Azzurro

Ein Blick auf die Arme von Sommelière Maria Feißt verrät ihre Leidenschaft.
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Urlaube wurden bei Familie Feißt oft nach Weinregionen geplant. Heute ist Mara Sommelière im Café Azzurro, dem jungen, seit Eröffnung allabendlich ausgebuchten Schwesterlokal des Kommod. Die vom Vater vererbte Leidenschaft animierte Feißt vor sieben Jahren zum Berufswechsel. Von der Texterin im PR-Bereich („Ich hab’s gehasst.“) zum Wein, bei dem sie sofort ins Schwärmen gerät: Die oft übersehenen "tollen Sachen" aus Osteuropa, die Sensorik, der landwirtschaftliche Aspekt: "Es hat nichts mit Prestige zu tun, auch wenn es natürlich große Kunst ist, was da entsteht."

Auch ihr Körper ist ein Kunstwerk. "Ich fühl mich wie ein Stickeralbum", sagt sie mit Blick auf ihre volltätowierte Haut. Den Römerkelch auf dem Arm hat sie sich vor drei Jahren machen lassen. Eine Erinnerung an ihre vom Weinbau geprägte badische Heimat, wo der Kelch allgegenwärtig ist.

Die Leidenschaft für Wein begleitet Mara Feißt über den normalen Job hinaus. Sie ist Mitinitiatorin des Female Wine Collective, das sich für mehr Sichtbarkeit von Flinta-Personen (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, Trans- und Agender-Menschen) in der Weinbranche einsetzt.

Das Leben sei ernst genug, sagt Feißt. Daher lasse sie sich auch "viel Blödsinn" tätowieren. Aus der Zeit, in der sie viel elektrische Musik hörte, stammt der Schriftzug "Acid" auf ihrem Oberarm – für die gleichnamige Musikrichtung. Heute sei sie damit ein wenig unglücklich, sagt sie. Eine Lösung aber ist schon gefunden: Aus "Acid" wird "Acidity", daneben kommt eine Flasche Riesling – ein Wein, der durch seine markante Säure (Acidity) besticht. (Verena Carola Mayer, 8.3.2024)

Feißt ist Mitinitiatorin des Female Wine Collective
Feißt ist Mitinitiatorin des Female Wine Collective
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