Eva Spreitzhofer macht grundlegende, lang tradierte patriarchale Muster für Fehlverhalten verantwortlich.
Eva Spreitzhofer macht grundlegende, lang tradierte patriarchale Muster für Fehlverhalten verantwortlich.
Pamela Rußmann

Über das Fehlverhalten mächtiger Personen in Film und Theater wird zunehmend offen gesprochen. Zuletzt stieß Dolores Schmidinger im STANDARD eine Diskussion an, die viele Kommentare hervorrief. Einer kam unter anderem von Filmregisseurin Eva Spreitzhofer, die auch den Theaterbetrieb gut kennt. Wir baten sie zum Gespräch.

STANDARD: Wo ist Ihnen Machtmissbrauch erstmals begegnet?

Spreitzhofer: Als junge Frau an der Schauspielschule des Volkstheaters. Damals ist es sehr autoritär zugegangen am Theater und beim Film. Wir waren unglaublich geehrt, dass wir mittendrin im Theaterbetrieb sein konnten. Kurz nach dem Schulstart saßen wir mit ein paar Publikumslieblingen in der Kantine, auf einmal drückte sich Heinz Petters an mich und steckte seine Zunge in mein Ohr. Man muss dazusagen, es war eine Zeit, in der man als junge Frau immer "angekörpert" wurde. Das war nicht angenehm, aber wir hätten es nicht wirklich als Übergriff empfunden.

STANDARD: Weil die Trennlinie zwischen "eh noch okay" und "schlimm" schwer zu ziehen war?

Spreitzhofer: Das war auf alle Fälle verwischt. Als Schauspieler:in arbeitet man ja mit dem Körper, man will alles geben, deshalb geht man auch über Grenzen. Es gab null Bewusstsein dafür, wo höre ich als Schauspielerin auf und fange als Person an.

STANDARD: Wie haben Sie damals reagiert?

Spreitzhofer: Ich wusste nicht, was ich sagen soll, ich bin halt aufgestanden und hab mich umgesetzt. Man braucht selbst oft längere Zeit, bis man solche Erlebnisse einordnen kann. Ihm ist es sicher nicht übergriffig erschienen, Frauen hatten noch einen ganz anderen Status. Damals war ja sogar Vergewaltigung in der Ehe straffrei; es gab auch kein Gleichbehandlungsgesetz, das sexuelle und allgemeine Belästigung am Arbeitsplatz unter Strafe stellt. Ich will es aber nicht relativieren, es gab auch Männer, die völlig anders drauf waren.

STANDARD: Warum wurde Fehlverhalten lange als "eh zur Kunst gehörend" eingestuft?

Spreitzhofer: Machtmissbrauch ist ja nicht zu trennen von der gesamtgesellschaftlichen Situation. Die Zeit damals hat Männer geradezu ermuntert, sich aufzuführen und zu zeigen, wer der Überlegene ist. Und was die Kunst betrifft: Die Grenze zwischen dem, was in einer Szene echt ist, und dem, was gespielt ist, wird nicht immer streng gezogen – vom Publikum wie auch beim Drehen. Extrembeispiel ist die Vergewaltigung beim Dreh von Der letzte Tango in Paris. Auch heute noch werden Männer Schauspielerinnen gegenüber vor laufender Kamera übergriffig. Ein ganzes Filmset muss zusehen, merkt es nicht oder schaut weg. Phänomene, die es in keiner anderen Branche gibt.

STANDARD: Was soll noch getan werden, um Machtmissbrauch vorzubeugen?

Spreitzhofer: Man muss Strukturen schaffen, damit einzelne Menschen nicht ungestraft ihre Machtgelüste ausleben können. Wir leben in einer Gesellschaft, die es toll findet, wenn sich machtvolle Leute schlecht benehmen. Donald Trump hat sein "Pussy"-Sager nicht geschadet. Oder sexistische Rap-Texte – das gilt als cool. All das wird bedingt durch patriarchale Muster. Der Gender-Pay-Gap zementiert das Machtgefälle. Auch der Widerwille gegen das Gendern, der die Unsichtbarkeit von Frauen befördert. Wenn man bessere Lesbarkeit möchte, dann nehmen wir die weibliche Form. In "Schauspielerinnen" sind ja die "Schauspieler" enthalten. Ganz einfach!

STANDARD: Sie haben Regisseur Erhard Pauer, Jahrgang 1945, als Despoten beschrieben und bekamen auf Facebook sofort Zuspruch. Ist es eine Generationenfrage, verschwindet diese Manier?

Spreitzhofer: Ich glaube nicht an das automatische Aussterben. Man muss sich ganz gezielt mit Gewaltstrukturen befassen, um eine Veränderung herbeizuführen. Ich halte zum Beispiel Prostitution für bezahlte Vergewaltigung. Die Aufgeklärten nennen Prostitution nun Sexarbeit. Damit haben wir aber das Ausbeutungssystem nur behübscht und noch fester implementiert. Was ich sagen will: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Details innerhalb des Patriarchats verändern, sondern das Patriarchat an sich zerschmettern.

STANDARD: Beratungsstellen werden also an der patriarchalen Grundstruktur nichts ändern?

Spreitzhofer: Frauen sind die Mehrheit der Weltbevölkerung, und auf allen Damen-WCs hängen Gewaltschutztelefonnummern. Männer wissen von dieser Realität vermutlich nicht einmal, wir führen völlig unterschiedliche Leben. Viele meinen, man müsse die Frauen nur ein wenig empowern. Aber das reicht nicht. Wir wollen nicht die Hälfte vom Kuchen, wir wollen die Hälfte der Bäckerei.

„Luisa ist hier“ in Tirol
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STANDARD: Zurück zum Probenprozess: Warum schauen viele zu, ohne einzugreifen?

Spreitzhofer: Angst, den Job zu verlieren. Angst, dass die Produktionsfirma hinter der Regie oder dem Star steht. Und ganz oft auch Scham. Es waren und sind definitiv nicht nur "schwache" Teammitglieder betroffen. Und die Despoten sind ja nicht per se schlechte Menschen, die sind ja gleichzeitig sehr nett. Sie denken, dass ihnen ihr Verhalten zusteht, weil sie so genial sind oder das Projekt so außerordentlich toll ist.

STANDARD: Viele sagen, Brüllen sei harmlos, die Schauspieler sollten nicht so wehleidig sein. Was antworten Sie da?

Spreitzhofer: Solche Demütigungen sind traumatisierend. Und verboten. Man hat als Arbeitgeberin eine Fürsorgepflicht. Dieser Hebel im Arbeitsrecht hat schon Verbesserungen gebracht. Produzent:innen achten vermehrt darauf, allein aus Angst vor Folgen.

STANDARD: Sie haben als Regisseurin selbst eine Machtposition inne. Wie gewähren Sie ein angemessenes Arbeitsklima?

Spreitzhofer: Mein Motto ist "Drehzeit ist Lebenszeit", und es ist mir wichtig, eine angenehme, lustige Stimmung am Set zu haben. Am Filmset gibt es eine klare Hierarchie, wie beispielsweise im Krankenhaus auch. Das ist auch richtig und wichtig, legitimiert aber nicht, eine Machtposition auszunutzen. (INTERVIEW: Margarete Affenzeller, 15.3.2024)