Sanierungstagsatzungen, Gläubigerunstimmigkeiten, Verkaufspläne: Die Pleite von René Benkos Signa ist eine Causa geworden, in der kaum noch jemand den Überblick behält. Neue Nachrichten türmen sich geradezu täglich aufeinander.

Der nächste wichtige Schritt steht jedenfalls am Montag an: Da stimmen die Gläubiger des insolventen Konzerns beim Handelsgericht Wien über den Sanierungsplan ab. Es gibt zwei Optionen: Entweder ein Treuhänder übernimmt bei der wichtigsten Gesellschaft Prime – und verkauft deren Vermögen in den kommenden fünf Jahre kontrolliert und zu möglichst guten Preisen ab. Oder aber: Die Gläubiger lehnen den Treuhandvorschlag ab. Dann kommen ein Konkurs und somit Notverkäufe.

Republik stimmt gegen Treuhandlösung

Die Republik Österreich wird gegen die Treuhandlösung stimmen. Das jedenfalls steht fest, wie der Präsident der Finanzprokuratur, Wolfgang Pechorn, am Montag im Ö1 Morgenjournal sagte. Zu viele Unsicherheiten gebe es bei dieser Lösung – etwa jene, dass die Gesellschaften auch dafür weitere Liquidität bräuchten, die bisher nicht in Sicht sei. Zudem lasse sich die nötige Aufklärungsarbeit bei einem Konkurs leichter durchführen, so Peschorn.

Das glitzernde Interieur der Signa-Zentrale auf der Wiener Freyung wird heute versteigert, um Gläubigerforderungen bedienen zu können
Das glitzernde Interieur der Signa-Zentrale auf der Wiener Freyung wird heute versteigert, um Gläubigerforderungen bedienen zu können
APA/ROLAND SCHLAGER

Wie aber konnte all das überhaupt geschehen? Welches System steckt dahinter, wenn ein höchst intransparenter Konzern über viele Jahre Milliardenschulden anhäuft – bis er schließlich die größte Pleite der österreichischen Wirtschaftsgeschichte hinlegt und unzählige Geschädigte zurücklässt, von schwerreichen Investoren zu Steuerzahlern, von Banken zu kleinen Zulieferern? DER STANDARD versucht, dies in drei Schritten klarzumachen.

Stufe 1: Einkaufen

Die Bilanzsumme der Signa Holding, der insolventen Dachgesellschaft des Konzerns, betrug im Jahr 2017 noch vergleichsweise geringe 783 Millionen Euro. Im Jahr 2018 hatte sie sich schon mehr als verdreifacht, auf 2,9 Milliarden Euro. 2019 lag sie schon bei 3,9 Milliarden; 2021 bei 5,3 Milliarden. In nur fünf Jahren hat sich die Bilanzsumme also knapp versiebenfacht.

Das Wachstum war rasant; die Signa galt als einer der am schnellsten wachsenden Konzerne in Europa. Der einfache Grund: Zukäufe ohne Ende. Immerhin ließen sich diese dank niedriger Zinsen günstig finanzieren. Also wurde aus einem Konzern, der sich anfänglich noch auf Immobilien spezialisiert hatte, ein Gemischtwarenladen. Neben teuren Immos war vieles unter dem Dach der Signa versammelt: vom Betrieb angejahrter Handelsketten zu jenem von Luxushotels, von Online-Sportartikelgeschäften zu Medienbeteiligungen à la Krone und Kurier. Viele dieser Bereiche liefen alles andere als erfolgreich.

Stufe 2: Werte hochtreiben

Dass bei diesem zusammengekauften Vermögen in vielen Bereichen die Werte hochgeschraubt wurden, gilt mittlerweile als allgemein bekannt. Aber was konkret kann man sich darunter vorstellen? Warum macht man so etwas?

Jedes Jahr ermitteln Experten im Auftrag des Konzerns in Gutachten die aktuellen Marktwerte der Immobilien, die stark zulegten. Zu diesen Bewertungen muss man allerdings einiges wissen: Die solcherart ermittelten Marktwerte fließen zwar in die Konzernbilanzen ein, dürfen für die Gewinnausschüttungen jedoch keine Rolle spielen. In den Buchhaltungssystemen von Ländern wie Österreich und Deutschland ist vielmehr statt dem Marktwert der Anschaffungswert maßgeblich.

Das führt zur Frage: Warum sind die Bewertungen trotzdem derart wichtig? Ein Grund ist, dass sich in der Bilanz die sogenannten stillen Reserven erhöhen, die sehr wohl an den Marktwert des Vermögens gekoppelt sind, erklärt Leonhard Dobusch, Betriebswirtschaftsexperte der Universität Innsbruck. Und noch wichtiger: Mit Verweis auf ebenjene hohen stillen Reserven – und generell den rasant steigenden Wert ihres Portfolios – konnte die Signa immer mehr Banken, Investoren und andere Geldgeber von sich überzeugen. Heißt: Je höher die Bewertungen, desto mehr Geld ließ sich von allerlei Quellen borgen – um damit noch mehr zu kaufen.

Bei der Bewertung vieler Immobilien spielten Mieteinnahmen eine wichtige Rolle. Denn: Mieten entscheiden maßgeblich über Bewertungen. Je höher, desto höher.

Deshalb wurden etwa laut dem deutschen Handelsexperten Gerrit Heinemann nach der Signa-Übernahme der deutschen Handelskette Galeria die Mieten prompt verdoppelt. Bei einem Projekt in München soll die Signa gar überhöhte Angaben über künftige Mieteinnahmen gemacht haben, die nicht zutrafen. Diesbezüglich ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen Signa-Vertreter. Es gilt die Unschuldsvermutung; Benkos Rechtsanwalt nennt den Vorwurf "haltlos".

Stufe 3: Geld rausziehen

Man kann dem System Benko aufgrund all dessen durchaus die Charakteristika einer finanziellen Blase zuschreiben. Aus mehr Käufen folgten höhere Bewertungen und somit mehr geborgtes Geld – woraus wieder mehr Käufe resultierten. Und so weiter und so fort.

Am Ende betrug die Gesamthöhe der Schulden laut der US-Investmentbank JP Morgan 13 Milliarden Euro – und diese Schätzung gilt unter Experten als eher konservativ.

Damit ein derartiges System funktioniert, müssen jedoch Beteiligte profitieren. Unter anderem verdiente eine kleine Armee an Juristen, Notaren, Beratern und sonstigen Akteuren prächtig an der Signa. Allein für Anwaltskosten wendete die Signa Holding etwa noch im Jahr 2022 2,7 Millionen Euro auf. Die Repräsentations- und Verwaltungskosten lagen weit über denen vergleichbarer Unternehmen. Sogar Benko selbst fungierte als Berater seines eigenen Unternehmens – und kassierte dafür Millionen.

Und dann gibt es die Gesellschafter der Signa, hauptsächlich Benko und dessen Großinvestoren. An sie gingen hohe Dividenden. Das führt zur Frage, wie sich effizient Geld aus dem Konzern herausholen lässt. Denn, wie bereits erwähnt: Die hohen Marktwerte von Immobilien dürfen bei Gewinnausschüttungen keine Rolle spielen. Wie lassen sich trotzdem hohe Profite erzielen?

Hier dürfte das intransparente Signa-Geflecht aus rund tausend Gesellschaften zum Tragen kommen. Immer wieder stößt man in der Aufarbeitung der Causa auf rätselhafte Finanz- und Vermögenstransaktionen unter ihnen. Immobilien beispielsweise wurden zwischen diversen Signa- und Benko-Firmen hin- und herverkauft.

Der mutmaßliche Hintergrund: Während der Marktwert selbst keinen bilanziellen Profit bringt, fällt dieser sehr wohl an, wenn Firmen Immobilien verkaufen – selbst wenn die Verkäufe unter Unternehmen desselben wirtschaftlichen Eigentümers erfolgen: Der daraus resultierende Gewinn darf an Gesellschafter ausgeschüttet werden.

DER STANDARD berichtete beispielsweise von einer Causa in Luxemburg 2014 bis 2016: Immobilien wurden von einer Signa-Tochter an eine private Stiftung von Benko verkauft, nur um sie bald danach wieder zurückzukaufen. Nach dem Geschäft schüttete die Benko-Stiftung eine Dividende von ganzen 76 Millionen Euro aus – an die dahinterstehende Familie Benko. Es ist einer dieser Fälle, die Insolvenzverwalter, Behörden und die Öffentlichkeit wohl noch jahrelang beschäftigen werden. Wie auch viele andere im System Signa. (Joseph Gepp, 18.3.2024)