Ein Operator einer FPV-Drohne der ukrainischen Armee.
EPA/OLEG PETRASYUK

Den ukrainischen Streitkräften ist es offenbar gelungen, eine Drohne so umzurüsten, dass sie die letzte Phase des Angriffs autonom durchführen kann. Ein Video soll einen erfolgreichen Angriff auf einen russischen Kampfpanzer beweisen.

Zum Einsatz kam eine sogenannte First-Person-View-Drohne. Diese werden vom Operator üblicherweise mit einer Art Gamecontroller gesteuert. Das Bild der Kamera des Fluggeräts wird an ein Headset übertragen. Gegenüber den herkömmlichen Steuerungsvarianten über ein Smartphone-Display sind dank der Egoperspektive deutlich präzisere Flugmanöver möglich. Im zivilen Bereich werden derartige Drohnen deshalb vor allem in Rennen eingesetzt.

Im Ukrainekrieg sind sie jedoch gefürchtete Waffen, da passive Abwehrmaßnahmen wie Netze oder Käfige kaum Schutz bieten. Sie können schließlich von einem geschickten Piloten einfach umflogen werden. Als effektives Mittel gegen einen derartigen Drohnenangriff hat sich aber die Störung des Funksignals erwiesen, denn reißt die Verbindung ab, ist der Operator blind und die Drohne unkontrollierbar.

Kein Pilot mehr nötig

Für genau dieses Problem wollen die ukrainischen Streitkräfte nun eine Lösung gefunden haben und gehen dabei einen ungewöhnlichen Weg. Sie versuchen nicht die Drohnensignale gegen russische Störversuche abzuschirmen. Stattdessen kann die Drohne auf den letzten Metern selbstständig angreifen, einen Operator braucht es dazu nicht mehr, somit ist auch eine aktive Funkverbindung zur Heimatbasis nicht mehr nötig.

FPV-дрон з автоматичним наведенням
Мілітарний - відео

Dass diese Technologie nun erfolgreich eingesetzt wurde, berichtet der ukrainische Aktivist und Freiwillige Serhij Sternenko. Sternenko hat schon in der Vergangenheit immer wieder Mittel für das Drohnenprogramm der ukrainischen Armee beschafft. Am Mittwoch veröffentlichte er ein Video, das von Soldaten der 60. und 63. mechanisierten Brigade stammt. Das Material zeigt, wie das Leitsystem der Drohne ein Ziel, einen russischen Kampfpanzer, zuerst präzise anvisiert. Dann jedoch reißt das Bild ab, und der Operator sieht nur noch weißes Rauschen, weil die russischen Streitkräfte mit Mitteln der elektronischen Kriegsführung das Signal unterbrochen haben. Aber: Trotz des Jammings setzt die Drohne ihre Mission autonom fort, greift das Zeil an und erzielt einen erfolgreichen Treffer.

Sternenko wies aber darauf hin, dass die autonomen Drohnen trotz des ersten erfolgreichen Einsatzes noch großen Optimierungsbedarf haben. Deshalb hat der Aktivist eine Spendenkampagne ins Leben gerufen, mit deren Hilfe er 50 Millionen Hrywnja (etwa 1,18 Millionen Euro) sammeln möchte. Damit soll nicht nur die Technologie der autonomen Kamikazedrohnen weiterentwickelt werden, mit dem Geld soll auch der Ankauf von mehr als 1.300 Drohnen für den Einsatz bei Tag und Nacht finanziert werden. Scheinbar ist die neue Technologie der Ukrainer von der Bauform der Drohne unabhängig, wie "Militarnyi" berichtet. Somit können rotorbetriebene Quadcopter genauso zur autonomen Munition gemacht werden wie propellergetriebene Varianten.

Die Ukraine arbeitet schon länger an einer Methode, um die eigenen Drohnen gegen russische Störsignale immun zu machen. So wurde Ende des Vorjahres die "Backfire" vorgestellt. Dabei handelt es sich um eine Drohne, die zwei Zwei-Kilo-Bomben ins Ziel befördern und zur Bedienmannschaft zurückkehren kann. Laut Angaben der ukrainischen Streitkräfte soll das propellergetriebene Fluggerät immun gegen Störversuche der russischen Armee sein. Auf russischer Seite wird unter anderem das Pole-21E-System eingesetzt, das die Signale der Satellitennavigationssysteme GPS, Glonass, Galileo und Beidou stören kann.

Der Wettlauf um autonome Drohnen

Die Ukraine und Russland befinden sich in einem Wettlauf um die bessere Drohnentechnologie. Die Zeit drängt für die Ukraine jedenfalls, denn laut Sternenko dürften die russischen Streitkräfte ebenfalls seit gut einem Monat eine ähnliche Technologie für teilautonome Drohnen testen. Laut dem Institute for the Study of War setzt die russische Armee bereits seit Anfang Jänner Drohnen mit autonomen Fähigkeiten ein. Derartige Drohnen sind weniger von ihren menschlichen Piloten abhängig und werden nicht durch elektronische Kriegsführung beeinträchtigt, heißt es da.

Russland setzt auf zehn Kilometer lange Drähte

Die russische Armee wurde etwa dabei beobachtet, wie sie die Drohnen ihrerseits mit einer simplen Maßnahme gegen Störversuche immun machte: mit einem Kabel. Anfang März wurde an einem nicht näher benannten Ort in der Ukraine eine ungewöhnliche Drohne gefunden, die offenbar abgestürzt, aber noch weitgehend intakt war. Deren schlichte Konstruktionsweise war für die Ukrainer schon überraschend: Die einzelnen elektronischen Komponenten lagen frei, der Gefechtskopf wurde mit Klebeband befestigt. Noch mehr verwunderte den ukrainischen Militärexpertin Serhij Flesh von der Drohneneinheit Birds of Magyar aber die an der Drohne montierte Drahtspule.

"Wir sahen etwas, was wir noch nie zuvor gesehen hatten. Eine russische FPV-Drohne flog auf ein Ziel mit einer zehn Kilometer langen Spule aus dünnem Glasfaserkabel zu. Das Kabel wurde in der Luft abgerollt. Wir sehen eine neue Technologie zur Steuerung von FPV-Drohnen", erklärt Flesh. Der Vorteil: Eine solche Drohne kann immer gestochen scharfe Bilder liefern und ist gegen Störversuche nahezu immun. Auch die Ukraine habe den Einsatz von Kabeln an ihren Drohnen schon in Erwägung gezogen, die Idee wurde aber wieder verworfen, weil man befürchtete, die Kabel könnten im Sturzflug auf den letzten Metern des Angriffs reißen, so der Drohnenspezialist.

Kabelsteuerung ist in der Welt der Militärtechnik nicht neu. Viele Panzerabwehrlenkwaffen wie die TOW des M2 Bradley oder die israelische Spike nutzen einen Draht für Lenksignale. Dessen Einsatz in Drohnen ist aber eine Premiere, genauso wie autonom attackierende Kamikazefluggeräte. (Peter Zellinger, 21.3.2024)