Wolfgang Schüssel
"Die Marke ist toxisch", urteilt Altkanzler Wolfgang Schüssel über die KPÖ.
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Ein historischer Kompromiss wird das wohl nicht mehr. Im Italien der 1970er-Jahre versuchte der damalige KP-Chef Enrico Berlinguer (er gilt als Eurokommunist, weil er sich früh vom Stalinismus lossagte) gemeinsam mit der Democrazia Cristiana (federführend Aldo Moro, der später von den roten Brigaden ermordet wurde) eine breitest aufgestellte parlamentarische Zusammenarbeit. Ziel des "compromesso storico" war es, autoritären Tendenzen entgegenzutreten und Italien wirtschaftlich wie politisch zu reformieren. Die italienischen Kommunisten bildeten damals die größte kommunistische Partei Europas und dementsprechend einflussreich – im Gegensatz zur KPÖ heute.

Umso mehr wundert es nun, dass in Österreich ehemalige, aber auch aktive Spitzenpolitikerinnen und -politiker der ÖVP wie der frühere Parteichef und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel oder Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner mit einer scharfen Kante und Ansage gegen die KPÖ aufhorchen lassen. Es wundert auch, weil die Kommunisten in Österreich weit davon entfernt sind, eine zentrale politische Rolle im Bund zu übernehmen. Drei bis vier Prozent werden der KPÖ bei der kommenden Nationalratswahl zugetraut. Allerdings sind es Prozentpunkte, die anderen Parteien fehlen. Und damit komme ich zu einem wichtigen Aspekt, der eine Erklärung für die scharfe Kritik der ÖVP an der KPÖ sein könnte.

Post-Kurz'sche Phase

SPÖ-Chef Andreas Babler hat eines mit Sicherheit erreicht: Er hat klassische sozialdemokratische und sogenannte linke Themen (leistbares Leben, Sozialstaat, Gleichberechtigung, Solidarität) wieder erfolgreich besetzt. Gleichzeitig hat er aber damit auch das Feld für andere Mitbewerber geöffnet: Dominik Wlazny mit seiner Bierpartei ist dafür ein Beispiel (sein Antreten bei der Nationalratswahl ist noch nicht sicher), und auch die KPÖ profitiert davon. Besonders in den Städten, die außerhalb Wiens keine Horte des sozialen Wohnbaus sind.

Auf der anderen Seite sehen wir nun die ÖVP, die sich in ihrer post-Kurz'schen Phase befindet. Für Parteichef Karl Nehammer ist es nach wie vor schwer, das türkise Erbe abzustreifen. Vor allem, weil sich die ÖVP bei den Wählerinnen und Wählern um das gleiche Segment wie die FPÖ matcht. Nach wie vor blitzen türkise Ansätze durch, etwa bei der Migrationspolitik. Zugleich versucht man sich als Partei der Mitte zu positionieren. Ein Spagat, der fast unmöglich und auch nicht sehr glaubwürdig erscheint.

"Vor allem christlich-soziale Wählerinnen und Wähler nehmen der ÖVP ihre Kurz-Zeit und ihren großen Schritt nach rechts inklusive der Koalition mit der FPÖ übel."

Klar ist: Die ÖVP will wieder in die nächste Regierung. Klar ist auch, dass die FPÖ unter Herbert Kickl kein Koalitionspartner ist. Vor allem christlich-soziale Wählerinnen und Wähler nehmen der ÖVP ihre Kurz-Zeit und ihren großen Schritt nach rechts inklusive der Koalition mit der FPÖ übel. Zusätzlich hört man auch von verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern der ÖVP immer mehr eine Präferenz für eine neue (alte) große Koalition. Nur ist das Problem dabei, dass sowohl ÖVP und SPÖ in den Umfragen gemeinsam nicht über 50 Prozent kommen.

Ein Grund dafür ist auch das bereits hier an früherer Stelle erwähnte Erscheinen linker Parteien in der österreichischen Politlandschaft. Diese nehmen – wenn auch nur mit wenigen Prozentpunkten – der SPÖ die entscheidenden Stimmen weg, die sie für eine Koalition mit der ÖVP braucht. Das ist nicht ganz ohne Ironie: Die ÖVP braucht für eine kommende große Koalition eine starke SPÖ. Offenbar rechnet man schon selbst realistischerweise bei der kommenden Nationalratswahl mit Platz drei – hinter FPÖ und SPÖ.

SPÖ stärken

Was ist die Conclusio? Warum greift die ÖVP die KPÖ so stark an? Nun: weil diese potenzielle Wählerinnen und Wähler von der SPÖ abziehen könnte beziehungsweise auch wird. Wenn eine Fragmentierung der Parteienlandschaft stattfindet, ist nicht nur die große Koalition keine Option mehr – auch die künftige Regierungsbildung wird um vieles schwieriger, Mehrheiten zwischen mehreren mittelgroßen und kleinen Parteien zu finden ist weitaus aufwendiger als eine Zweierkoalition. Ganz zu schweigen davon, dass auch eine Koalition von mehr als zwei Parteien politisch weitaus schwerfälliger agieren kann. Damit würde das Land auch nicht den notwendigen Impuls bekommen, dem es spätestens seit Ibiza hinterherläuft. Politische Prozesse und U-Ausschüsse sind eher an der Tagesordnung als Reformagenden und deren Umsetzung.

Daher tritt die paradoxe Situation ein, dass ÖVP-Spitzenpolitikerinnen und -politiker der KPÖ eine Aufmerksamkeit schenken, die niemand für möglich gehalten hätte. Einziger Zweck ist dabei: die SPÖ zu stärken, um als ÖVP weiter im Rahmen einer großen Koalition in der Regierung zu bleiben. Das kommt Teilen der SPÖ sicher nicht unrecht, da auch hier einige Vertreterinnen und Vertreter eine große Koalition befürworten. Dennoch: Es ist kein historischer Kompromiss, eher ein fauler Kompromiss mit schalem Beigeschmack. (Nina Hoppe, 23.3.2024)