Es schaut auf den ersten Blick wilder aus, als es dann wirklich ist, an diesem Dienstagvormittag. Von den vier Flaschen Wein auf dem Tisch sind drei Weine alkoholfrei – und die Flasche mit dem Spaß drinnen ist noch zu. Dennoch geht es ernst zur Sache. Obwohl wir nur zu dritt am Tisch sitzen, brauchen wir inzwischen 13 Gläser – und in den meisten ist nur mehr ein Noagerl Wein. Die drei offenen Flaschen sind schon fast leer.

Die vierte Flasche, die mit dem Spaß, ist ein In Signo Leonis. Der rote Cu­vée ist der Vorzeigewein des Weinguts Bayer in Neckenmarkt und hat schon manchen Preis gewonnen. Aus diesem Wein wurde der Leonis Blend gemacht, der alkoholfreie Rote, der schon in den Gläsern ist und 2020 von Wein Pur zum besten alkoholfreien Wein in Österreich und Deutschland gekürt wurde – aber der Reihe nach. Ich fange schon wieder am verkehrten Ende an.

Ein Paar beim Verkosten von Wein. Am Tisch stehe viele Gläser und Flaschen.
Patrick Bayer und Katja Bernegger sind überzeugt davon, dass die Flexitrinker ausgewählte alkoholfreie Weine schätzen können.
Guido Gluschitsch

Schon wieder deshalb, weil mich das Navi auf die Hinterseite der Weinkellerei lotste und ich mir so gleich zu Beginn eine geheime Kellerführung verschaffte.

"Wir haben keine Geheimnisse", kalmiert Patrick Bayer den Auftritt von der falschen Seite. Sie haben aber auch keine Antwort darauf, warum manche Navigationsgeräte die Gäste zum Hintereingang schicken. Dennoch ist das, was nun folgt, viel ungewöhnlicher als der verkehrte Auftritt. Vielleicht sogar umso mehr, wenn man schon einmal alkoholfreien Wein getrunken hat.

Alter Wettex im Abgang

Wer noch nie alkoholfreien Wein getrunken hat, würde vermutlich vorab meinen, es handle sich dabei um überteuerten Traubensaft. Wer schon einmal alkoholfreien Wein getrunken hat – inzwischen wird er ja bereits in vielen Supermärkten angeboten –, weiß, dass Traubensaft nie so grauslich schmecken kann wie alkoholfreie Weine. Die Mischung aus süß und muffig und den Abgang von altem Wettex halten Skeptiker für entscheidende Gründe, warum alkoholfreier Wein im Gegensatz zu alkoholfreiem Bier noch nicht so akzeptiert ist.

Während Patrick Bayer den Zeronimo Leonis Blend ins Glas gießt, ist ja eh noch alles gut. Daran riechen bringt auch noch keinen um. Und da ist das erste "Öha". Die tiefrote Flüssigkeit riecht verdammt nach Wein. Nicht zu kosten geht in dem Fall nicht, also Augen zu und ...

Der erwartbare Tofuvergleich

Ein wenig den Wein schlürfen, so wie man es von der Oma gelernt hat, linke Backe, rechte Backe, schlucken. Boah! Während der Skeptiker jetzt logischerweise sagt: "Das ist aber von Wein weiter weg als panierter Tofu von einem Wiener Schnitzel", muss der Weinkenner in mir, der ohne große Mühe auch blind einen Roten von einem Weißen unterscheiden kann, zugeben: "Wenn man mir den in einer Rotweinverkostung unterschummelt, gewinnt er sicher nicht. Aber ob ich den sofort als alkoholfrei rauskennen und aussortieren würde, möchte ich nicht wetten."

Dabei gehe ich das schon wieder vom falschen Ende an, wie mir Winzer Patrick Bayer erklärt, auch wenn ihn meine Überraschung sichtlich freut: "Wir wollen nicht schwarz und weiß denken", sagt er. Was so viel heißt wie: Er will den alkoholfreien Wein weder am Traubensaft noch am konventionellen Wein messen. "Der alkoholfreie Wein ist nicht gekommen, um den herkömmlichen Wein abzulösen", ist er überzeugt. Er denkt vielmehr an ein Nebeneinander. "Beim alkoholfreien Bier ist es ja auch keine Entweder-oder-Entscheidung." Er ist vielmehr eine Option für Menschen, die nicht mehr jeden Abend Alkohol trinken, aber auch nicht auf das Erlebnis verzichten wollen.

Der Saft als zweite Mahlzeit

"Wir haben uns mit dem Thema zu beschäftigen begonnen, als Katja schwanger war", erinnert sich Patrick Bayer. Seine Partnerin Katja Bernegger hat damals zum Essen oft Fruchtsäfte getrunken. "Das war ja ganz lieb und nett", sagt sie, "hat aber zwei Mankos. Weil der Saft erstens nicht aufs Essen abgestimmt ist, ist er viel zu süß." Und zweitens hat sie so zum Menü quasi gleich ein zweites in Form der Säfte zu sich genommen, weil die Säfte so viele Kalorien haben.

Katja trinkt immer noch keinen Alkohol, sieht ihre Zukunft aber als Flexitrinkerin. Und in solchen sehen die beiden auch die Zukunft ihrer alkoholfreien Weine. Neben dem Rotwein bieten sie auch einen weißen Schaumwein, den Zeronimo Sparkling Select, an, der mindestens so eine Überraschung ist.

Den besten Wein entalkoholisieren

"Wir sind das Thema von einer ganz neuen Seite angegangen", erinnern sich die beiden. "Wir wollten etwas Hochwertiges schaffen und mussten daher die besten Grundweine verwenden." Andere Hersteller haben bisher vielmehr einen Basiswein verwendet, um ihm den Alkohol zu entziehen. Das belegt Patrick Bayer mit einer einfachen Rechnung. "Bis jetzt war alkoholfreier Wein bei Preisen so rund um die zehn Euro angesiedelt." Wenn man sich ausrechnet, dass zu den Herstellungskosten der Weinproduktion auch noch die des Alkoholentzugs kommen, könne man sich ausrechnen, wie teuer der Grundwein war.

Das Weingut Bayer lässt seinen Weinen den Alkohol in Deutschland durch Vakuumdestillation entziehen. Die noch größere Aufgabe ist es aber, die Aromen, die im Geschmacksträger Alkohol gebunden sind, wieder in den Wein zu bekommen. Dafür wenden sie die Harzmethode an. Dabei wird der Alkohol samt dem Geschmack auf ein Harz aufgetragen, verdunstet und dann wieder aus dem Harz gelöst und zurück in den Wein gegeben.

Dennoch bleibt: "Ein alkoholfreier Wein ist ein nackter Wein", sagt Patrick Bayer. "Wir schaffen es, mit ganz wenig Zucker zu arbeiten", um so die Komplexität des Weins zu erhalten. Der alkoholfreie Wein soll ja auch ein guter Speisenbegleiter mit viel Charakteristik, aber wenigen Kalorien sein. Und die gehobene Gastronomie könnte eine gute Abnehmerin solcher Spitzenweine sein.

Patrick Bayer und Katja Bernegger in ihrem Weinkeller.
"Wir haben unseren besten Wein zum Entalkoholisieren genommen. Denn wenn es mit dem besten Wein nicht funktioniert, dann geht es eben gar nicht", haben Patrick Bayer und Katja Bernegger beschlossen. Aber es hat funktioniert, und der Absatz auf dem Hof steigt.
Guido Gluschitsch

"Wenn ich ein fünfgängiges Menü mit Weinbegleitung esse, habe ich am Ende fast eine Flasche Wein intus", sagt Patrick Bayer, der nach einem guten Essen lieber leicht und beschwingt als angetrunken ein Lokal verlassen möchte. Darum wäre die Idee, zu einzelnen Gängen eben einen alkoholfreien Wein alternativ zu einem konventionellen Wein zu servieren.

Dass die beiden auf dem richtigen Weg sind, belege auch die Statistik, sagt Katja Bernegger. "Vor 30 Jahren hatten wir in Österreich einen Pro-Kopf-Verbrauch an Alkohol von 30 Litern – jetzt ist es nur mehr die Hälfte." Weniger Alkohol zu sich nehmen, aber trotzdem den Charme des Weintrinkens genießen, das geht eben hervorragend mit ihrem Zeronimo Leonis Blend. Weil das Gepflegte bei einem Achterl Wein macht schon auch was aus. Aber nicht nur.

Besser riechen als schmecken

"Das Glas ist ganz wichtig, weil dieser Wein so ein feingliedriges Produkt ist" – was jetzt endlich die Fülle an Gläsern auf dem Tisch erklärt. Weil so vollmundige Aussagen müssen auch geprüft werden. Und ein paar Gläser brauchten wir, weil wir auch noch einen Zeronimo Leonis Blend probieren, der schon ein paar Tage offen ist – und keinen Makel hat.

"Die Nase ist viel wichtiger als der Gaumen, wenn es um den Geschmack geht", immerhin könne man mit der Nase mehr als 30.000 Komponenten wahrnehmen, mit dem Gaumen nur fünf Geschmacksrichtungen. Was uns wieder dazu bringt, dass das Weingut Bayer mit wenig Zucker arbeitet. Kippe man zu viel Zucker hinein – manche versuchen damit den billigen Grundwein zu kaschieren –, "gibt es irgendwann keinen Unterschied zwischen einem Riesling und einem Chardonnay mehr. Weil dann alle nach Litschi und Mango schmecken." Dabei wollen Bayer und Bernegger in die andere Richtung gehen und sogar Jahrgangsunterschiede bei ihren alkoholfreien Weinen zustande kommen lassen.

Ein stiller Weißer

Inzwischen hat das Weingut Bayer den zweiten Jahrgang alkoholfreien Wein gemacht – und insgesamt rund 20.000 Liter davon produziert. "Bei uns ist jetzt jede dritte Flasche auf dem Weingut alkoholfrei", sagt Patrick Bayer. Künftig könnten es sogar noch mehr werden. "Wenn alles nach unseren Vorstellungen geht, wollen wir das Segment um einen stillen Weißwein und einen preisgünstigeren Rotwein erweitern." Und wenn das gelingt – "heuer noch auf bis zu 50.000 Liter kommen".

Mut mache, dass sich in den vergangenen Monaten die Menge an verkauften alkoholfreien Weinen vervierfacht habe. Und das, obwohl – die preisgünstigere Rotweinoption legte es schon nahe – der Zeronimo Leonis Blend nicht ganz billig ist. 36 Euro kostet eine Flasche. Der In Signo Leonis, also der Grundwein mit Alkohol, kostet 42 Euro. Der Zeronimo Sparkling Select kostet 21,40 Euro. Der konventionelle Wein finanziert also den alkoholfreien noch zum Teil mit. Aber auch das schaut auf den ersten Blick wohl wilder aus, als es dann in Wirklichkeit ist. (Guido Gluschitsch, 5.4.2024)