In der breiten Öffentlichkeit hat sich alkoholfreier Wein noch nicht durchgesetzt.
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Ende des Jahres hadern viele von uns mit Genuss und Verzicht. Auf vielen Festen verfällt man leicht der Völlerei. Ob Martini, Weihnachten oder Silvester, neben deftigem Essen flankieren Sekt und Champagner, Cocktails, Punsch und Wein die hedonistischste Zeit des Jahres. Dann folgt die Jammerei, dann der Jänner, in dem man entweder dem Fleisch komplett abschwört ("Veganuary", Kofferwort aus vegan und Jänner) oder alkoholisch völlig abstinent bleibt ("Dry January", trockener Jänner). Damit will man wieder wettmachen, was vorher zu viel des Guten gewesen ist.

Weniger oder gar keinen Alkohol zu trinken ist aber nicht mehr auf die ersten Wochen des Jahres oder die Fastenzeit beschränkt. Vor allem die Jugend konsumiert weniger Alkohol als die Generationen vor ihnen. Die sogenannte Gen Z – das sind die heute Zwölfjährigen bis jene Ende zwanzig, schwört laut Umfragen aus Deutschland dem Alkohol mittlerweile immer öfter ab: Gaben im Jahr 2004 noch 21 Prozent der 12- bis 17-Jährigen an, mindestens einmal pro Woche Alkohol zu trinken, waren es 2021 nur knapp neun Prozent. Bei den 18- bis 25-Jährigen ging die Zahl ebenfalls von 44 auf 32 Prozent im selben Zeitraum zurück. Ähnliche Zahlen gibt es aus Großbritannien. Ein weiterer Trend in dem Zusammenhang sind Getränke mit wenig oder keinem Alkohol als Lifestyle-Produkt. In geselligen Runden will man doch anstoßen oder nicht immer nur an einer Dose Cola nippen. Alkoholfreier Wein ist dementsprechend eine ideale Alternative für junge Menschen.

Diesen Trend merkt auch Roman Proschinger. Er führt die Vinothek Vinumis im dritten Bezirk in Wien. Er hat sich dem Verkauf von alkoholfreiem Wein verschrieben. Zu seiner Kundschaft zählen immer häufiger junge Menschen, wie er sagt. Ansonsten trudeln Schwangere, Pensionisten und Allergiker in sein kleines Geschäft am Rennweg gegenüber des Belvedere. Der gelernte Landwirt arbeitet hauptberuflich als Feuerwehrmann und übernahm die Weinhandlung vor zwei Jahren von einem Freund. Vier selbstproduzierte alkoholfreie Weine bietet er an, zusätzlich zu einem umfassenden Sortiment an alkoholfreien Weiß- und Rotweinen, Rosés sowie Sekt, die man alle vor Ort verkosten kann.

Die Winzer springen auf

In der breiten Öffentlichkeit hat sich alkoholfreier Wein noch nicht durchgesetzt. Vergleiche mit dem großen Bruder alkoholfreies Bier werden gerne gezogen. Das hat aber auch 20 Jahre Vorsprung. Sekt ohne Alkohol wird eher angenommen. Der Sprudel im Sekt kaschiert die aromatischen Mängel des Getränks, dem der Alkohol entzogen wurde. Der Wein ohne muss sich dagegen noch beweisen. Doch es gibt in Österreich bereits einige Winzerinnen, die alkoholfreien Wein produzieren. Patrick Bayer vom burgenländischen Weingut Heribert Bayer vertreibt unter dem Label Zeronimo seit dem Sommer eine Rotwein-Cuvée mit Barrique-Noten. Im September brachte das Wiener Weingut Mayer am Pfarrplatz seine erste alkoholfreie Version des Wiener Gemischten Satzes auf den Markt. Als Traditionsunternehmen durchaus ein ungewöhnlicher Schritt. Man gilt als erstes großes Weingut in Österreich, das sich in antialkoholische Gefilde vorwagt. "Das ist der Zeitgeist", sagt Winzer Gerhard Lobner von Mayer am Pfarrplatz. Zwei Monate nach der Lancierung des ersten Produkts plane man bereits weitere Weinsorten "mit ohne Alkohol". Der Verkauf sei gut angelaufen, der Megatrend sei das aber noch nicht, sagt er. "Aber das wird noch", ist sich Lobinger sicher. Genaue Verkaufszahlen zum alkoholfreien Wein in Österreich gibt es nicht. In Deutschland, wo alkoholfreier Wein bereits etablierter ist, beträgt der Markteinteil zumindest ein Prozent des Weinmarktes.

Apropos: In Deutschland findet die Entalkoholisierung der österreichischen Weine statt. Auch jener von Mayer am Pfarrplatz. Denn nur dort gibt es die komplexen Maschinen für die Vakuumdestillation. Bei dieser Technik der Entalkoholisierung – korrekterweise müsste man bei alkoholfreiem Wein nämlich von entalkoholisiertem Wein sprechen – wird fertiger Wein im Vakuum auf knapp 30 Grad erhitzt und der Alkohol zum Sieden und Verdampfen gebracht. Am Ende verbleibt ein Alkoholgehalt von unter 0,5 Volumprozent und darf in Österreich als alkoholfrei bezeichnet werden. Reife Früchte oder Säfte beinhalten teilweise mehr Alkohol. Durch immer modernere und schonendere Technologien können Aromen im Wein behalten oder aufgefangen und zurückgeführt werden, um den typischen Weingeschmack so gut wie möglich zu erhalten. Aber natürlich geht immer etwas davon verloren.

Nicht wie Wein

"Man darf sich nicht vorstellen, dass alkoholfreier Wein nach Wein schmeckt", sagt Proschinger. Das sei der größte Fehler, wenn man zum ersten Mal alkoholfreien Wein probiert. "Man nimmt dem Wein den Geschmacksträger weg", sagt der Weinhändler. "Es ist so, als würde man ohne Butter und Öl kochen", erklärt er, warum der Wein nicht nach Wein schmeckt.

Das ist auch ein Grund, warum Friederike Duhme keinen alkoholfreien Wein in ihrem Restaurant ausschenkt. Der Sommelière fehlt der runde, komplexe Geschmack, sie vermisst den Körper und die Länge, die einen guten Wein ausmachen. "Man kann keinen alkoholfreien Wein herstellen, der ansatzweise der Qualität eines guten Weines entspricht", sagt die Weinexpertin. Duhme arbeitet im nineOfive Vienna, einer auf Wein spezialisierten Pizzeria im vierten Bezirk, war früher im COP tätig und ist Teil des Female Wine Collectives, einer Gruppe, die Frauen in der Weinszene sichtbarer machen will. Duhme ist auch der starke Eingriff in den Wein ein Dorn im Auge. "Auf dem Qualitätsniveau, auf dem ich arbeite, bieten wir nur Weine an, in die kaum eingegriffen wurde", sagt sie.

Klar, sagt Duhme, sei ihr Blickwinkel jener einer Sommelière, die sich leidenschaftlich mit Wein beschäftigt. "Wir sind Freaks." Sie sei gar nicht die Zielgruppe für entalkoholisierten Wein. "Wenn man erst gar nicht diesen enormen Anspruch an einen Wein hat, dann kann alkoholfreier durchaus megatoll sein." Sie kann sich vorstellen, dass in den nächsten Jahren die Technologien weiter verfeinert und die Weine noch besser schmecken werden. Ganz abgeneigt ist sie dem alkoholfreien Wein nicht. Derweil würde sie aber keinen ausschenken.

Anders sieht es Lobinger von Mayer am Pfarrplatz. Sommeliers würden sich dafür interessieren, seinen Wein in die alkoholfreie Getränkebegleitung aufzunehmen. "Bei neun Gängen gehen dir irgendwann die Ideen aus, was du noch zum Trinken anbieten sollst." Für ihn ist der alkoholfreie Wein vor allem ein Kompromiss für jene, die keinen Alkohol trinken dürfen, aber Lust auf Wein haben.

Zum Spritzen da

Poschinger kritisiert die Gastronomie. Nur selten stehe alkoholfreier Wein auf der Karte. Das sei ein Grund, warum sich die entalkoholisierte Variante noch nicht breiter durchgesetzt hat.

In seiner Vinothek verkauft Proschinger immerhin rund tausend Flaschen alkoholfreien Wein im Monat, Tendenz steigend. Zwischen zehn und 35 Euro liegt der Preis je nach Sorte. Spritzen darf man den alkoholfreien Wein natürlich auch. "Das ist kein Sakrileg", wie er sagt. "Es ist auch kein gutes Zeichen für den Wein", sagt dagegen die Sommelière zu der Aussage. Als Getränke mit wenig oder keinem Alkohol empfiehlt Duhme statt Wein eher alkoholfreie Sekte oder trendige Drinks aus fermentiertem Tee und Kombucha.

Proschinger schenkt in seiner Vinothek aus und lässt probieren. Der alkoholfreie Weißwein schmeckt nicht nach Saft, laienhaft ausgedrückt, erinnert er eher an milden Essig, mit fruchtigen Noten und je nach Sorte mehr oder weniger Süße. Ein getesteter Rotwein erinnert an eine verwässerte Version. Beim Rotwein zum Beispiel fehle die Breite im Gaumen, sagt der Weinhändler, oder der Abgang, von dem Weinkenner so gerne sprechen. Er ist sich der geschmacklichen Makel durchaus bewusst. Er schnüffelt am Glas wie beim richtigen Wein. Gewohnheit, sagt er. Schlieren hinterlässt der Wein am Glas keine, aber man kann erschnuppern, dass es sich um Zweigelt handelt. Das Riechen gehöre zur Kultur des Weintrinkens, sagt Proschinger. Warum also nicht auch zum alkoholfreien Wein? (RONDO, Kevin Recher, 25.11.2023)