Drei Senioren sitzen auf einer Bank im Park, mit dem Rücken zum Betrachter
Mit dem Alter wird man tendenziell wählerischer: Man überlegt sich genau, welche Beziehung einem wirklich guttut. Deshalb haben ältere Menschen weniger Kontakte – aber die sind besser.
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Wir werden alle älter – und irgendwann alt. Auch wenn wir nicht gern darüber sprechen. In jungen Jahren verdrängt man das Nachdenken darüber noch auf einen unbestimmten Tag X. Doch spätestens, wenn die eigenen Eltern zunehmend betagt werden, kommen Fragen auf, von denen klar ist, dass sie irgendwann auch einen selbst betreffen.

Genau mit solchen Fragen beschäftigt sich Christina Ristl. In der Abteilung für Psychologie des Alterns der Universität Wien forscht sie zu Altersbildern und ihren Folgen für Psyche und Gesundheit. Im STANDARD-Interview erklärt sie, warum Menschen, die ein schlechtes Bild vom Altern haben, auch schlechter alt werden und wieso Ältere generell nicht einsamer sind als die junge Generation.

STANDARD: Die Gesellschaft wird älter, das beobachten wir schon seit Jahrzehnten. Die Gruppe der Alten wird dabei immer diverser. Wie kann es sein, dass trotzdem ein negatives Bild des Alters vorherrscht?

Ristl: Das liegt daran, dass Altersbilder dimensionsspezifisch sind, sie hängen von dem Thema ab, das betrachtet wird. Wir haben eines zur Gesundheit, eines zur Pflege, eines zur sozialen Teilhabe von älteren Menschen. Diese Bilder sind unabhängig voneinander und können sich sogar widersprechen. Und je nachdem, worum es gerade geht, werden in den Medien gewisse Altersbilder getriggert.

Eine gut untermauerte Theorie besagt, dass man schon sehr früh mit Altersbildern konfrontiert wird. Wir merken, wie Gesellschaft und Familie darüber sprechen, das festigt sich im Unterbewussten. Und solange wir uns selbst nicht als alt definieren, müssen wir uns nicht gegen negative Altersbilder "wehren". Was gegen diese helfen kann, ist der Generationenaustausch. Die Realität hilft uns zu erkennen, dass Stereotype nicht stimmen.

STANDARD: Einsamkeit ist zum Beispiel ein Thema, das oft mit dem Alter verbunden wird ...

Ristl: Der Anteil der Personen, die sich manchmal bis häufig einsam fühlen, liegt bei Älteren bei circa zehn Prozent. Das ist aber nicht mehr als in der Gruppe der bis 25-Jährigen. Wir müssen hier zwei Formen von Einsamkeit unterscheiden. Es gibt die erlebte Einsamkeit, wenn wir von Menschen umgeben sind, uns aber trotzdem allein fühlen. Diese Einsamkeit tritt gleich häufig über die gesamte Lebensspanne auf. Und es gibt die soziale Isolation, wo wir tatsächlich wenig Kontakt mit anderen Menschen haben.

Hier kann man von außen viel steuern, etwa über die Gestaltung von Infrastruktur, damit ältere Menschen an der Gesellschaft teilhaben können. Mit barrierefreien Wohnungen etwa, Zugängen zu Arztpraxen und Lebensmittelgeschäften, beim Thema Freizeitgestaltung.

STANDARD: Aber es ist doch so, dass ältere Menschen weniger Sozialkontakte haben.

Ristl: Ja, aber das liegt daran, dass man mit dem Älterwerden Freunde aussortiert, das zeigen auch die Daten. Man will Freundschaften pflegen, die einem etwas zurückgeben, wo man zur Generativität, also zur Gestaltung und Bildung nachfolgender Generationen, beitragen kann. Aus wissenschaftlicher Perspektive geht man davon aus, dass mit zunehmendem Alter die Zufriedenheitswerte bezüglich Beziehungen steigen, obwohl ihre Anzahl abnimmt. Das ist ein interessantes Paradoxon.

Je nachdem, wie unsere Altersbilder aussehen, können sie auch das Einsamkeitsgefühl triggern. Personen, die glauben, Alter gehe mit Einsamkeit einher, werden tatsächlich mit größerer Wahrscheinlichkeit einsamer sein. Das ist wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. Deswegen ist es so wichtig, dass man bei Berichten über Einsamkeit im Alter immer wieder dazusagt, dass sie nichts mit dem Alter an sich zu tun hat.

STANDARD: Ältere Menschen, heißt es oft, würden sich für die Themen der Jüngeren nicht interessieren, Klima und Umwelt etwa. Stimmt das?

Ristl: Nein, gar nicht, Generativität ist ein wichtiger Teil des Älterwerdens. Wenn ältere Menschen darüber nachdenken, was sie folgenden Generationen weitergeben und von sich selbst hinterlassen wollen, dann sind sie sehr wohl bereit, sich für das Klima zu engagieren, und sorgen sich um die jüngere Generation. Fragt man sie nach ihren Ängsten, kommt sehr schnell die Sorge um andere Menschen. Menschen, die ein Interesse an Generativität zeigen, haben meistens auch ein gutes soziales Umfeld. Und soziale Beziehungen sind ein genauso wichtiger Bestimmungsfaktor für Gesundheit wie Rauchen oder Übergewicht.

STANDARD: Die späteren Lebensjahre werden in verschiedenen Kulturen ethisch sehr unterschiedlich bewertet, das zeigt etwa das "Moral Machine Experiment". Dabei sollten Teilnehmende entscheiden, ob ein selbstfahrendes Auto in einer Gefahrensituation eher einen jungen oder einen alten Menschen als Kollateralschaden in Kauf nehmen soll. Im asiatischen Raum tendierten die Befragten eher zur jungen, im europäischen zur alten Person.

Ristl: Diese internationalen Unterschiede wurden in mehreren Studien untersucht, zum Beispiel in der VW-Studie "Altern als Zukunft". Man geht oft davon aus, dass der asiatische Raum besser über ältere Menschen denkt, das stimmt aber nicht. Vor einigen Jahren hat ein japanischer Yale-Professor vorgeschlagen, dass ältere Menschen den "Seppuku" begehen, also einen Ehrensuizid, um der demografischen Alterung entgegenzuwirken.

Generell kann man sagen: Je mehr es in einem Wirtschaftssystem um knappe finanzielle Ressourcen geht, desto negativer wird das Alter gesehen. Wenn Altersbilder nicht so sehr an diesen Ressourcen, wie zum Beispiel Wohnraum, hängen, dann sind diese Konflikte nicht so stark ausgeprägt. Solche Länder zeigen dann etwas positivere Bilder.

STANDARD: Eine Studie, publiziert 2023 in "Journals of Gerontology", zeigte, dass sich Menschen, die ein negatives Bild vom Alter hatten, subjektiv jünger fühlten, als sie es waren, später aber dann umso älter. Wie erklären Sie das?

Ristl: Das ist eine Art Coping-Mechanismus, schließlich will man mit einem negativen Bild vom Alter umso weniger selbst alt werden. Jeder Mensch macht aber irgendwann Erfahrungen, die man als "Awareness of Age-Related Change" bezeichnet, wo man sich bewusst wird, dass man alt ist. Das sind zum Beispiel viele graue Haare oder die ersten Enkelkinder.

Und dann werden negative Altersstereotype schlagend. Wenn man erwartet, dass der Körper im Alter unabwendbar abbaut, dann steht der Verfall in der Zukunft festgeschrieben. Solche Menschen unternehmen zum Beispiel weniger dagegen, wenn sie etwa Rückenschmerzen bekommen, sie sagen: "Ich bin machtlos, das ist das Alter." Menschen, die dagegen denken: "Ich kann für meine Fitness etwas tun", bewegen sich auch mehr.

Das zeigt, wie wichtig es ist, in der Pension nicht einen Rückzug anzutreten und sich nur noch innerhalb der Komfortzone zu bewegen. Je besser man sich vorbereitet, desto selbstgesteuerter kann man sein Leben im Alter verbringen. (Sarah Kleiner, 30.3.2024)