AP ist transident (Frau zu Mann) und hat von seinem Menschenrecht (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: L. v Lithuania 2007) Gebrauch gemacht, sich einer geschlechtsangleichenden Operation zu unterziehen. Er ließ seine weiblichen Brüste entfernen (Mastektomie), und die Sozialversicherung bezahlte ihren gesetzlichen Kostenbeitrag anstandslos. Da AP zusätzlich privat krankenversichert ist, hat er die restlichen Behandlungskosten bei seiner privaten Zusatzkrankenversicherung geltend gemacht. Die Uniqa lehnte jedoch ab.

Nicht etwa, weil die Operation nicht notwendig gewesen wäre oder die Kosten nicht angemessen wären. Beides war nie strittig und anerkannt. Die Uniqa lehnte die Erstattung der notwendigen und angemessenen Behandlungskosten deshalb ab, weil in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen "Geschlechtsumwandlungen" generell und absolut ausgeschlossen sind. AP ging zu Gericht und klagte die Kosten ein. Das Bezirksgericht für Handelssachen hat die Klage abgewiesen, und AP erhob Berufung an das Handelsgericht Wien.

Eindeutige EuGH-Judikatur

Denn seit 1996, also seit über einem Vierteljahrhundert, judiziert der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dass Benachteiligungen aufgrund der Geschlechtsidentität (Transidentität), insbesondere Benachteiligungen im Zusammenhang mit geschlechtsanpassenden medizinischen Eingriffen, nach dem Unionsrecht verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellen.

Erfahren Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmt (Transpersonen), eine schlechtere Behandlung als Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmt (Cis-Personen), so bezieht sich die Benachteiligung auf das Geschlecht. Somit kommen alle unionsrechtlichen Normen zur Anwendung, die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbieten. Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität (Transidentität) stellt regelmäßig eine im Unionsrecht verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar (EuGH: P v S & Cornwall County Council 1996 C-13//94; K.B. v National Health Service Pensions Agency 2004 C-117/01; Sarah Margret Richards v Secretary of State for Work and Pensions 2006 C-423/04; MB v Secretary of State for Work and Pensions 2018 C-451/16).

Soweit so klar. Seit einem Vierteljahrhundert. Nicht aber für das Handelsgericht Wien. Dieses hat die Berufung nämlich abgewiesen. Mit der Begründung, dass der in den Versicherungsbedingungen enthaltene Ausschluss von "Geschlechtsumwandlungen" nicht nur geschlechtsanpassende Behandlungen von Frau zu Mann, sondern auch solche von Mann zu Frau betrifft. Weil damit Transfrauen und Transmänner gleichbehandelt werden, liege keine geschlechtsbezogene Diskriminierung vor ("nicht einmal ansatzweise") (HG Wien 24.11.2022, 1 R 173/22w).

Justitia vor der Regenbogenfahne
Der bloße Umstand, dass Transmänner und Transfrauen gleich schlecht behandelt werden, ändert nichts daran, dass ihre Benachteiligung gegenüber Cis-Personen damit zusammenhängt, dass ihre Geschlechtsidentität nicht mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmt.
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Im österreichischen Zivilprozess gilt nun die eigenartige Regelung, dass (wenn der Streitwert 30.000 Euro nicht übersteigt) gegen ein Berufungsurteil nur dann Revision an den Obersten Gerichtshof erhoben werden kann, wenn das Berufungsgericht seine eigene Entscheidung von diesem überprüfen lassen will. Das wollte das Handelsgericht Wien nicht (HG Wien 16.02.2023, 1 R 173/22w).

Dadurch war das Handelsgericht Wien in dieser Sache die letzte Instanz. Als letzte Instanz ist es verpflichtet, eine Sache, in der Unionsrecht auszulegen ist, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) (dem das Monopol der Auslegung des Unionsrechts zukommt) vorzulegen, außer es entscheidet im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des EuGH oder es gibt keine Rechtsprechung und die Auslegung wäre ohnehin klar und eindeutig.

In dieser Sache freilich gab und gibt es eine ständige Rechtsprechung des EuGH, seit einem Vierteljahrhundert. Und in dieser hat der EuGH regelmäßig genau jene Argumentation zurückgewiesen, auf die sich das Handelsgericht stützt.

EuGH: Gleich schlechte Behandlung ändert nichts an Diskriminierung

Bereits in seinem ersten Fall im Jahr 1996 (P v S & Cornwall County Council) hatte ein Arbeitgeber, der eine Transfrau feuerte, weil sie eine geschlechtsanpassende Operation beabsichtigte, geltend gemacht, dass er einen Transmann ebenso gefeuert hätte, weshalb die Auflösung des Dienstverhältnisses nicht geschlechtsbezogen und damit zulässig gewesen sei.

Der EuGH hat das klar und eindeutig zurückgewiesen. Und das in allen weiteren Fällen, in denen er es mit rechtlichen Fragen von Transidentität zu tun hatte, wiederholt. Der bloße Umstand, dass Transmänner und Transfrauen gleich schlecht behandelt werden, ändert nichts daran, dass ihre Benachteiligung gegenüber Cis-Personen damit zusammenhängt, dass ihre Geschlechtsidentität nicht mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmt. Die Benachteiligung (im Falle von AP die Nichtbezahlung angemessener Kosten einer unbestritten medizinisch notwendigen Behandlung) ist daher geschlechtsbezogen und unionsrechtlich verboten.

Es käme im Übrigen wohl auch kaum jemand auf die Idee zu behaupten, die Benachteiligung von Homosexuellen stelle nur dann eine Disksriminierung aufgrund sexueller Orientierung dar, wenn homosexuelle Frauen und homosexuelle Männer zueinander ungleich behandelt werden, nicht aber wenn beide gleich schlecht behandelt und gegenüber Heterosexuellen benachteiligt werden.

Vorlage an EuGH verweigert

Wenn das Handelsgericht Wien nun der Meinung ist, dass der EuGH seit über einem Vierteljahrhundert das Unionsrecht (Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts) falsch auslegt, so muss es die Frage dem EuGH vorlegen und fragen, ob er seine Rechtsprechung ändern will.

Das Handelsgericht Wien hat sich aber geweigert und hat tatsächlich frank und frei behauptet, seine Entscheidung stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. Begründet hat es diese apodiktische Behauptung nicht. Eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EuGH erfolgte mit keinem Wort.

AP war dagegen im Verfahren machtlos. Nur Gerichte können eine Sache dem EuGH vorlegen. Parteien eines Gerichtsverfahrens nicht. Als einzige Möglichkeit hätte AP seinen Schaden wegen Verletzung des Unionsrechts (sowohl inhaltlich als auch wegen der Verweigerung der Vorlage an den EuGH) in einem Staatshaftungsverfahren gegen die Republik Österreich einklagen müssen. Nach Ablehnung durch die Finanzprokuratur (Ende 2023), die ebenso frank und frei begründungslos (ohne Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EuGH) behauptete, die Entscheidung des Handelsgerichts Wien entspreche der Judikatur des EuGH (!), hatte AP keine Kraft mehr, einen weiteren Gerichtsprozess durch zwei bis drei Gerichtsinstanzen zu führen. So hat das Handelsgericht mehrfach das Unionsrecht gebrochen. Und kam damit durch. (Helmut Graupner, 4.4.2024)