Die Mitglieder eines russischen Spionagerings, die im Juni 2022 nach Wien reisten, hatten dort einiges zu erledigen: Zunächst holten sie beim früheren österreichischen Verfassungsschützer Egisto Ott die Smartphones dreier Spitzenbeamter des Wiener Innenministeriums ab, die Ott und Komplizen mutmaßlich gestohlen hatten. Danach brachen sie in die Wohnung des Investigativjournalisten und jetzigen SPIEGEL-Mitarbeiters Christo Grozev ein.

Der frühere Wirecard-Manager Jan Marsalek dirigiert mittlerweile russische Agenten in Europa.
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Auch da hatte Ott, der mittlerweile in Untersuchungshaft sitzt, seine Finger im Spiel gehabt: Er hatte im Jahr zuvor mit Vorlage seines Polizeiausweises die Meldeadresse von Grozev abgefragt, offenbar dessen Wohnsitz fotografiert und diese Informationen an den früheren Wirecard-Manager Jan Marsalek weitergeleitet, der mittlerweile in Moskau für russische Dienste wie den Inlandsgeheimdienst FSB arbeiten dürfte.

Laptop und USB-Stick gestohlen

Das geht aus Chats hervor, die österreichische und britische Ermittler sichergestellt haben: einerseits bei Ott selbst, andererseits bei sechs russischen Spionen, die im März 2023 in Großbritannien geschnappt worden waren.

So schrieb Orlin Roussev, der mutmaßliche Anführer des russischen Spionagerings, am 11. Juni 2022 an Marsalek, eine scherzhaft als "Seal Team" bezeichnete Gruppe habe erfolgreich Grozevs Wohnung in Wien betreten und dort einen Laptop und USB-Sticks an sich genommen. Zudem werde man versuchen, dessen Smartphone durch "Taschendiebe" zu erhalten. Der Eingreiftruppe, die Grozevs Wohnung durchwühlte, gehörten zumindest einige jener Spione an, die nun in Großbritannien in Haft sind.

Über Bulgarien und Istanbul nach Moskau

Grozevs Laptop wurde von den Agenten wohl gemeinsam mit den Smartphones der drei österreichischen Spitzenbeamten über Bulgarien nach Istanbul verbracht, wo sie mutmaßlich an eine Russin namens Tatjana Spiridonowa übergeben wurden. Das legen ihre Flug- und Handydaten nahe. Sie reiste Ende Juni 2022 binnen weniger Stunden von Moskau nach Istanbul und retour. In Istanbul hielt sie sich im selben Hotel wie Mitglieder des "Seal Team" auf; nach ihrer Rückkehr nach Moskau befand sie sich laut Standortdaten in der Nähe des FSB-Hauptquartiers.

Spiridonowa ist offenbar eng mit Jan Marsalek verbunden. Gemeinsam reisten Marsalek und die Frau nach St. Petersburg und auf die Krim. Dabei benutzte Marsalek die Identität eines russischen Priesters namens Witali Malkin, die ihm wohl vom Geheimdienst beschafft worden war.

Die neuen Erkenntnisse zeigen einmal mehr, wie aggressiv russische Agenten mitten in Europa agieren – und dass Kritiker des Kreml auch in der EU in Gefahr sind.

Journalist im Visier des Kreml

Grozev war in den vergangenen Jahren mit seinen Recherchen zu russischen Geheimdiensten zu einem der bekanntesten Investigativjournalisten aufgestiegen. Gemeinsam mit seinem Team hatte Grozev bei der Rechercheplattform "Bellingcat" russische Agenten identifiziert, etwa rund um die Attentate auf den Überläufer Sergej Skripal in Großbritannien und auf den mittlerweile verstorbenen Dissidenten Alexej Nawalny. Zu sehen ist Grozevs Arbeit dazu im Oscar-prämierten Dokumentarfilm "Nawalny" – und auf den dort gezeigten Laptop hatten es die Einbrecher offenbar abgesehen.

Der Investigativjournalist Christo Grozev verließ Wien aus Sicherheitsgründen.
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Auch zum sogenannten Tiergartenmord, einem vom FSB mitten in Berlin durchgeführten Anschlag auf einen tschetschenisch-georgischen Asylsuchenden, hatte Grozev viele Details enthüllt.

Der Journalist arbeitet mittlerweile für das englischsprachige Magazin "The Insider" und den SPIEGEL. Er war auch Teil jener Recherchegruppe mit STANDARD und ZDF, die vor einem Monat die intensiven und jahrelangen Verbindungen Marsaleks zu russischen Diensten offengelegt hat.

"Ich war schockiert, dass ich nicht nur ausspioniert wurde, sondern dass das durch frühere BVT-Beamte passiert ist, die mich als 'Feind ihrer Freunde' bezeichnet haben", sagte Grozev, der seinen langjährigen Heimatort Wien aus Sicherheitsgründen verlassen hat, im Gespräch mit dem STANDARD.

Eine skurrile Note hat die Angelegenheit in all ihrer Brisanz dann aber doch: Weil sich Ott, als er Grozevs Meldedaten bei österreichischen Behörden abfragte, trotz seiner Suspendierung als Polizeibeamter auswies, habe er die Republik Österreich um 3,30 Euro geschädigt, schreiben Ermittler. So viel müssen nämlich Zivilpersonen für eine Meldeauskunft bezahlen. (Fabian Schmid, Roman Lehberger, 4.4.2024)