"Es ist unsere Aufgabe, der Jugend nahezubringen, was aus einer Welt wird, in der anstelle der Demokratie die Diktatur des Faschismus herrscht", schreibt Rosa Jochmann über den Sozialisten Josef Gerl. Gerl wurde am 24. Juli 1934 wegen eines Sprengstoffanschlags auf die Donauuferautobahn, bei dem lediglich geringer Sachschaden entstand, gehenkt. Engelbert Dollfuß, damals bereits Diktator, denn er hatte Parlament und Opposition ausgeschalten, kommentierte schlicht: "Danken wir Gott, dass es kein Nazi war." Die Ironie der Geschichte, es war am Tag darauf ein Nationalsozialist, der Dollfuß im Bundeskanzleramt ermordete. Sein Mythos, der mit seinem Tod begann, sowie die ideologische Polarisierung seiner Person und der 1930er-Jahre beschäftigen uns heute noch. Das wird deutlich an der neu entfachten Debatte um das Dollfuß-"Museum" oder um das Dr.-Engelbert-Dollfuß-Museum oder doch um die Pilgerstätte für Dollfuß-Fans. So unterliegt auch die Bewertung der 1930er-Jahre, also des Austrofaschismus oder der Kanzlerdiktatur oder einfach nur der Dollfuß/Schuschnigg-Regierung, dieser ideologischen Gereiztheit.

Die Zerstörung der Ersten Republik

Eigentlich herrscht in der Wissenschaft "[…] weitgehend Konsens über die Interpretation des Regimes und die Festlegung politischer Verantwortungen. Es ist eine Diktatur, es gibt eine klare Anlehnung an den Faschismus, auch wenn die Frage, ob es schon Faschismus ist oder noch nicht, unterschiedlich gehandhabt wird", meinte dazu die Zeithistorikerin Lucile Dreidemy in einem Gespräch mit dem Autor dieses Textes.

Engelbert Dollfuß bei einer Rundfunkansprache, 1934
Engelbert Dollfuß bei einer Rundfunkansprache, 1934.
Scherl / SZ-Photo / picturedesk.

Der Zeithistoriker Johannes Schönner jedoch spricht in seinem Gastkommentar "Jetzt is' er weg der Dollfuß" zwar von einer autoritären Machtausübung, nicht aber von einer Diktatur und schon gar nicht vom Faschismus, sondern schlicht von der "Dollfuß/Schuschnigg-Regierung". Im Gegenteil, Schönner dankt "dem Sozialdemokraten Anton Pelinka" fast erleichtert für die "Einordnung des Begriffes 'Faschismus'". Dabei vernachlässigt Schönner auf Pelinka einzugehen, bezeichnet doch der Politologe die "Dollfuß/Schuschnigg-Regierung" durchaus als faschistisch, wenngleich als halbfaschistisch. Denn so schwierig eine einheitliche Definition aufgrund der verschiedenen faschistischen Ausprägungen der 30er-Jahre auch ist, eine Gemeinsamkeit haben alle. "Alle Faschismen waren von einer propagandistisch glorifizierten Vergangenheit fasziniert." So auch der Austrofaschismus.

Besonders kommt dies bei der berühmten Trabrennplatzrede von Dollfuß zum Vorschein, in der er an das "Zeichen des Stephansdomes und der Türkenbefreiung" und an die "große Geschichte unserer Heimat erinnert". Aber auch die Aufgabe, die Dollfuß am Wiener Trabrennplatz skizzierte, "die Fehler der letzten 150 Jahre unserer Geistesgeschichte gutzumachen", diese Ablehnung der Aufklärung und die damit verbundene "tiefe Aversion gegen die Norm menschlicher Gleichheit" sind Kernelemente jeglicher Faschismen. Im Übrigen stand an diesem 11. September 1933 ein weiterer Vertreter des faschistischen Regimes hinter Dollfuß. Ernst Rüdiger Starhemberg, der eineinhalb Jahre später meinte "Bewusst habe ich den Begriff Austrofascismus geprägt". "Und auch die Christlichsozialen scheuten keinesfalls vor dem Faschismusbegriff zurück", gibt Lucile Dreidemy von der Universität Wien zu bedenken.

In der historischen Betrachtung, aber auch im Hinblick auf die Lehren, die wir aus der Geschichte ziehen können, lohnt es sich daher, die historischen Quellen genauer zu betrachten. Am 14. April um elf Uhr im Theater in der Josefstadt führen Lucile Dreidemy und Erwin Steinhauer anhand von historischen Quellen durch die Geschichte Österreichs von 1918 bis 1938. Es ist eine Geschichte zwischen Hoffnung und Zerstörung, zwischen Widerstand und Faschismus.

Und was ist mit der Zweiten Republik?

Auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt, hilft uns die Kenntnis über unsere eigene Vergangenheit, die Gegenwart entsprechend zu gestalten und Warnsignale erkennen zu können.

So meint etwa Lucile Dreidemy: "Demokratie stützt sich auf Institutionen, diese machen uns jedoch nicht immun gegen anti-demokratische Kräfte. Institutionen und demokratische Strukturen wie die Gewaltenteilung sind entscheidend, aber sie reichen nicht aus, was uns auch die Zwischenkriegszeit zeigt. Gegen antidemokratische Kräfte, Reaktion und Faschismus braucht es auch immer starke soziale Bewegungen."

Dass die demokratischen Institutionen auslassen, sobald sie mit anti-demokratischen Kräften durchsetzt sind, hat die Erste Republik eindrücklich bewiesen. Bereits 1925 stellte Ignaz Seipel, Bundeskanzler und einer der prägendsten Christlichsozialen Politiker der Ersten Republik, seinen autoritären Anspruch unter Beweis: "Menschheit wird immer Führer brauchen: Keine Schar, keine Masse kann auf die Dauer den Weg finden ohne Führer."

Die Demokratie und der Parlamentarismus waren also in der Ersten Republik alles andere als gefestigt, selbst unter den politischen Entscheidungsträgern. Im Gegenteil, eine scheinbar "demokratische" Partei, die bei den letzten demokratischen Wahlen 1930 zweitstärkste Kraft wurde, arbeitete ganz unverhohlen an der Auflösung der Demokratie, nicht zuletzt mit Hilfe der paramilitärischen Heimwehr, die den "Volksstaat des Heimatschutzes" aufbauen und den "westlichen demokratischen Parlamentarismus" verwerfen wollte. Die Heimwehr intensivierte auch plumpe anti-demokratische Parolen. So wurde das Parlament schlicht als "Quatschbude" verunglimpft.

Heute ist die Demokratie zweifelsohne gefestigter als in den Jahren der Ersten Republik. Dennoch, "für die Aufrechterhaltung der Demokratie muss stets gekämpft werden. Man muss aktiv daran arbeiten, dass die Demokratie aufrechterhalten bleibt", meint Lucile Dreidemy. Gerade in einem Wahljahr gilt es daher, ein wachsames Auge auf jene Kräfte zu haben, die der Pluralität unserer Gesellschaft und der liberalen Demokratie unhold sind. Es sind Kräfte, die die "Quatschbude" von damals zum "Ort negativer Energie" von heute verdammen, jene, die anstelle von Pluralismus die Volkstümelei und Agrarromantik der 30er-Jahre reaktivieren möchten, und es sind auch jene Kräfte, die ganz plump vom "Volkskanzler" bis zur "Systempresse" die Sprache von Faschisten imitieren. (Constantin Lager, 9.4.2024)