Politikerinnen auf TikTok
ÖVP-Politikerin Claudia Plakolm, FPÖ-Frontmann Herbert Kickl und die grüne Klubchefin Sigrid Maurer inszenieren sich auf Tiktok – und erreichen damit zum Teil recht erfolgreich eine junge Zielgruppe.
Screenshot TikTok

Claudia Plakolm trägt ein graues Dirndl, in der Armbeuge hat sie einen großen Korb hängen, sie verteilt Lebkuchenherzen auf einem Platz in Gmunden. Das Video ist schnell geschnitten, unterlegt mit einer Polka. Fast 400 digitale Herzen – also: Likes – bekommt sie dafür auf der Foto/Video-Plattform Instagram. Kurz davor war die Jugendstaatssekretärin der ÖVP im selben Dirndl in einem Tiktok-Video zu sehen: am Bauernbundball; schunkelnd mit drei jungen Frauen, beim Konzert der Mundartband Die Seer. Die Volkspartei versucht gerade, eine "Leitkultur" für Österreich zu definieren. Plakolm lebt die türkise Leitkultur längst digital in ihren Videoschnipseln vor: beim Musizieren mit ihrer Posaune, beim Wandern, in Tracht auf Bällen, bei Festln. Zieht das?

Politikberater Thomas Hofer sagt: eingeschränkt. Einen Teil der potenziellen ÖVP-Wählerschaft werde Plakolm wohl mit ihren Videos abholen können, Zielgruppenerweiterung sei ihr Tiktok-Auftritt allerdings keiner. Dabei hätte die ÖVP diese dringend nötig, meint Hofer. Der starke Fokus auf den ländlichen Raum – mit Maibaum, Blasmusik und Tracht – trage aber nur wenig dazu bei, Personen im urbanen Raum anzusprechen. Das schlage sich in den Wahlergebnissen nieder: Zuletzt musste die ÖVP in Salzburg den Bürgermeistersessel abgeben, Thomas Steiner in Eisenstadt ist aktuell der einzige ÖVP-Bürgermeister einer Landeshauptstadt.

"Labervideos" der Grünen

Plakolm ist nur eine von vielen österreichischen Spitzenpolitikerinnen, die auf Instagram und Tiktok versuchen, potenzielle Wähler zu erreichen – oder vor allem: junge Menschen, die sonst schwer greifbar sind. Die grüne Klubchefin Sigrid Maurer fällt in den sozialen Medien mit sogenannten "Labervideos" auf. In letzter Zeit filmt sie sich gerne selbst in ihrer Küche, schnippelt Obst und spricht über Feminismus, ihre Joberfahrungen vor der Politik oder einfach eine Pflanze, die ihr vertrocknet ist. Auf Tiktok ist sie erst seit Anfang des Jahres, aktuell noch mit überschaubarer Reichweite. Maurers erfolgreichere Videos haben rund 20.000 Klicks. Das ist auf Tiktok nicht besonders viel.

Auf dem Tiktok-Profil von SPÖ-Chef Andreas Babler fällt auf, dass er wohl seit Ende Februar mehr Fokus auf seine Tiktok-Followerschaft legt. Denn seitdem sind die Videos anders: schneller geschnitten, ein einheitlicher grafischer Auftritt. Babler erklärt in den Kurzvideos etwa, wie er den "Excel-Fail erlebt hat", oder er erzählt beim Spazieren mit Hund, wie die Viertagewoche in seinen Augen aussehen sollte.

Es sei falsch, zu behaupten, die Person mit der besten Tiktok-Strategie würde die nächste Wahl gewinnen, sagt Politikberater Hofer. Aber: Man könne hier durchaus eine junge Wählergruppe erreichen. Nur auf der Plattform zu sein und Presseaussendungen "vorzulesen" reiche allerdings nicht. Die Videos müssten dem Charakter von Tiktok entsprechen: schnell, klar, kurz und knackig. Das sei genau die Schwierigkeit, mit der die meisten Parteien zu kämpfen haben. Die Videos dürfen nicht zu "gescriptet", zu geplant wirken. Gleichzeitig sollen sie aber auch nicht langweilig sein. Und dann sollte auch noch der Inhalt "in line" mit Partei, Person und Image sein. Die Gefahr, sich im Netz lächerlich zu machen, bestehe immer.

Österreichs Social-Media-Partei war und ist die FPÖ. Die Freiheitlichen haben perfektioniert, womit andere Schwierigkeiten haben: eine einheitliche Linie bei Kommunikation und Botschaft. Die Partei von Herbert Kickl hat schon 2012 mit FPÖ-TV begonnen – lange vor den anderen war die FPÖ dafür bekannt, mit ihren eigenen Kanälen, aber auch auf Facebook und Youtube präsent zu sein. Inzwischen haben die Freiheitlichen schrittweise auch Instagram (2017), Telegram (2019) und Tiktok (2020) erobert. Ihre Videos auf Tiktok emotionalisieren mit einfachen Botschaften, sind mit dramatischer Musik hinterlegt. All das, was auf der Plattform gut funktioniert.

Facebook-Grüße zum Ramadan

In einem Tiktok-Video der Freiheitlichen kritisiert die FPÖ-TV-Moderatorin Lisa Gubik beispielsweise, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf Facebook Grüße zum muslimischen Ramadan versendet habe. "Was es auf der Seite unseres Staatsoberhaupts allerdings nicht gibt", sagt Gubik, während ein trauriger Ton erklingt, "sind Postings zum Beginn der Karwoche". Sie will sagen: Van der Bellen sei für "die anderen" da, nicht aber für die Katholiken. Die FPÖ setzt auch in den sozialen Medien auf das Thema Angst. "Dein Sohn, dein Bruder oder dein Vater könnten demnächst schon in der Ukraine auf dem Schlachtfeld stehen", heißt es in einem anderen Video. Zumindest, wenn es "nach dem französischen Präsidenten Macron geht". Das Video hat mehr als 38.000 Aufrufe. Die erfolgreichsten Tiktok-Videos der FPÖ wurden annähernd eine Million Mal angeklickt.

Den Erfolg der Parteien in sozialen Medien umfassend zu messen ist schwierig. Was ist mehr wert? Klicks oder Likes und Follower? Hinzu kommt ein Account-Wirrwarr: Es gibt Partei-Accounts, Accounts von Landesparteiorganisationen und die persönlichen Profile von Politikerinnen. Mit rund 44.000 Followern und insgesamt 540.000 Likes auf Tiktok ist der Partei-Account der FPÖ aber mit Abstand der größte. Einzig die Neos kommen an die halbe Million Likes heran, Follower haben die Pinken aber nur halb so viele. Weit abgeschlagen im Account-Vergleich finden sich SPÖ (228.000 Likes), ÖVP (49.000 Likes), Grüne (39.000 Likes) und die Bierpartei (24.000 Likes).

Das Format "Doublecheck" des ORF hat kürzlich im Parlament nachgezählt: Ein Drittel der Nationalratsabgeordneten sei auf Tiktok angemeldet, die Hälfte der Regierungsmitglieder dort ebenfalls aktiv. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat die Videoplattform für den Wahlkampf 2022 genutzt: Hündin Juli wurde für kurze Zeit zum Social-Media-Star. Seit seiner zweiten Angelobung im Jänner 2023 hat Van der Bellen allerdings keine Tiktok-Videos mehr veröffentlicht. Der Politikberater Hofer sieht Van der Bellens Social-Media-Kampagne als gelungenes Beispiel für plattformgerechte Kommunikation. Auf Tiktok alleine würden keine Wahlen gewonnen, es sei jedoch – wie Plakatwerbung oder Wahlkampfveranstaltungen – mittlerweile zu einem Kanal geworden, den man bespielen müsse, wolle man eine breite Masse ansprechen.

Verbote "kreativ" umgehen

Tiktok selbst schränkt Werbemöglichkeiten für politische Inhalte ein – zumindest behauptet die Plattform das auf ihrer Website. Politikerinnen können also die Werbefunktionen nicht nutzen: keine gesponserten Videos, keine Spendenaufrufe, keine "gekaufte Reichweite". Aber: Stimmt das? Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und andere politische Spitzenvertreter haben ein Schlupfloch gefunden: Influencerinnen. Wie das "Profil" vergangenes Jahr berichtete, habe etwa das Justizministerium rund 10.000 Euro an Satans Bratan und Christl Clear – beide Content-Creators mit hoher Reichweite auf Instagram und Tiktok – für eine Kampagne gegen Hass im Netz bezahlt. Die Videos landeten auf allen Accounts – dem von Zadić, von Satans Bratan und Christl Clear. Transparent war diese bezahlte Kooperation nicht wirklich, mehr Reichweite brachte sie jedenfalls.

Zadić, Plakolm und Co dürfen Tiktok inzwischen lediglich auf ihren Privathandys nutzen. Das Videoportal ist seit ungefähr einem Jahr auf Diensthandys des Bundes verboten. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) begründete die Maßnahme mit Sicherheitsbedenken gegenüber dem chinesischen Konzern Bytedance, zu dem auch Tiktok gehört. Die Plattform selbst spricht von "grundlegend falschen Annahmen über unser Unternehmen".

Social-Media-Wahlkampf

Nicht nur in Österreich steht Tiktok in der Kritik. Auch die EU-Kommission, die USA, Neuseeland und viele weitere Länder schränken die Nutzung von Tiktok durch öffentlich Bedienstete stark ein. Darauf verzichten wollen die meisten Spitzenpolitiker dennoch nicht. Die Grünen haben gerade eine reine Onlinekampagne zu EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling gestartet, die ÖVP fährt ihre Leitkultur-Kampagne in den sozialen Netzwerken. Die "volle Social-Media-Strategie" der Parteien für den Wahlkampf werde sich aber erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen, meint Hofer. (Katharina Mittelstaedt, Antonia Wagner, 9.4.2024)