Herbert Kickl, FPÖ
Diese Woche jährt sich Kickls Übernahme des Vorsitzes bei der FPÖ zum zweiten Mal.
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Mitte Mai herrschte in der FPÖ Unruhe. Youtube, das zum Google-Konzern gehört, hatte FPÖ TV, den Videokanal der Partei, teilweise gesperrt. Er war noch abrufbar, es konnten aber keine neuen Videos hochgeladen werden. Parteichef Herbert Kickl meldete sich auf Facebook mit einer Videobotschaft zu Wort. Man sei "den Mächtigen wohl zu unangenehm geworden". Er verwies auf die zig anderen Auftritte der Partei auf den verschiedenen Plattformen. "Von Facebook bis Tiktok – wir sind überall vertreten." Und egal wie fragwürdig viele andere Sätze in dem Video sein mögen – dieser ist völlig korrekt.

Diese Woche jährt sich die Parteiübernahme durch Kickl zum zweiten Mal, und die FPÖ hat wieder einen Platz an der Sonne. In Umfragen kratzt sie an den 30 Prozent. Seit Anfang des Jahres sind mit Niederösterreich und Salzburg zwei Bundesländer hinzugekommen, in denen die FPÖ Teil der Regierungskoalition ist. Damit hat es Kickl auch ein wenig den politischen Beobachtern gezeigt, von denen viele noch 2022 sagten, mit seinem radikalen Kurs – insbesondere in der Corona-Politik – würde die Partei auf ihre Stammwählerschaft reduziert bleiben. Ob dieser Kurs auch im Bund in Regierungsverantwortung führen kann, wird die Zukunft zeigen.

Erfolgreich durch Social Media

Teil des Erfolgs der FPÖ ist, zumindest lautet so die "conventional wisdom", ihre eigene Medienlandschaft. Die Partei hat sich diese über mehr als zehn Jahre hinweg aufgebaut: 2012 geht FPÖ TV an den Start. Die Wochenzeitung NFZ gibt es schon lange, 2015 wurde sie einem Relaunch unterzogen. Seit 2017 ist man auf Instagram, seit 2019 auf Telegram, seit 2020 auf Tiktok. Heuer kamen auch noch zwei Podcasts hinzu. Und so weiter und so fort. Mit diesen Kanälen ist man durchaus erfolgreich: Den Youtube-Channel haben 194.000 Menschen abonniert, die Facebook-Page hat 188.000 Fans; dem Tiktok- und Telegram-Auftritt folgen immerhin noch 22.000 Accounts. In Summe ist das alles so stark, dass sogar der Wegfall von Heinz-Christian Straches Facebookpage mit knapp 800.000 Fans keinen dauerhaften Einbruch in der Reichweite bedeutete.

Die Diskussion um das "blaue Medienimperium" durchläuft Phasen, taucht immer wieder auf und ab. Eine Zeitlang ging es viel um die Strache-Facebookpage, die der Partei gehörte und 2019 nach Ibiza abgedreht wurde. FPÖ TV taucht immer wieder auf, wenn es um "Parteimedien" geht. Nicht nur, weil die FPÖ sehr früh darauf setzte. Sondern auch, weil man – durch die starke Präsenz auf Youtube – objektiv sagen kann, dass es Reichweite hat. Bei anderen Parteien und ihren Medien muss man sich meist auf deren Angaben verlassen.

Ungefilterte Infos

Früher trug die FPÖ ihre Message vor allem durch das Pingpongspiel von Strache und krone.at hinaus. Heute hat sich die Partei medial diversifiziert. Facebook ist schon länger nur mehr ein Ausspielkanal von vielen, wenn auch ein wichtiger. Die FPÖ ist wahrscheinlich die einzige Partei, bei der der Satz "Wir brauchen die klassischen Medien nicht mehr" zumindest nicht völlig gelogen ist. So mancher FPÖ-Anhänger kriegt seine Infos über die FPÖ von der FPÖ, ungefiltert. Nur was sieht er – Stand Frühsommer 2023 – dort? Was tut die Partei mit diesen Kanälen? Wie spielt sie Themen, wie betreibt sie Agenda-Setting? Und wie hängt das alles mit den politischen Aktivitäten in der realen Welt zusammen?

Wer sich durch die blaue Welt navigieren möchte, kann auf der Website der Partei beginnen. Sie dient eigentlich nur mehr als Knotenpunkt, wo Pressemeldungen, Podcasts oder wichtige Videos präsentiert werden, teilweise automatisch ausgespielt über einen RSS-Feed. Das ist gut und schön. Doch wer die blaue Welt wirklich verstehen will, der startet am besten auf Youtube.

Es ist Mittwoch, der 7. Mai. Die Salzburg-Wahl ist geschlagen, die ÖVP unter Landeshauptmann Wilfried Haslauer befindet sich in Verhandlungen mit der FPÖ unter Marlene Svazek. Auf FPÖ TV erscheint ein Video mit dem Titel "Wirt packt aus: ‚Gastro-Besuch wird unleistbar. Wegen Teuerung stirbt unsere Wirtshaus-Kultur!‘" Moderatorin Lisa Gubik – um die wird es später noch gehen – sitzt bei einem Wirt in Wien-Mariahilf, der von seinem schwierigen Alltag erzählt. Lockdowns, Energiepreise, Teuerung. Gubik lässt den Mann erzählen, lenkt erst nach über fünf Minuten vorsichtig auf die Politik. Was nach dem Video übrig bleibt, ist das unbestimmte Gefühl, dass sich etwas verändern könnte, und zwar nicht zum Guten. Das ist ein Gesicht des FPÖ-Contents, hier geht es nicht direkt um Parteipolitik, sondern es wird diffus ein Gefühl bedient: Es ist okay, wenn ihr Angst habt, sie ist berechtigt. Auf Youtube haben sich das Video knapp 20.000 Menschen angeschaut, auf Facebook 68.000.

Migration, ein Heimspiel

Es gibt natürlich noch viele andere Gesichter des FPÖ-Contents. Die FPÖ zeigt in der blauen Welt die ganze Breite ihres Schaffens: Es gibt Videos von Parlamentsreden, von Medienauftritten, Videostatements von FPÖ-Politikern. Es gibt kleine, grafisch gestaltete Videos, gerne mit apokalyptischem Unterton und gegen den politischen Gegner gerichtet ("Aufgedeckt: Die katastrophale Asylstatistik von Schwarz-Grün!"). Es gibt Lisa Gubik, die Interviews mit FPÖlern führt, in und um das Parlament herum. Viele dieser Videos tauchen auf mehreren Plattformen auf.

Zu den Inhalten kann man wenig sagen, was nicht schon hundertmal gesagt wurde. Es ist die altbekannte FPÖ, mit Positionen von rechts bis ganz weit rechts, die sich je nach Person mal in der sanften und verbindlichen, mal in der populistischen Haudrauf-Rolle zeigt. Gegen Migration ("nativistisch", würde der Politikwissenschafter sagen), an der Seite des "wahren Volkes" gegen "die Eliten". Dieses Spiel kann die Partei.

Strategische Kampagnen

Bei den einzelnen Plattformen werden durchaus Schwerpunkte gesetzt: Auf Tiktok wandte sich die FPÖ ab 2020 mit der Serie "Die Fakten über Covid-19 lernen" an das junge Publikum und interpretierte dabei den Begriff "Fakt" relativ frei. Auf Instagram gibt es vor allem bunte Shareables, auf Telegram viele Ankünder für TV-Auftritte. Mit "Giuliani im Gespräch" hat die Partei mittlerweile sogar einen Longform-Podcast: Marie-Christine Giuliani, die früher einmal auf ORF Sendungen wie Millionenrad moderierte, spricht darin 45 bis 60 Minuten mit "hellen Köpfen zu Themen der Zeit". Zu Gast waren bislang unter anderem der "impfkritische" Mediziner Andreas Sönnichsen und Sabine Spögler-Dinse, die nach 25 Jahren bei den ORF-Seitenblicken gehen musste, weil sie sich nicht impfen lassen wollte.

FPÖ-Chef Herbert Kickl bei einer Pressekonferenz
FPÖ-Chef Herbert Kickl meldet sich immer wieder mit Videobotschaften auf Facebook zu Wort.
IMAGO/SEPA.Media

Wenn Giuliani so etwas wie ein intellektuelles Aushängeschild der FPÖ-Medien ist, ist Lisa Gubik das journalistische – man denke sich in diesem Satz die Anführungszeichen hinzu. Die 29-jährige Niederösterreicherin arbeitet in der Kommunikationsabteilung der FPÖ und moderiert seit 2018 bei FPÖ TV. Bei der Zielgruppe ist sie sehr beliebt, wie sich in den Kommentaren zeigt. Wie viele Menschen an den Medien der FPÖ mitarbeiten, ist nicht einfach herauszufinden. Offiziell heißt es von der Partei, dass es "schlichtweg nicht möglich" sei, eine Zahl zu nennen, weil viele team- und abteilungsübergreifend arbeiten würden. Inoffiziell hört man Zahlen von "um die 20", wobei das eben nicht bedeutet, dass die nur das machen. In der Ausrichtung des Medienuniversums soll Alexander Höferl, der auch schon Kommunikationschef in Kickls Kabinett war, einiges mitzureden haben, erzählt man. Manch einer nennt ihn auch den "Gerald Fleischmann der FPÖ".

Drei-bis-Vier-Themen-Partei

Durch die Breite ihrer Medien kann die FPÖ kampagnisieren. Das passiert quantitativ bei Großthemen wie der Online-Petition "Festung Österreich", die auf fast allen Kanälen rauf und runter gespielt wurde. Es passiert aber auch strategischer. Das Thema "Pflege" ist ein Beispiel dafür: Am 12. Mai, dem Tag der Pflege, meldet sich Seniorensprecherin Rosa Ecker in einer Aussendung zu Wort. Am 11. und 19. Mai ist das Thema auf dem Cover der NFZ. Am 10. und 30. Mai beschäftigt sich der Blaue Podcast damit. Am 23. Mai und 7. Juni werden dazu Videos auf FPÖ TV veröffentlicht. Die Themen haben immer noch eine klare Hierarchie – das Pflege-Video vom Mai hat knapp 1000 Aufrufe, eine Kickl-Tirade gegen die Regierung im Nationalrat vom selben Tag kommt auf 45.000 –, aber die mediale Breite dürfte den "kleinen" Themen zumindest helfen.

Die FPÖ galt lange als Ein-Themen-Partei, und in gewisser Weise ist sie das auch noch, weil sie letztlich mit dem Thema Migration steht und fällt. Auf ihren Medienplattformen ist sie aber zumindest eine Drei-bis-vier-Themen-Partei. Die Aufreger für die blaue Basis lassen sich an Videoaufrufen, Likes etc. erkennen: Migration ist und bleibt das Wichtigste. Teuerung ist als großes Thema hinzugekommen. Sehr gut performen aber auch Beiträge, in denen es gegen Grüne, Alexander Van der Bellen, den ORF oder Linke im Allgemeinen ("Wo bleibt die Aufregung der linken Kulturszene im Fall Teichtmeister?") geht. Relativ neu unter den Aufregern ist das Thema LGBTIQ: Als sich Mitte Juni die Dragqueen "Gloria Hole" während einer Parlamentsführung auf Norbert Hofers Platz setzt und ein Foto davon auf Instagram stellt, wird der "Eklat" in Podcasts ("LGBTQ Allmächtig!") und mehreren Videos behandelt. In einem sitzt Kickl mit ernster Miene am Schreibtisch und redet über den "Regenbogenzirkus" im Parlament.

Kika/Leiner, ein Aufreger

Man merkt aber deutlich die Versuche der Partei, über diese Kernthemen hinaus Agenda-Setting zu betreiben. Als im Juni das Möbelhaus Kika/Leiner insolvent geht und Investor René Benko vorher die Immobilien mit Gewinn verkauft, springt die FPÖ darauf an. Politisch fordert sie einen Untersuchungsausschuss. Medial kommt das Thema innerhalb kurzer Zeit bei der NFZ auf den Titel, wird in den Podcasts behandelt und Gegenstand eines Videointerviews von Lisa Gubik mit Wirtschaftssprecher Axel Kassegger. Sehr ähnlich ist es beim Thema "Mietenstopp". Interessant ist, dass diese Themen weitergezogen werden: So finden sich Ende Juni, als der mediale Zirkus längst weitergezogen ist, in der Wochenzeitung immer noch Beiträge zu Kika/Leiner.

Wie gut das Hochjazzen solcher Themen in der eigenen Zielgruppe wirklich klappt, ist von außen schwer zu sagen. Aber während der Spiegel vor einigen Wochen einen anonymen AfD-Mann zitierte, der meinte, dass sich Agenda-Setting nicht lohne ("Wir warten, was so aufklappt an Themen, und sagen dann das Gegenteil von dem, was die Grünen sagen"), ist die österreichische Schwesterpartei da schon deutlich weiter. Wahrscheinlich eben auch, weil es die blaue Medienwelt gibt.

Einblick in den blauen Klub

Eine interessante Sonderstellung nimmt die NFZ ein, weil sie jede Woche die Welt der Freiheitlichen in 16 Seiten gießt. Das ist gar nicht so wenig, auch wenn vieles darin zumindest teilweise aus anderen Quellen zweitverwertet sein dürfte. Man liest darin von FPÖlern, die sonst eher wenig in Erscheinung treten. Wie der Redakteur Andreas Ruttinger, der eine wöchentliche Kolumne hat, in der gerne mal jedes vierte Wort "Masseneinwanderung" oder jedes sechste "Zwangsbeglückungsfunk" ist. Tatsächlich interessant ist die Kolumne des Klubdirektors Norbert Nemeth, weil er gelegentlich Einblick in den blauen Klub gibt, einen sonst recht verschlossenen Teil des Parlaments. So schreibt er, dass auch die FPÖ mit dem Gedanken einer Blockade, wie sie die SPÖ eine Zeitlang durchzog, gespielt habe und warum sie es letztlich nicht getan habe.

Im hinteren Teil gibt es Nachrichten aus den FPÖ-Landesorganisationen und Rubriken wie "Gezwitscher", wo Tweets von Accounts wie dem FPÖ-nahen Kommunikationsberater Heimo Lepuschitz oder ORF-Moderator Armin Wolf abgedruckt und kommentiert werden. Mal positiv, mal negativ. Wie die Kommentare bei Lepuschitz und Wolf ausfielen, ist nicht schwer zu erraten.

Corona statt Klimaschutz

Auffällig ist, dass manche Themen nicht oder eher klein vorkommen. Das Thema Klimaschutz spielt zum Beispiel kaum eine Rolle. Wenn es auftaucht, dann natürlich negativ ("Die Green-Deal-Transformation: Weg mit Industrie, weg mit Bauern!"). Aber das Thema scheint für die Partei auch in der Gegnerschaft keine gesteigerte Wichtigkeit zu haben. Beim Ukraine-Konflikt ist es ähnlich: Die Positionen sind erwartbar (Hochhalten der Neutralität, Forderung nach Beendigung der Sanktionen), aber das Thema bekommt lang nicht die Prominenz, die es in der Debatte außerhalb der FPÖ-Medien bekommt.

Umgekehrt ist es bei Corona und der Impfung: Während andere Parteien und Teile des Landes diese Themen längst ad acta gelegt haben, bleibt es im blauen Medienuniversum ständig präsent: in Podcasts, Videos und Interviews. Die Wut, sie darf weiterköcheln. Dass die Partei das Thema weiterspielt, hat seine Gründe: Die 24 Prozent bei der niederösterreichischen Landtagswahl im Jänner dürften auch mit der Unzufriedenheit mit der Corona-Politik zu tun gehabt haben.

Die Überraschung

Was sieht der Beobachter, wenn man in Kickls Welt, in das blaue Universum eintaucht? Eine selbstbewusste Partei, die ihre Themen ganz genau kennt und auch die Klaviatur, auf der sie sie spielen sollte. Die weiß, dass der beste Weg zu einem Wahlerfolg darüber führt, dass sie ihren Anhängern diese Themen verlässlich liefert. Und ihnen damit auch signalisiert, dass es berechtigt ist, sich vor allem für Migration, Anti-LGBTIQ und Corona zu interessieren.

Die blauen Medien, sie sind eben auch ein Produkt. Man sieht eine Partei, die in die Regierung drängt und versucht, den für sie notwendigen Spagat zwischen Verbreiterung, auch thematisch, und dem Draufbleiben auf schrillen Kernthemen zu managen. Und gelegentlich wird man auch überrascht. Es gibt ein Format auf FPÖ TV, bei dem Lisa Gubik am Schreibtisch sitzt und "Faktenchecks" macht. Ist die FPÖ "prorussisch eingestellt"? Ist die FPÖ "regierungsunfähig"?

Die Antworten sind nicht das eigentlich Überraschende. Das Überraschende ist, dass man diese Vorwürfe der Gegner überhaupt wiederholt und sich mit ihnen beschäftigt. Denn das ist eigentlich das Gegenteil von Agenda-Setting. (Jonas Vogt, 2.7.2023)