In Ruhe seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen, das erscheint für den ORF unmöglich. Zerschlagungsfantasien, Debatten über seine Finanzierung, Druck von Parteien für bestimmte Inhalte und Personalien: Querelen zwischen Politik und ORF erreichen die Bevölkerung so zuverlässig wie "Bundesland heute" um 19 Uhr.

Muss das sein? Nein. Zwar bewegt sich ein öffentlich-rechtliches Medium, das sich kritisch mit politischen Akteuren befasst, logischerweise in einem Spannungsfeld. Aber der ständige Kampf ist kein Naturgesetz. Aktuell bietet sich mit einer zwingenden Gremienreform die Chance auf Verbesserungen – auch wenn sie möglicherweise aus den falschen Motiven umgesetzt würden.

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Journalismus macht sich unbeliebt, das gilt auch für das größte Medienunternehmen des Landes.
Heribert Corn

Die wichtigste Aufgabe des Medienunternehmens ist Journalismus. Wer kritisch berichtet, macht sich unbeliebt. Parteien beschweren sich, weil sie in ihren Augen schlecht weg- oder gar nicht vorkommen. Das läuft bei unabhängig aufgestellten Medien ins Leere. Doch beim ORF kommt das – falsche – Argument hinzu: Ihr gehört ja auch uns.

Debatten sind legitim, Mikromanagement nicht

Dieses Anspruchsdenken kennen wir aus Staatsbetrieben. Und auch wenn der ORF kein solcher ist, sondern sich als Stiftung quasi selbst gehört, hat die Politik über das ORF-Gesetz natürlich Gestaltungsmöglichkeiten. Debatten darüber, wohin sich das Unternehmen entwickeln und was es leisten soll, sind legitim. Mikromanagement im parteipolitischen Interesse ist es nicht.

Was die derzeit unproduktiven Debatten weiter befeuert, ist die besondere Form der Finanzierung: Die Haushaltsabgabe spüren alle, auch wenn sie gemessen am Produkt – und im Vergleich zur GIS – niedrig ist. Sie ist viel präsenter als Mehrwertsteuer, Sozialabgaben oder Autobahnvignette – und eignet sich deswegen perfekt für populistisches Aufpeitschen. Trotzdem ist die Gebührenfinanzierung die bessere Lösung als Geld aus einem Staatsbudget, das einmal im Jahr Thema am Verhandlungstisch wäre.

Interessenkonflikt der Parteien

Es gibt also von Haus aus genügend Reibefläche zwischen ORF und Politik. Das bedeutet aber nicht, dass die aktuell gelebte Einflussnahme der Parteien auf den Betrieb normal ist. Im Gegenteil.

Gerade weil die Voraussetzungen für einen unbeeinflussten ORF so schwierig sind, müsste die Zurückhaltung der Politik umso größer sein. Der Öffentlich-Rechtliche bräuchte eine Feuermauer zur Politik: einen unabhängigen Stiftungsrat und Personen im Management, die nicht in die Versuchung gelangen, peinliche bis problematische Nachrichten mit Politikern auszutauschen.

Das Problem: Regierende Parteien müssten gegen ihr eigenes Interesse handeln, um diese Unabhängigkeit sicherzustellen. In einer perfekten Welt würden sie das aus staatspolitischer Verantwortung tun. Besonders die Volkspartei hat das bisher verhindert.

Gute Reform aus falschem Motiv

Nun hat der Verfassungsgerichtshof auch die Gremienstruktur des Unternehmens aufgehoben, sie muss bald unabhängiger aufgestellt werden. Es wäre naiv zu glauben, dass die ÖVP dieses Mal uneigennützig handelt. Die einzige Hoffnung, die sich Bevölkerung und Publikum realistischerweise machen dürfen, hängt mit der Nationalratswahl zusammen. Die ÖVP kann nicht fix damit rechnen, nach der Wahl noch eine Mehrheit im Stiftungsrat zu haben. Eine andere Partei könnte dann jenen Einfluss ausüben, den sie jetzt hat. Vielleicht bringt ja dieses Szenario die Kanzlerpartei dazu, dass der ORF seinem Auftrag ein bisschen eigenständiger nachkommen kann. (Sebastian Fellner, 13.4.2024)