Das Schlingler Team Austria um Christian Sam, immerhin Steinschleuder-Weltmeister von 2022, trifft sich regelmäßig, um dann mit den selbstgebauten Schleudern und Steinen auf die Diane zu zielen.
© Christian Fischer

Als wir zu einem Acker in der Nähe von Deutsch-Brodersdorf kommen, fliegt dort ein Kiebitzpaar hoch. Kiebitze sind hierzulande vom Aussterben bedroht, aber noch seltener als die Vögel sind fast die heimischen Steinschleuderer. Immerhin acht von ihnen trotzen heute der kalten Brise, die gleich daneben ein paar Windräder antreibt, während die "Schlingler" uns zu einem aufgebauten Sicherheitsnetz führen.

"Bitte seitlich links stehen bleiben!", weist uns Christian Sam, Mitglied des "Schlingel Team Austria", an, denn Steine schleudern, das wäre selbst mit Sicherheitsnetz keine ganz ungefährliche Sache. Schließlich können die Projektile eine Geschwindigkeit von über 300 km/h erreichen, und auch ein Weltmeister von 2022 wie er entlässt mal einen Stein aus seiner Schleuder, der sich als Blindgänger über das Netz hinweg in die Höhe schrauben und dann irgendwo wieder herunterfallen kann – hoffentlich auf keinen Kiebitz!

Warmgeschossen

Um solche Fehlschüsse möglichst zu vermeiden, wärmt Sam sich sorgfältig auf, und auch, weil er sich unlängst böse das Kreuz verrissen hat. "Üblicherweise muss man sich einschießen", erklärt er, während er die Hände wie zum Gebet faltet und ein paar Mal vor seiner Brust rotieren lässt. "Zehn bis zwanzig Würfe braucht man schon, bis man auch selbst in Schwung kommt – und nicht nur die Schleuder."Eine Schleuder, wie wir sie alle aus dem Religionsunterricht kennen, wo uns die Geschichte von David gegen Goliath aufgetischt wurde. Der kleine David schoss damit einst dem übermächtigen Riesen einen Stein gegen die Stirn, der diesen nicht nur Sternderln sehen ließ. "Der Konflikt und seine Lösung", erklärt Sam, wäre nach wie vor ein Bereich, in dem die Schleuder eingesetzt werde, vor allem im Nahostkonflikt.

Steine schleudern auf einem Acker in der Nähe von Deutsch-Brodersdorf.
© Christian Fischer

"Die Duellsituation gab es bis ins 19. Jahrhundert, in Texas beispielsweise war es Pflicht, bewaffnet zu sein. Und wer sich keinen Revolver leisten konnte, der trug eine Schleuder bei sich." Außerdem wurde und wird sie für die Jagd und in der Landwirtschaft genutzt: "Wenn ich etwas aussäe, dann schmeckt das auch den Vögeln", sagt er, und um die zu vertreiben, werden Knaben aufs Feld gesetzt, die mit ihrer Schleuder die Räuber im Umkreis von 400 Metern fernhalten können. Kraft spiele dabei eine untergeordnete Rolle. "Alles ist Technik", sagt Christian Sam, während er sich innerhalb des Sicherungsnetzes zum ersten Wurf aufstellt. "Anfänger schleudern zu stark aus der Hand heraus. In Wahrheit aber kommt die Kraft wie beim Golfen aus der Hüfte."

Die Schleuderer von Malle

Eine Hochburg der Schleuderer seien die Balearen, erklärt Lorenz, der mit seiner Freundin Damaris hier ist und sich für Ritterspiele begeistert, "und die reinspanischen Regeln schreiben von der Natur geformte Steine vor", wie wir sie heute auch hier am Acker finden. Die Schlingler verwenden aber auch Tongeschoße, die sie selbst herstellen, oder mit Sand gefüllte Säckchen.

Sam präferiert dabei ein Gewicht von circa 60 Gramm, andere schleudern das dreifache dieses Gewichtes oder gar faustgroße Trümmer. "Wenn der Goliath so einen auf den Brustkorb gekriegt hätte, dann hätte ihm auch eine Rüstung nichts genützt!" Und dann hätte es wohl noch lauter gescheppert als jetzt, da Sam den ersten Stein gegen die Diane, das Wurfziel, knallt, die einen Durchmesser von 50 Zentimeter hat und aus zehn Millimeter dickem Werkzeugstahl gefertigt ist. Wer diese bei einem Wettbewerb aus einer Entfernung von dreizehn respektive 20 Metern trifft, der bekommt zwei Punkte, und wer die Holzplatte trifft, auf der sie befestigt ist, kriegt noch einen. Diese misst 120 cm im Quadrat, und ihre Oberkante liegt bei 2,20 Metern, "das ist genau festgelegt".

Schleuder Marke Selbstbau

Heute wäre freilich kein guter Tag für einen Wettkampf, denn kalter Wind ist der Feind aller Finger, mit denen die Schleuder gehalten wird: Das fixe Ende mit Schlaufe befestigt man am Zeigefinger, dann legt man den Stein in die Ausbuchtung oder das Leder, bevor man das andere Ende zwischen Daumen und Zeigefinger klemmt. So rotiert man die bis zu eineinhalb Meter lange Schleuder, und sobald man Daumen und Zeigefinger öffnet, fliegt der Stein hinaus. Lorenz zeigt mir seine "typisch balearische Schleuder, die relativ einfach und aus Sisal oder Jute geflochten ist. Das Rote, was man darin sieht, ist eingelassenes Wachs, das die Schleuder abriebfester macht."

So sehen die selbstgebauten Steinschleudern aus.
© Christian Fischer

Auf den Balearen sei das Schleudern ein Traditionssport wie bei uns das Eisstockschießen, erklärt Sam, und nur in Australien und an der südliche Spitze Afrikas komme sie nicht vor. Die Apachen fertigten Schleudern aus einfachen Baumwollstreifen, die sie eindrehten und an einem Stück Leder befestigten. In Indonesien wiederum seien die Schleudern signifikant kürzer, weil die Menschen dort kleiner gewachsen seien als zum Beispiel in Westafrika. Und in Tibet seien sie lang, weil dort keine Bäume herumstehen, die beim Rotieren der Schleuder stören könnten.

Lorenz fasziniert an der Schleuder, dass er sie von Grund auf selbst bauen kann: "Länge, Korbbreite, mit oder ohne Split? Beides hat Vor- und Nachteile. Das Geheimnis ist das Größenverhältnis vom Korb zum Stein. Je weniger Kontakt der Stein zum Korb hat, desto sauber löst er sich aus dem Korb." Der Weitenweltrekord liegt bei erstaunlichen 437 Metern, Sam hat selbst auch schon mal über 300 Meter geschafft. "Da lässt man die Schleuder seitlich vertikal rotieren und schießt eher aufsteigend." Und wenn man ein gutes Auge hat, dann kann man irgendwo in der Ferne auf dem Acker den Einschlag ausmachen.

Die Szene in Österreich ist überschaubar, es gibt nur drei Vereine: einen Damenverein (Schlingel Amazonen) im Waldviertel, die Los Fonderos in Oberösterreich und eben ihr Schlingelteam. Sie trainieren montags in der Sporthalle mit Tennisbällen ("Das Los aller, die dem Wetter ausgeliefert sind!"), mit Steinen zu üben bedeute einen relativ hohen Planungsaufwand. Mit Steinen seien die Spanier bei internationalen Wettkämpfen schwer zu schlagen, mit Tennisbällen und in Kombibewerben hätten österreichische Klubs schon mehrere Weltmeistertitel errungen. Der Wettkampfgedanke aber, sagen sie, sei auch da nicht besonders ausgeprägt: "Alle sind sehr entspannt, es geht um das Miteinander." Um das "Zeigst du mir deine, zeig ich dir meine".

Anekdoten aus Gergovia

Mit Schleuderern aus Guam, einer Insel in Mikronesien, gebe es sogar eine besondere Verbindung, seit diese auf Initiative von Sam 2017 erstmalig zu den Weltmeisterschaften eingeladen wurden.

Antike Schleudern seien aber auch dort kaum erhalten, erklärt Sam, "weil die meisten verrottet sind". Zu den wenigen erhaltenen Funden zählen die Schleudern in der Gruft von Tutanchamun. Dass für Cäsar, als dieser bei Gergovia schon fast geschlagen war, seine Schleuderer die Schlacht noch gewonnen haben – das gefällt ihm. Und solche Anekdoten sind es auch, die den Gemeinschaftssinn der Schlingler stärken. Dass man zwischen dem Reden und Erzählen auch mal die Diane trifft, ist dann fast schon Nebensache. (Manfred Rebhandl, 12.4.2024)