Der Beschuss Israels mit mehr als 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern aus dem Iran hat den Krieg zwischen den beiden Ländern nun aus dem Schatten heraustreten lassen. Zusammen mit dem US-Militär und anderen Partnern gelang es den israelischen Verteidigungsstreitkräften, 99 Prozent der Geschoße abzufangen. Die Israelis sollten erkennen, wie wertvoll es ist, Teil einer Koalition zu sein, wenn man sich dem Iran, seinen Stellvertretern und deren russischen Unterstützern gegenübersieht. Zumindest sollte der iranische Angriff die Israelis daran erinnern, dass sie ihren Krieg gegen die Hamas nicht in einem internationalen Vakuum führen.

Gaza Israel Krieg Palästinenser
Ein Bild der Zerstörung: Blick auf die Stadt Khan Younis.
Foto: AFP

Israel hat die militärische Infrastruktur der Hamas zerschlagen und sie als organisierte Kampftruppe zerstört: 19 von 24 Hamas-Bataillonen bestehen nicht mehr. Das ist eine beachtliche Leistung. Leider hat dieser taktische Erfolg einen hohen Tribut der palästinensischen Zivilbevölkerung und des internationalen Ansehens des Landes gefordert. Während Israel also militärisch erfolgreich sein mag, verliert es politisch.

"Israel hätte eine Strategie gebraucht, die es erlaubte, die Hamas militärisch zu besiegen, ohne dabei die Sympathien der Welt zu verlieren."

Das berühmte Diktum von Clausewitz, wonach "Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" sei, scheint keine Richtschnur für Israels Strategie zu sein. Ja, die Hamas hat Israel diesen Krieg aufgezwungen, und ja, die Hamas stellte mit ihren Tunneln unter bewohntem Gebiet eine beispiellose militärische Herausforderung dar. Dennoch hätte Israel eine Strategie gebraucht, die es erlaubte, die Hamas militärisch zu besiegen, ohne dabei die Sympathien der Welt zu verlieren. Eine Militärkampagne mit dem Ziel, die Bedrohung durch die Hamas auszuschalten und sie von der Macht zu entfernen, beruht auf einer zentralen Prämisse: Um die für eine Niederschlagung der Hamas erforderliche Zeit und den notwendigen politischen Spielraum zu haben, muss Israel die humanitären Bedürfnisse der Menschen im Gazastreifen erfüllen und ihr Leiden auf ein Minimum reduzieren.

Grausames Dilemma

Es mag keine Möglichkeit gegeben haben, dem grausamen Dilemma zu entgehen, in dem sich Israel befand: wie es sich nämlich bewerkstelligen ließe, die Hamas als militärische Kraft zu besiegen, ohne den Tod einer fürchterlich hohen Zahl an Palästinenserinnen und Palästinensern in Kauf zu nehmen. In den ersten zwei Wochen nach dem 7. Oktober, als Israel eine massive Bombenoffensive gestartet hat, bestanden jedoch praktikable Möglichkeiten, humanitäre Korridore für Evakuierungen vom nördlichen in den südlichen Gazastreifen zu schaffen. Danach war es für Israel unabdingbar, humanitäre Hilfslieferungen sicherzustellen.

Dabei hat es sich nicht nur um eine moralische Verpflichtung gehandelt, sondern auch um ein strategisches Gebot, damit die internationale Gemeinschaft nicht zu dem Schluss gelangen konnte, dass Israel dem Leiden gleichgültig gegenübersteht. Und dennoch hat sich genau dieser Eindruck verfestigt, mit dem Ergebnis, dass Israel nun allein für die Beendigung des Krieges verantwortlich gemacht wird, als trage die Hamas keine Verantwortung.

Schlechte Staatsführung

Einige Wochen nach Beginn des Krieges habe ich in der New York Times geschrieben, dass ich einen Waffenstillstand nicht befürworte, weil man damit der Hamas ermöglichen würde, zu überleben, sich neu zu formieren und einen weiteren 7. Oktober zu versuchen. Wer gesagt hat, Israel solle lediglich begrenzt und gezielt reagieren, hatte nicht begriffen, dass die Wahrnehmung, die Hamas sei mit ihrem fürchterlichen Schlag gegen Israel davongekommen, ihrer Ideologie des "Widerstands" – und ihrem Bekenntnis zur Zerstörung Israels – im gesamten Nahen Osten enorme Glaubwürdigkeit verliehen hätte.

Unabhängig davon hat Israel trotzdem eine Strategie gebraucht, die nicht nur das humanitäre Leid auf ein Minimum begrenzt hätte, sondern auch mit einem klaren und erreichbaren Ziel verbunden war. Schlechte Staatsführung ist stets mit Zielen verbunden, die entweder nicht erreicht werden können oder so formuliert sind, dass Unterstützung für sie unmöglich ist. Die Auslöschung der Hamas war nie in Sicht. Die Rettung der überwiegenden Mehrheit der israelischen Geiseln war mit militärischen Mitteln niemals möglich.

Klares Ziel

Sehr wohl möglich war jedoch die dauerhafte Entmilitarisierung des Gazastreifens, so dass er nie wieder eine Plattform für Angriffe auf Israel bieten konnte. Das ist immer noch so, und das hat Israels strategisches Ziel zu sein. In den Gesprächen mit Premier Benjamin Netanjahu und dessen Kriegskabinett sollte sich die Regierung von US-Präsident Joe Biden nicht nur darauf konzentrieren, wie mit den verbleibenden Hamas-Bataillonen umzugehen sei, sondern auch darauf, eine Einigung darüber herzustellen, wie weit man zu gehen hat, um eine Entmilitarisierung zu erzielen.

Israel sollte seine Definition einer ausreichenden Entmilitarisierung an die Schaffung von Mechanismen knüpfen, anhand derer die USA, die europäischen Geberländer und die arabischen Staaten sicherstellen, dass alle in den Gazastreifen gelangenden Hilfsgüter von der Einfuhr über die Lagerung bis zur letztendlichen Nutzung überwacht werden. Israel kann die gesamte Wiederaufbauhilfe davon abhängig machen, dass die Hamas nicht an der Macht ist und dass die Überwachungsmechanismen glaubwürdig funktionieren.

Um das zu gewährleisten, bedarf es in Gaza einer palästinensischen Alternative. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist zu schwach und zu korrupt, um diese Rolle zeitnah zu übernehmen. Sobald sie jedoch glaubhaft reformiert und zu angemessener Regierungsführung in der Lage ist, kann und muss sie die Lücke füllen.

Arabisches Engagement

Wenn die Hamas militärisch besiegt ist und die Bevölkerung im Gazastreifen wieder zu einem normalen Leben zurückkehren möchte, könnten die arabischen Staaten eine vorübergehende Rolle in der Verwaltung und der Gewährleistung der Sicherheit spielen. Aus meinen Gesprächen mit einer Reihe arabischer Führer weiß ich, dass diese bereit sind, eine noch nie dagewesene Rolle in Gaza zu spielen, unter anderem durch die Entsendung von Truppen. Voraussetzung ist allerdings, dass ihr Engagement als Brücke zwischen dem Ende des Krieges und einer tragfähigen palästinensischen Alternative dient. Sie wollen nicht, dass die Hamas zurückkehrt, aber sie wollen auch nicht für immer in Gaza bleiben.

Mit Ausnahme der israelischen extremen Rechten will niemand, dass Israel im Gazastreifen feststeckt, die Verantwortung für 2,4 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser trägt und möglicherweise mit einem Aufstand rechnen muss. Nachdem man den Gazastreifen entmilitarisiert und die Voraussetzungen für eine Alternative zur Hamas geschaffen hat, kann Israel diesen Krieg bald beenden und die noch lebenden Geiseln retten.

Und das ist auch notwendig. Schlimm genug, dass 55 Prozent der US-Bevölkerung Israels Vorgehen in Gaza missbilligen. Noch schlimmer ist, dass dieser Krieg zu einem Prüfstein dafür wird, wie die nächste Generation über Israel denkt. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass der Iran erneut bewiesen hat, dass er das Problem ist, muss Israel den Krieg im Gazastreifen zu einem Ende bringen. Die militärische Niederschlagung der Hamas ermöglicht es dem Land, dies bald zu tun. (Dennis Ross, Übersetzung: Helga Klinger-Groier, Copyright: Project Syndicate, 18.4.2024)