Elon Musk/X
Musks Auftritt im September 2023 an der Grenze zwischen den USA und Mexiko wurde mit Cowboyhut und markigen Sprüchen inszeniert.
Elon Musk/X

"Ich habe mich in der Vergangenheit nicht gescheut zu sagen, dass Elon Musk ein Antisemit ist. Aber jetzt denke ich, dass es an der Zeit ist, ihn höher einzustufen: Nazi." Die langjährige US-Journalistin Marisa Kabas nimmt sich in ihrem Blog kein Blatt vor den Mund, wenn es um Elon Musk geht. Sie ist mittlerweile nicht mehr die Einzige. Das Teilen von antisemitischen Kommentaren auf X, die anhaltende Gleichstellung von klassischen Medien mit Fake News und der offensive Kampf gegen alle, die seiner Meinung nach "woke" sind, haben speziell über die letzten Monate ein sehr klares Bild gezeichnet, in welchem politischen Lager sich der Unternehmer am wohlsten fühlt.

Dennoch feiern ihn seine Fans weiterhin – aber es werden weniger. Während der Wegfall großer Anzeigenkunden auf X von diversen rechten Organisationen noch kompensiert werden, leiden die Tesla-Verkäufe aktuell auch deshalb, weil sich die ehemals große Zielgruppe in den USA – die Demokraten – von Musk abwendet. Ob wirtschaftliche Folgen den Unternehmer wirklich zurück auf den Boden holen können? Könnte sich diese bedeutende und reichweitenstarke Persönlichkeit politisch überhaupt wieder aus dem Rampenlicht nehmen? Oder ist Musk mittlerweile süchtig nach der ständigen Aufmerksamkeit, die er durch polarisierende Aussagen am meisten bekommt?

Cowboy

"Please note that Twitter will do lots of dumb things in coming months", twitterte Elon Musk im November 2022, kurz nach der Übernahme des Nachrichtendienstes, den er später in X umbenennen sollte. Es ist nicht überliefert, ob er alleine sich gemeint hat, aber er blieb dem Versprechen in jedem Fall treu. Beleidigungen gegenüber Menschen wie Bill Gates oder Bernie Sanders lieferte er schon davor, Einmischungen in geopolitische Themen und die offene Kritik an Medien häuften sich vor allem nach der Übernahme. Wichtig, da sind sich alle Beobachter einig, ist bei all diesen Aussagen, dass er sich dabei stets im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sieht. Ein paar Beispiele gefällig?

Ein Musterbeispiel für Selbstinszenierung war sein Auftritt im September 2023 an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, wo Musk mit Cowboyhut und Sonnenbrille seine Meinung zur US-amerikanischen Immigrationspolitik kundtat. Nachdem er mehrfach die Gefahren durch Einwanderer in die USA betont hatte, fand er in den nach Europa flüchtenden Menschen sein nächstes Ziel. Der rund 800.000 Follower starke Account "RadioGenoa" schrieb auf X, dass Schiffe einer NGO, die sich um die Flüchtlinge kümmern, von der deutschen Regierung subventioniert würden. Weiters hieß es: "Hoffentlich gewinnt die AfD die nächste Wahl, um diesen europäischen Selbstmord zu stoppen." Musk retweetete das Posting mit den Worten: "Ist sich die deutsche Öffentlichkeit dessen bewusst?" Das deutsche Außenministerium antwortete prompt. "Ja, ist sie, und wir nennen es Leben retten."

Musk beließ es nicht dabei und schoss weiter. Ob man darauf wirklich stolz sein könne, schrieb er. Zudem bezweifle er, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Ankunft von Einwanderern in Italien befürworten würde. Es sei eine "Verletzung der Souveränität Italiens" und vermittle das Gefühl einer "Invasion", so Musk.

Fake News

Neben der Angst vor Einwanderern teilt Musk noch einen weiteren Feind, den auch das rechte Lager für sich beansprucht: die Medien. Auf X setzte er mehrere Maßnahmen, um die Reichweite von klassischen Medienhäusern zu beschneiden. Das Verifikationssystem wurde durch ein Abomodell ersetzt und strafte damit jene Unternehmen ab, die keine teure Firmenverifikation zahlen wollten. Auch die Entscheidung, keine Schlagzeilen bei Nachrichtenlinks anzuzeigen, kam "direkt von mir", wie er in einem X-Posting erklärte. Aus ästhetischen Gründen, wie er meinte. Für Medien ist die Reduktion auf ein Bild, ohne einen Hinweis auf den Nachrichteninhalt, natürlich wenig wert.

Abseits solcher Maßnahmen ist es allerdings die ständige Gleichstellung von Medien mit Fake News. Man könne eigentlich nur ihm trauen, alle anderen würden lügen, erklärt er. Ein Posting von "Sir Doge of the Coin", der im Mai 2024 postete: "Den Mainstream-Medien darf man nie glauben", retweetete Musk mit den Worten: "Some people still believe the legacy media." Den alten Medien, von denen viele seiner Meinung nach von anderen gesteuert werden. Ein Satz, den man auch auf diversen rechten Demos in den letzten Jahren nicht nur einmal gehört hat.

Seine Fangemeinde ist auch in dieser Sache schon lange auf seiner Seite und postet brav, dass sie X mittlerweile als einzig wahre Nachrichtenquelle sehe.

Drohung gegen jüdische Organisation

X ist laut Musk der einzige Ort, an dem man sich frei äußern dürfe. Unabhängige Beobachter sahen das in den letzten Jahren kritischer. Nach der Übernahme durch Elon Musk ist die Zahl von Hassbeiträgen auf dem einst als Twitter bekannten X deutlich gestiegen. Ob Antisemitismus, Homophobie oder rechtsextreme Aussagen, in all diesen Bereichen zeigten Untersuchungen bereits nach wenigen Wochen der Musk-Regentschaft eine deutliche Zunahme. Der blühende Antisemitismus wurde etwa von der jüdischen Anti-Defamation League (ADL) mehrfach angeprangert, die deshalb öffentlich die mangelnde Inhaltsmoderation auf X kritisierte. Daraufhin drohte Musk mit einer Klage, weil er der ADL vorwarf, mit ihren Äußerungen Werbekunden zu vertreiben.

Doch dabei blieb es nicht. Im November 2023 warf das Weiße Haus Musk vor, aktiv Antisemitismus zu verbreiten. Der Grund: Musk teilte einen Tweet auf X, in dem es unter anderem hieß, dass "jüdische Gemeinschaften" den "Hass gegen Weiße" schüren würden. Im Gegensatz zu vielen ähnlichen Äußerungen auf der Plattform kommentierte Musk dieses Posting mit: "Du hast die Wahrheit gesagt." Als der Unternehmer merkte, dass eine kurze Relativierung seiner Aussage auf X den Schaden nicht mehr gutmachen konnte, reiste er kurzerhand nach Israel und traf unter anderem Präsident Yizchak Herzog.

"Rechter Scheißkerl"

Im März 2024 dann der nächste Aufreger. Musk engagierte den Ex-CNN-Moderator Don Lemon, um mit ihm den Auftakt einer neuen Show für die Plattform X zu drehen. Nachdem Lemon sein Gegenüber auf mitverbreitete Verschwörungstheorien über die amerikanische Grenzpolitik befragt hatte, über die Grenzen der Meinungsfreiheit auf X und auch mehr über Musks Drogenkonsum wissen wollte, beendete der Unternehmer das Gespräch und stampfte das Format noch vor der Ausstrahlung ein. In den nächsten Tagen schoss Musk noch etliche Tweets in Richtung Lemon. Der ehemalige CNN-Reporter sei ein "dummes Arschloch". Im Gespräch bezeichnete Musk zudem die Trans-Bewegung als "wokes Hirnvirus".

Elon Musk on Racism, Bailing Out Trump, Hate Speech, and More - The Don Lemon Show (Full Interview)
Don Lemon

Auch basierend auf diesem Gespräch, das später unter anderem auf Youtube von Lemon veröffentlicht wurde, schrieb der CNN-Journalist Oliver Darcy kurz darauf seine Eindrücke zu Musk nieder. Diesen sehe er mittlerweile in den "Fiebersümpfen der Rechten tief verwurzelt", schrieb er. Musk greife sich ganz bewusst Themen heraus, die die Massen zum jeweiligen Zeitpunkt bewegen. Darcy ließ sich am Ende sogar dazu hinreißen zu schreiben: "Zu diesem Zeitpunkt ist es nicht mehr provokant, Musk einen rechten Scheißkerl zu nennen." Es sei einfach eine passende Beschreibung. Gefährlich sei vor allem, dass der US-Unternehmer mit X eine der wichtigsten Kommunikationsplattformen der Welt besitze, auf der er "schneller ätzendes Gift in den öffentlichen Diskurs spuckt, als seine Space-X-Raketen in die Umlaufbahn geschossen werden".

Es sei nicht mehr zu leugnen, dass Musk offenbar immer intoleranter gegenüber anderen Ansichten werde. "Während er Rechtsextremisten aufwertet, versucht er gleichzeitig, das Vertrauen in glaubwürdige Nachrichtenquellen zu zerstören", so Darcy. Musk habe sich auf der Plattform, die er am Ende gegen seinen Willen kaufen musste, "selbst radikalisiert". Er sei in die dunkelsten und "unappetitlichsten Ecken" der Plattform abgerutscht. Die eigene sich wandelnde Weltanschauung sei zu einer "Echokammer von Verschwörungstheorien" und Leuten geworden, die Musk in seinen Wahrnehmungen stärkten. Zusammen mit einem Algorithmus, der Musks Tweets immer nach oben reihen muss, sind die Wellen, die Musk schlägt, kaum zu stoppen.

Bedingungslose Akzeptanz

Das merkt man auch, wenn man Musk öffentlich kritisiert. Sofort wird der mächtige Mann von einer Heerschar an "Followern" verteidigt und die Kritiker angegriffen, wie es beispielsweise auch nach dem Fall Don Lemon war. "Die öffentliche Präsenz von Elon Musk erinnert stark an die charismatischen Führer rechtspopulistischer Parteien", bestätigt Philipp Pflegerl, der unter anderem im Bereich Onlinemonitoring zu Verschwörungstheorien bei der Bundesstelle für Sektenfragen tätig ist. Auch bei den Führungspersonen im rechten Lager wird mit dem eigenen Auftreten polarisiert und eine starke Anhängerschaft hinter sich versammelt. Um solche Personen bilde sich oft eine gesellschaftliche Konfliktlinie, die stark von der Freund-Feind-Unterscheidung geprägt ist und nur "bedingungslose Solidarität oder starke Ablehnung" kennt.

Die starke emotionale Bindung und Identifikation der Anhänger mit der oftmals idealisierten Person führe häufig dazu, dass sie sich durch Kritik an der Person selbst angegriffen fühlen und stark ablehnend und oft auch überschießend reagieren. Diese Dynamik der Überidentifikation würde sich auch in der Popkultur oder bei fanatischen Sportfans finden, jedoch wird es dann besonders problematisch, wenn "demokratiefeindliche und menschenverachtende Positionen oder das persönliche Fehlverhalten der Person akzeptiert oder sogar befürwortet wird".

Diese Demokratiefeindlichkeit sei auch in Teilen der Followerschaft klar erkennbar. Pflegerl beobachtet schon länger, dass Musk Verschwörungsnarrative aufgreift und über seinen X-Account verbreitet, die insbesondere von rechtsextremen Akteuren aufgegriffen werden. Er sympathisiere ganz offen mit aus dem deutschsprachigen Raum stammenden rechten und rechtsextremen Akteuren, wie etwa Martin Sellner. "Während die Accounts der vom deutschen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung auf vielen Plattformen gesperrt wurden, waren sie kurz nach der Veröffentlichung der CORRECTIV-Recherche auf X wieder freigeschaltet", erklärt Pflegerl.

Auch im englischsprachigen Raum sei zu beobachten, dass sich Hassdiskurse und Verschwörungstheorien auf X zunehmend ungestört entfalten können. "Offenbar fühlt sich Musk diesen Personen und deren politischen Positionen nahe und vertritt diese nach außen." Über dessen Motive lasse sich nur mutmaßen, fest stehe aber, dass durch den US-Unternehmer "demokratiegefährdende Verschwörungsnarrative und Hetze zunehmend Raum bekommen und teilweise auch von ihm bekräftigt werden".

Durch diese Kombination aus Reichweite sowie politischer und ökonomischer Macht könnten demokratiegefährdende Erzählungen globale Verbreitung erfahren. Dank Musk tun sie das bereits, und manchmal hat man das Gefühl, die ganze Welt sieht dabei nur staunend zu – oder macht Selfies mit dem Milliardär. Viele sehen nämlich in Musk noch immer den Visionär, der den Mars besiedeln könnte und das E-Auto salonfähig gemacht hat. Den "rechten Scheißkerl" auszublenden muss man dann aber wirklich wollen. (aam, 27.5.2024)