Stell dir vor, du zeigst gleich zwei Zweierkonfrontation im schon recht heißen EU-Wahlkampf, und das Thema des Tages in diesem Wahlkampf kommt mit keiner Silbe vor. ORF 3 zeigte am Mittwoch gleich zwei Konfrontationen der grünen Spitzenkandidatin Lena Schilling ganz ohne die neuen Schilling-Chats, die der STANDARD und der Spiegel am Vorabend aufgedeckt haben. Aktuelle politische Diskussionen am Vortag aufzuzeichnen ist ein Wagnis.

ORF 3 versucht doch ziemlich frühe Aufzeichnung mit aktuellem Intro auszugleichen – Ausschnitte der Pressekonferenz mit dem Vorwurf der "Silberstein-Methoden" unter Verdächtigung der SPÖ vonseiten der Grünen-Generalsekretärin Olga Voglauer, dazu ihre rasche Entschuldigung bei SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Schieder via X. Und harsche Befunde von Kurier-Politikchefin Johanna Hager und ORF-Journalist Peter Fritz der "fortschreitenden Selbstdemontage" der Grünen. Fritz sieht als "einzige Rettung noch für die Grünen" und ihre Wahlchancen, wenn Schilling ankündigt, die Wahl nicht anzunehmen.

Der Befund ist – aus der Sicht des Publikums – ein doch recht harter Kontrast zum nächsten Programmpunkt: Konfrontation eins mit Reinhold Lopatka (ÖVP) mit der Spitzenkandidatin der Grünen. Schilling geht in die Konfrontation über den Migrationspakt der EU, sie will in ihrer angepeilten Rolle als EU-Abgeordnete und wohl Aktivistin darauf achten, ob da die Menschenrechte eingehalten werden.

Lopatka ist "kein Benzinbruder"

Lopatka empfindet Schillings Wortwahl "extremistisch" beim nächsten Programmpunkt und verweist auf "Fäkalsprache" Schillings; er pflichtet da terminologisch ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker bei, der schon von einer "Klima-Extremistin" sprach. Auch ihre Inhalte empfindet er als extremistisch; dass sie Druck auf der Straße entwickeln will, wenn die Politik etwa in Sache Klima nicht genügend handle, erinnert Lopatka an die Zwischenkriegszeit, sagt er. Klimakleben sei "eine Grenzüberschreitung".

"Demokratie findet an vielen Orten statt", wendet Schilling ein und wirft Lopatkas ÖVP langjährige Untätigkeit im Klimaschutz vor. Nachsatz: Die ÖVP sei länger in der Regierung als sie auf der Welt.

Lopatka versichert, "ich bin kein Benzinbruder". Aber der Individualverkehr in Europa mache doch nur 0,8 Prozent der weltweiten Emissionen aus, China sei doch ein viel schlimmerer Luftverpester. Eine Frage der Lieferketten-Regelung der EU, erinnert ihn Schilling: "Wir importieren die Emissionen."

Schilling ist kein grüner Kurz

Moderator Reiner Reitsamer spielt dann noch auf die ersten STANDARD-Recherchen über Schilling an, wonach diese "Mitstreiter gegeneinander ausspielt", und kommt von dem Vorwurf an sie auf die Frage: "Sind Sie der neue Sebastian Kurz der Grünen?" Nicht ganz überraschend weist Schilling das zurück – sie wohnten nur beide in Wien-Meidling.

"ORF 3 Live" täuscht ein bisschen –die Konfrontationen sind aufgezeichnet.
ORF 3 Screenshot

Bei der nächsten Konfrontation rächt sich die Aufzeichnung noch ein wenig deutlicher: SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Schieder wurde Stunden vor der Ausstrahlung von Grünen-Generalsekretärin Voglauer mit "Silberstein-Methoden" in Verbindung gebracht, und noch wenige Stunden davor folgte ihre Entschuldigung an Schieder. So fällt Schillings Konfrontation mit Schieder noch ein bisschen mehr aus der Zeit.

Schieder erinnert sich nicht an Intrigen

Hat sie das Gefühl, dass sie die Krise nach den Recherchen und Vorwürfen gut gemeistert hat, fragt Reitsamer gleich zum Einstieg Lena Schilling. "Dass man über meinen Charakter spricht, meine Arbeit, über den Menschen, der ich bin, finde ich legitim", sagt Schilling. Wie über sie gesprochen werde, wie Gespräche über sie stattfinden würden, finde sie nicht legitim, wiederholt sie.

Ist der Charakter entscheidend für die Politik? Durchaus, findet Andreas Schieder, wie etwa Lebenserfahrung, und wie in anderen Berufen auch. Aber in diesem Fall "ist das eine Angelegenheit von Lena Schilling, das ist eine Angelegenheit der Grünen". Als politischer Mitbewerber spreche er lieber über seine politischen Ziele – ein soziales Europa zum Beispiel.

Hat Schieder noch nie Intrigen gesponnen, um sich einen Vorteil zu verschaffen? Nicht, dass ich weiß, sagt Schieder. Das wäre vielleicht ein Punkt gewesen, um den Vorwurf der "Silberstein-Methoden" zu kommentieren. Aber der war zu dem Zeitpunkt ja auch schon wieder zurückgenommen. (Harald Fidler, 22.5.2024)