Miss Waldrons Roter Stummelaffe, benannt nach einer britischen Museumsangestellten, gilt als ausgestorben. Die halbmetergroßen Primaten mit ihrem schwarz-rotbraunen Fell waren in den Regenwäldern Ghanas und Côte d’Ivoires in Westafrika heimisch. Entdeckt und beschrieben wurden sie erst in den 1930er-Jahren. Die letzte wissenschaftlich bestätigte Sichtung stammt von 1978. Doch ganz sicher ist der vollkommene Verlust der Spezies noch nicht. Immer wieder gibt es Berichte von Einheimischen und Jägern, die im Regenwald von Tanoé-Ehy im Osten der Elfenbeinküste noch eine Restpopulation vermuten lassen.

Während der Regenzeit müssen der Primatenforscher Inza Koné und sein Team auf Kanus zurückgreifen, um den unzugänglichen Wald von Tanoé-Ehy im Osten von Côte d’Ivoire zu erkunden.
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Sollte es tatsächlich noch Exemplare geben, möchte Inza Koné sie finden. Der Primatenforscher aus Côte d’Ivoire arbeitet seit 20 Jahren im Wald von Tanoé-Ehy – nicht nur, um Miss Waldrons Roten Stummelaffen und weitere, beinahe ebenso rare Spezies aufzuspüren, sondern um das ganze, etwa 11.000 Hektar große Waldgebiet vor der Vernichtung zu bewahren und systematisch zu erforschen.

Der Schrei der Affen

Dazu arbeitet Koné mit lokalen Communitys. Die Bewohner passen auf den Wald auf, erheben Monitoringdaten zum Wildbestand und suchen dabei auch aktiv nach Miss Waldrons Rotem Stummelaffen. Was Koné zuversichtlich stimmt: Schreie von einem der Tiere konnte der Wissenschafter im Jahr 2010 schon selbst im Wald vernehmen – ohne das Exemplar damals allerdings zu Gesicht zu bekommen.

Die Suche gestaltet sich alles andere als einfach. "Der Tanoé-Ehy ist ein wunderschöner Wald, der noch relativ intakt ist und verschiedene Arten von Habitaten bietet", schwärmt Kone. Allerdings: "Viele Gebiete sind überflutet. Man kann sie nur zur Trockenzeit oder mittels Kanu erreichen", so der Naturschützer. Die Unzugänglichkeit des sumpfigen Waldes macht seine Erforschung abenteuerlich.

Im Herzen des Tanoé-Ehy-Regenwalds in der Elfenbeinküste, wo der Tanoé-Fluss in die Lagune von Ehy mündet, sucht Primatenforscher Inza Koné nach Spuren einer verschollen geglaubten Primatenart.
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Gemeinschaftlich verwaltet

Dass der Tanoé-Ehy in relativ guten Zustand erhalten blieb, ist keineswegs selbstverständlich. Stand der Wald in den 1990er-Jahren noch im Besitz eines Staatsunternehmens, musste dieser Anspruch mit dessen Privatisierung aufgegeben werden. Doch in den Dörfern des Walds wusste man nichts von dieser Veränderung, hier ging man weiterhin davon aus, dass "ihr" Wald fremdes Eigentum sei. "Wir zeigten den Bewohnern, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Sie konnten sich selbst zu den Besitzern des Waldes erklären", resümiert Koné.

2021 wurde der Wald offiziell zu einem gemeinschaftlich verwalteten Naturreservat der lokalen Communitys. Beinahe wäre der Tanoé-Ehy davor noch einer Ölpalmenplantage zum Opfer gefallen. "2008 mussten wir eine Kampagne gegen das größte Palmölunternehmen des Landes starten, das auf dem Waldgebiet eine bis zu 8000 Hektar große Anbaufläche plante", erinnert sich Koné. "Unser Glück war, dass wir bereits zwei Jahre davor begonnen hatten, mit zwei der lokalen Communitys zu arbeiten."

Die Primatenforscher nutzen Kamerafallen, Drohnen und Analysen von Umwelt-DNA-Proben, um einen Einblick in die Biodiversität des Tanoé-Ehy-Walds zu bekommen.
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Regenwaldkampagne

Das vergleichsweise kleine Naturschutzprojekt stemmte sich gemeinsam mit den Einwohnern gegen den Konzern, der mit Geld und Arbeitsplätzen lockte. "Wir haben eine Menge Lärm gemacht. Es gab nationale und internationale Berichterstattung, Petitionen, eine ganze Kampagne, die parallel zu jener des Entwicklungsprojekts lief. Wir konnten sogar Druck auf Regierung und Präsidenten ausüben", schildert Koné. "Unser Schlüsselargument war, dass auch eine noch so gute Entwicklung des Gebiets niemals nachhaltig sein konnte."

Mittlerweile arbeiten Koné und sein Team mit elf Communitys im Tanoé-Ehy. Die Forschenden versuchen zu vermitteln, wie wichtig der Fortbestand des intakten Naturwalds ist – nicht nur weil es gilt, die raren Primaten und die Vielzahl der endemischen Spezies zu schützen, sondern auch, weil letzten Endes die Farmen und Fischereien im Umland davon profitieren. "Ohne Regenwald gibt es keinen Regen, und die bestehende ökonomische Grundlage geht verloren", sagt der Forscher.

Aus Wilderern wurden Naturschützer

Aus den ehemaligen Wilderern in den Dörfern wurden Naturschützer, die durch den Wald patrouillieren und gemeinsam mit den Wissenschaftern Daten sammeln. In den Baumkronen werden Kamerafallen installiert, die Aufnahmen der Affengesellschaften liefern. Mithilfe von Drohnen kann die Zahl der Tiere gut abgeschätzt werden. Schließlich geben Proben von Umwelt-DNA aus Gewässern oder vollgesogenen Stechmücken wichtige Einblicke. "Die Kombination dieser Techniken erhöht unsere Chancen, nicht nur Miss Waldrons Roten Stummelaffen wiederzufinden, sondern auch ein vollständiges Bild der Artenvielfalt des Waldes zu erhalten", sagt Koné.

Die langjährige Arbeit mit den lokalen Communitys hat Koné geprägt. Er sei zu einem empathischeren Menschen geworden, der gewöhnt ist, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, reflektiert der Naturschützer. Er und sein Team versuchen nachhaltige Sichtweisen auf die Natur zu vermitteln, die Wissenschafter profitieren aber auch vom lokalen Wissen: "Einer der ehemaligen Wilderer und nunmehrigen Öko-Guides konnte uns anhand eines Blattes mit Bissspuren, das er vom Boden auflas, genau erklären, welche Affenspezies davon fraß – allein aufgrund der Struktur von Gebiss und Zähnen, die sich am Blatt zeigte", gibt der Forscher ein Beispiel. "Das war sehr beeindruckend. Weder ich noch eines meiner Teammitglieder hatten dieses Wissen."

Inza Koné und Freddy Gnandet, verantwortlich für die Wiederaufforstung, begutachten junge Pflanzen in der Baumschule der CSRS-Forschungsstation.
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Maniok und Tourismus

Natürlich möchte Koné den Einheimischen auch eine wirtschaftliche Perspektive abseits der Tätigkeit als Guides geben. Er organisiert Unterstützung für Projekte, die etwa Anbau und Verarbeitung von Maniok in den Dörfern verbessern. Auch über die Entwicklung von Ökotourismusprojekten, etwa Vogelbeobachtung von Flüssen oder Lagunen aus, wird nachgedacht – vor allem, um die Aufmerksamkeit internationaler Gemeinschaften auf den Tanoé-Ehy zu lenken. Ein großer wirtschaftlicher Faktor kann der Tourismus aber hier nicht werden. Zu sumpfig, zu unzugänglich, zu gefährlich ist der Wald.

Was passiert nun, wenn Koné und seine Helfer Miss Waldrons Roten Stummelaffen tatsächlich finden? "Wir beginnen zu zweifeln, dass wir eine überlebensfähige Population antreffen, deren Fortbestand durch Schutzmaßnahmen gesichert werden kann", bedauert der Naturschützer. "In Zoos würden die Tiere ebenfalls nicht überleben. Sollten wir also nur einige Tiere finden, gibt es nicht viel, was wir tun können." Die Wissenschafter haben dann keine Wahl, als der Spezies beim Aussterben zuzusehen – und zu hoffen, dass die Nachricht von der für immer verlorenen Affenart die Menschen aufrüttelt. (Alois Pumhösel, 24.5.2024)